Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: September-Oktober 2024

Schwerpunkt

Lösungen „Out of the box“

Bei dem Mut zur Wahrnehmung fängt es an. Mit unterschiedlichsten Akteuren an einem Tisch ergeben sich vorher unbekannte Perspektiven. Foto: Domberg Akademie

Krise als Chance

Klima, Migration, Radikalisierung … viele, sich zum Teil überlagernde, Herausforderungen der Gegenwart werden wir mit alten Denkansätzen nicht lösen. Die multiplen Krisen unserer Zeit machen Angst, lähmen. Krisen werden verdrängt, statt sich ihnen zu stellen. Doch Krisen sind immer auch eine Chance zum Aufbruch. Dabei zeigt sich: Mit vorhandenen Lösungsansätzen und alten Mindsets werden sich grundlegende Probleme der Gegenwart nicht lösen lassen.

Festgefahrene Denkmuster aufbrechen und damit neue Ideen zulassen: Mit der Reihe „Zeitansagen – neue Denkansätze in krisenhaften Zeiten“ haben sich die Domberg-Akademie Freising und die Katholische Landvolkbewegung (KLB) Bayern auf die Suche nach Lösungen „Out of the box“ gemacht. Ideen, die wieder Mut machen, die Welt mitzugestalten. Dazu haben sie in der Reihe „Zeitansagen – neue Denkansätze in krisenhaften Zeiten“ zunächst Expertinnen und Experten zu drei großen Krisen unserer Zeit zum Gespräch eingeladen:

  • Demokratiekrise
  • Klimakrise
  • Kollektive Sinnkrise

Das Ziel: Jenseits festgefahrener Mindsets nach Lösungen suchen – und das „Out of the box“. Nach drei inspirierenden und facettenreichen Abenden zog sich eine Erkenntnis durch alle Lösungen hindurch: Wir müssen die Komfortzone verlassen und den Mut aufbringen, umgehend neue Wege einzuschlagen! Wie die neuen Wege aussehen könnten, wurde für jeden Abend in einer kurzen These festgehalten.

Krise der Demokratie: Multiple Konfliktachsen

Die Wahlergebnisse rechts- wie linkspopulistischer Parteien nicht nur in Deutschland verheißen nichts Gutes für unsere Demokratie. Laut der Politikwissenschaftlerin Brigitte Geißel und des Soziologen Holger Lengfeld braucht es deshalb in unserer Gesellschaft mehr Mut, sich mit anderen Meinungen auseinanderzusetzen. Dabei gibt es nicht nur zwei Meinungspole, sondern multiple Konfliktachsen zu verschiedensten Themen, so Lengfeld.

Setzt man Menschen jedoch an einen Tisch, führt das oft zu erstaunlichen Ergebnissen. Brigitte Geißel propagiert ein Modell, bei dem basisdemokratische und repräsentative Parlamente wirksam zusammenarbeiten: ein Bürgerrat, der fern von Lobbyismus und Wahlperioden gemeinnützige und zukunftsweisende Entscheidungen erarbeitet und trifft.

Als These zum Weiterdenken wurde für diesen Abend festgehalten:

Menschen mit unterschiedlichem Einstellungsmuster kommen zu wenig in Kontakt. Mindsets können sich verändern, wenn sehr verschiedene Menschen gemeinsam und moderiert an Themen arbeiten.

Klimakrise: Eine ZuMUTung

Die Experten zur Klimakrise, Georg Feulner vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Bernd Ulrich von der ZEIT, waren sich einig: Der Mut, der hinsichtlich der im Grunde längst ausreichend skizzierten Klimakrise (es fehlt nicht an Erkenntnis) gefragt ist, ist die ZuMUTung. Zu lange sei der Ansatz gewesen, kleine Schritte zu gehen, um alle mitzunehmen und Altbewährtes als „normal“ zu framen, obwohl unser alltägliches schädliches Verhalten „radikal“ mit der Welt umgehe.

Ulrich sprach deshalb von 90°-Winkeln, bei denen das Gehirn einmal um die Ecke gehen müsse. Alte Denkstrukturen müssten dafür komplett gelöscht werden. Würde man vom Ziel – ein gesundes Ökosystem – ausgehend denken, statt vom Status Quo, ergäben sich neue, völlig andere Lösungen, die auch funktionieren könnten. Die Folge wäre, dass die Dinge eine andere Priorität bekämen und sich andere Zielhierarchien ergeben würden.

These zum Weiterdenken aus diesem Abend: 

Da uns Wissen zu viel werden kann, nutzen wir vielfältige Formen der Verdrängung. Mindsets können sich verändern, wenn wir das bisherige Vorgehen infrage stellen, die Blickrichtung ändern und sich dadurch Möglichkeitsräume öffnen.

Sinnkrise: Eine Prise Trotz

Thomas Steinforth (Domberg-Akademie) und die Benediktinerin Sr. Emmanuela Kohlhaas analysierten die „kollektive Sinnkrise“. Sie steht in direktem Zusammenhang mit den multiplen Krisen unserer Zeit und entsteht aus einem Gefühl der Abwärtsspirale und Resignation.

Und wieder braucht es Mut: die Krise als Chance wahrzunehmen! Wenn der Mut selbst nicht mehr aufzubringen ist, müssen erMUTigende Zukunftsbilder und gute Geschichten erzählt werden, die einen konkreten Ausweg aufzeigen. Zudem braucht es, so Schwester Emmanuela, eine Prise Trotz als eine positive Kraft der Selbstermächtigung.

Dritte These zum Weiterdenken:

Unsicherheit und Aufregung entstehen, verstärken sich und führen zuweilen in eine Abwärtsspirale. Doch Mindsets können sich verändern, wenn wir auf unsere Möglichkeiten schauen – und mutig handeln.

Der Schlüssel: die kollektive Handlungsmacht

Trotz all der Erkenntnisse blieb jedoch eine Frage offen: Wie schaffen wir es, diese Vorsätze umzusetzen? Dieser Herausforderung widmete sich eine weitere Veranstaltung unter dem Titel „Auf-Bruch! Wie verändern wir unsere Mindsets?“, mit der ein erstes Zwischenfazit gezogen werden sollte.

 

Was kann die einzelne Person schon ausrichten? Eigentlich sehr viel, wenn sie die Erfahrung macht, sie ist nicht allein. Foto: Domberg Akademie

Dieses sieht laut des Sozialpsychologen Immo Fritsche, Referent des vierten Abends, so aus: jede einzelne Person braucht die Gruppe. Bei allen aufgezeigten Krisen handelt es sich um kollektive Krisen, in denen nicht Einzelne, sondern Kollektive die Akteure sind. Eine Fokussierung auf meinen eigenen Handlungsspielraum führt meist zu persönlich erlebter Hilflosigkeit („Was bringt es, wenn ich auf Fleisch verzichte“, „Was wird meine Stimme bei der Wahl schon bewirken“). Spüre ich aber, dass viele meine Einstellung teilen, oder vermute ich sogar nur, dass eine Mehrheit so handelt, erhöht das meine Bereitschaft zu handeln, was Immo Fritsche eindrucksvoll mit Belegen aus seinen Feldstudien untermauerte. Legt man den Fokus in der Kommunikation von Krisen also auf die kollektive Wirksamkeit, fühlt sich die einzelne Person wirksam und handelt dann auch selbst.

Anschauliche Anregungen und Fortsetzung

Für jede Veranstaltung wurden die zentralen Ergebnisse von Zeichnerin Brigitte Seibold visualisiert. Durch diese „Graphic Recordings“ (graphisch gestaltete Ergebnisübersicht) kann man auch nachträglich in die Erkenntnisse der Abende eintauchen.

Zwar war das, was an den vier Abenden der Reihe „Zeitansagen“ erarbeitet wurde, höchst inspirierend und durchaus ermutigend. Trotzdem könnte man mit Brecht sagen: „Wir stehen selbst enttäuscht und sehen betroffen, den Vorhang zu und alle Fragen offen.“ Deshalb haben sich die Veranstalterinnen und Veranstalter, die Domberg-Akademie Freising und das Landesbildungswerk der KLB in Bayern, dazu entschlossen, die Reihe Anfang 2025 fortzusetzen, diesmal gemeinsam mit dem KDFB Landesbildungswerk Bayern des Frauenbundes. Seien Sie gespannt!


Verfasst von:

Kathrin Steger-Bordon sowie Martin Wagner

Domberg-Akademie Freising sowie KLB Bayern