Ausgabe: September-Oktober 2024
ÖkumeneDen Raum für die christliche Botschaft verteidigen
Über den Mut zum Widerspruch
„Demokratie“ als Staatsform ist nicht perfekt. Genauso wie der Mensch. Dennoch kennen wir keine besseren Formen, sei es Staatsform oder Lebensform. Daher ist der Schutz von Mensch und Demokratie ein Auftrag. Gemeinde creativ hat darüber mit Philipp Hildmann gesprochen, Geschäftsführer des „Bayerischen Bündnisses für Toleranz – Demokratie und Menschenwürde schützen“.
Gemeinde creativ: Herr Hildmann, was hat es mit dem Bayerischen Bündnis für Toleranz auf sich, wie definieren Sie darin Demokratie und warum ist sie für unsere Gesellschaft und besonders für die Pfarrgemeinden von zentraler Bedeutung?
Philipp Hildmann: Das Bayerische Bündnis für Toleranz entstand nach einem versuchten Bombenanschlag anlässlich der Grundsteinlegung des neuen jüdischen Gemeindezentrums in München im Jahr 2003. Die beiden großen Kirchen Deutschlands haben damals mit dem DGB Bayern, dem Bayerischen Innenministerium und der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern als Antwort darauf das Bündnis gegründet. Unser Ziel ist es, die Demokratie gegen Bedrohungen von Rechtsextremismus zu schützen, indem wir staatliche, zivilgesellschaftliche und religiöse Akteure zusammenbringen, mittlerweile 94 Mitgliedsorganisationen. Demokratie bedeutet für mich die Regierung vom Volk, für das Volk und durch das Volk, wie Abraham Lincoln es einmal sagte. Toleranz bedeutet, die Existenz anderer Überzeugungen zu akzeptieren. Für die Pfarrgemeinden ist Demokratie besonders wichtig, weil sie den Raum schafft, unseren Glauben frei zu leben und Menschenrechte sowie Religionsfreiheit zu gewährleisten.
Das Bayerische Bündnis für Toleranz verfolgt zahlreiche Initiativen zur Förderung von Demokratie und Menschenwürde. Welche dieser Initiativen könnten besonders relevant für die Arbeit in den Pfarrgemeinden sein?
Besonders relevant sind Initiativen, die sich auf Bildung und Aufklärung konzentrieren. Wir organisieren Diskussionsrunden und Veranstaltungen wie die anlässlich der Europawahlen und zur Fußballeuropameisterschaft, um beispielsweise die Verbindung zwischen Sport und Toleranz zu thematisieren. Solche Aktivitäten können direkt in Pfarrgemeinden adaptiert werden, um demokratische Werte zu fördern und Extremismus entgegenzuwirken. Eine weitere wichtige Initiative ist die Schulung und Unterstützung von Menschen vor Ort, die lernen müssen, mit extremistischen Parolen umzugehen und in ihren Gemeinschaften und Gremien aktiv für demokratische Werte einzutreten. Immer stärker sind Menschen damit konfrontiert, dass sich auch in ihren Familien und Wohnzimmern rechtspopulistisches Gedankengut findet.
Dafür braucht es Sprachfähigkeit und Mut zum Widerspruch. Dafür verteilen wir Broschüren, die erklären, wie man mit rechtsradikalen Aussagen im Familien- und Freundeskreis umgeht. Aber nicht nur. Wir arbeiten auch daran, durch Medienpräsenz und öffentliche Statements das Bewusstsein für demokratische Werte zu stärken. Jetzt ist der Moment, an dem sich Demokraten zusammenschließen und konzertierte Aktionen umsetzen müssen.
Welche aktuellen Herausforderungen sehen Sie für die Demokratie in Bayern?
Eine der größten Herausforderungen ist der zunehmende Extremismus, sowohl von rechts als auch von links, dazu braucht es nicht erst den Blick auf „Geheimtreffen“. Die Grenzen des Sagbaren und auch Machbaren werden schon seit längerem verschoben, besonders auffällig ist dies in einem vergrößerten Resonanzraum in unserem Parlament wie auch im „partyfähigen“ Rechtsextremismus. Die Kirchen können jedoch nicht einfach die Rollläden zumachen, sie haben einen Auftrag für alle Menschen. Wir müssen ständig daran arbeiten, positive Erzählungen über unsere Demokratie zu verbreiten und Menschen zum aktiven Engagement zu motivieren. Es fällt uns manchmal schwer, in der gesamten Gesellschaft wachsam zu bleiben, besonders in Zeiten politischer und sozialer Unruhen. Aber für eine lebendige Demokratie brauchen wir möglichst viele lebendige Demokraten.
Wie können Menschen vor Ort konkret zur Stärkung von Demokratie und Toleranz beitragen?
Es ist wichtig, aktiv in Diskussionen einzugreifen und sich gegen extremistische Meinungen zu positionieren, auch wenn das manchmal persönliche Risiken mit sich bringt. Dazu gehört, positiv über unsere Demokratie und ihre Errungenschaften zu sprechen, nicht nur über die Unzulänglichkeiten. Demokratie erfordert eine Vielfalt von Positionen und Parteien, allein aus diesem Grund kann ich nicht nur über andere schlecht reden, wenn die Vielfalt der Meinungen im demokratischen Spektrum doch eine Grundbedingung von Demokratie ist. Wer die Vielfalt als grundsätzlich schädlich ansieht, ist schlussendlich gegen demokratische Prozesse. Wir müssen wieder lernen, uns ohne Gewalt auseinanderzusetzen und eine Streitkultur neu beleben, die auf Respekt und Toleranz beruht. Dazu gehört auch das Aushalten von Spannungen, die sich möglicherweise in Pfarrgemeinden ergeben. Nicht die Augen verschließen, sondern eine ehrliche Diskussion anstoßen.
Welche langfristigen Ziele und Visionen hat das Bayerische Bündnis für Toleranz in Bezug auf die Förderung von Demokratie und Menschenwürde, insbesondere auch im ökumenischen und interreligiösen Kontext?
Langfristig streben wir an, ein noch stärkeres Netzwerk von Organisationen und Individuen zu schaffen, die sich aktiv für die Demokratie einsetzen. Im ökumenischen Kontext ist es unser Ziel, die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Religionsgemeinschaften zu fördern, um gemeinsam gegen Extremismus vorzugehen und die Menschenwürde zu verteidigen.
Der interreligiöse Dialog und die Zusammenarbeit sind von zentraler Bedeutung, besonders in der aktuellen gesellschaftlichen Situation. Durch das Bündnis können wir gemeinsame Werte stärken und eine breite Basis für Toleranz und Demokratie schaffen.
Welche Rolle spielen in der Demokratieförderung die Kirchen?
Historisch gesehen hatten die Kirchen Schwierigkeiten mit der Demokratie, aber mittlerweile unterstützen sie unsere Ziele stark. Sie helfen, demokratische Werte zu vermitteln und sind wichtige Partner in unserer Arbeit. Es ist wichtig, dass die Kirchen sich aktiv einbringen und ihre Reichweite nutzen, um Menschen für demokratische Werte zu sensibilisieren und zu mobilisieren. Durch ihre Arbeit in den Pfarrgemeinden können sie direkt Einfluss auf die Gesellschaft nehmen und dazu beitragen, eine Kultur der Toleranz und des Respekts zu fördern.
Wie sehen Sie die Zukunft der Demokratie in Deutschland?
Die Demokratie steht vor großen Herausforderungen, aber ich bin optimistisch. Es gibt einen kontinuierlichen Zustrom von Organisationen, die unserem Bündnis beitreten möchten. Dies zeigt, dass viele Menschen bereit sind, sich für die Demokratie einzusetzen. Wir müssen weiterhin wachsam bleiben und uns gegenseitig unterstützen. Ich glaube fest daran, dass wir durch gemeinsames Engagement eine starke und stabile Demokratie aufrechterhalten können.
Was motiviert Sie persönlich, sich so intensiv für die Demokratie einzusetzen?
Meine Motivation ziehe ich stark aus meinem Glauben. Eines der eindrücklichsten Gleichnisse Jesu ist für mich das von den anvertrauten Talenten eines Mannes an seine Diener. Ich glaube, dass es wichtig ist, die Talente, die uns gegeben wurden, zum Wohl der Gesellschaft einzusetzen. Demokratie ermöglicht uns einen Raum der Freiheit und der persönlichen Entfaltung und dafür lohnt es sich, sich zu engagieren. Menschen sollten sich ermutigt fühlen, ihre Stimme zu erheben und sich für eine gerechte und tolerante Gesellschaft einzusetzen. Es gibt mir auch persönlich viel zurück, wenn ich sehe, dass unsere Arbeit positive Auswirkungen hat und Menschen inspiriert, sich ebenfalls für demokratische Werte einzusetzen. Auf dass noch meine Kinder in einem freien Land leben können.
Vielen Dank für dieses inspirierende Gespräch und Ihre wertvolle Arbeit.
Informationen zum Bayerischen Bündnis für Toleranz finden Sie hier.
Die Broschüre des Bayerischen Bündnisses für Toleranz "Rechtes Reden - rechtes Denken" können Sie hier herunterladen.
Dr. Philipp Hildmann, 1973 in Erlangen geboren, ist promovierter Literaturwissenschaftler und Theologe. Nach Stationen als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Systematische Theologie der Universität München und als Lehrbeauftragter der Universität Eichstätt begann er 2004 seine berufliche Laufbahn als Politikberater in unterschiedlichen Funktionen in der Hanns-Seidel-Stiftung. Seit Oktober 2023 ist er Geschäftsführer des Bayerischen Bündnis für Toleranz in Bad Alexandersbad. Er ist Mitglied der Synode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste.