Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: September-Oktober 2024

Schwerpunkt

Mitbauen am Reich Gottes

Viele Materialien und Publikationen gibt es bereits, um die Arbeit vor Ort zu unterstützen. Einiges ist auch online zugänglich. Foto: CPH

Nachdenken über die Wege zum Einsatz für Demokratie und Menschenwürde

Manchmal finden sich in den Fußgängerzonen moderne Wanderprediger, die den Passanten auf Plakaten oder auch lautstark über Lautsprecher verkünden: „Kehrt um! Glaubt an Gott!“, oder auch: „Das Reich Gottes ist nahe!“ Zumeist werden sie von dahineilenden oder auch flanierenden Menschen entweder nicht weiter wahrgenommen oder man geht ihnen etwas peinlich berührt aus dem Weg. Und gleichzeitig treffen sie mit manchen ihren plakativen Äußerungen eigentlich den Nerv unserer Zeit und auch den Kern der christlichen Botschaft: denn uns allen ist bewusst, dass es mit vielen Dingen in unserer Gesellschaft nicht einfach so weitergehen kann, dass es durchaus eine Umkehr bräuchte, dass eine Besinnung auf das Wesentliche nötig wäre – und für Christinnen und Christen bedeutet dies ganz konkret einen Rückbezug auf das Evangelium. Und auch der Aufruf, am Aufbau des Reiches Gottes mitzuarbeiten, gehört ganz wesentlich zur Botschaft des Jesus von Nazareth.

Seid stets bereit

Die Fußgängerzone ist vielleicht nicht der richtige Ort, das Plakat und der Lautsprecher nicht das richtige Mittel und die Sprache der Bibel mit ihren Bildern und Vergleichen nicht der einfachste Zugang, um die frohe Botschaft zu verkünden. Aber was sind die richtigen Wege? Was ist zu tun? Und nicht zuletzt, was bedeutet dies für einen Einsatz für Demokratie und Menschenwürde in einer Gesellschaft, die oftmals gespalten und von extremistischen Tendenzen gefährdet erscheint? Dazu ein paar Anregungen:

"Seid stets bereit", so ist es im ersten Petrusbrief (1Petr 3,15) so wunderbar formuliert, "jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt." Denn hier wird nicht als erstes gefordert, sich sogleich lautstark einzumischen, sondern erst einmal die eigene Position, die eigene Haltung zu bedenken und sich zu besinnen auf den Grund, auf dem wir stehen. Wenn wir uns als Christinnen und Christen für ein gelingendes, demokratisches Miteinander einsetzen, dann aufgrund der Überzeugung, dass wir in jedem Menschen letztlich unseren Nächsten und ein Abbild Gottes sehen, für den wir uns als unsere Schwestern und Brüder einsetzen. Und wenn wir aus dieser Überzeugung leben und uns engagieren, dann werden unsere Taten überzeugen und wir müssen nicht von uns aus darüber reden, sondern werden ggf. dazu aufgefordert, "Rede und Antwort zu stehen", warum wir das tun.

Mitbauen und Mitwirken

Wir sind aufgerufen, uns gesellschaftlich und politisch einzusetzen und mitzubauen am Reich Gottes. Circa 122-mal kommt der Begriff übrigens im Neuen Testament vor. Im griechischen Originaltext steht dort basileia, was so viel bedeutet wie die Königsherrschaft oder das Reich Gottes. Das muss man heute übersetzen und in einen zeitgenössischen Kontext stellen, denn es bedeutet ja keine Herrschaftsform, sondern wie es im Römerbrief heißt, das Reich Gottes bedeute "Gerechtigkeit und Friede und Freude im Heiligen Geist" (Röm 14,17). Es geht darum, dass wir uns für eine Welt einsetzen, die von Liebe geprägt wird und damit an einem Reich mitbauen, das von gegenseitigem Wohlwollen, von Verständnis und Menschlichkeit durchdrungen ist.

Dieses „dein Reich komme“, wünschen wir und formulieren es so im Vaterunser. Und damit leben wir auch immer in dieser Spannung, dass wir eben mit-bauen und mit-wirken an dieser Vorherrschaft des Guten in der Welt, auch wenn wir gleichzeitig sehen, dass die Vollendung oftmals in weite Ferne rückt und vielleicht manchmal aufschimmert, aber weniger Realität als eine Verheißung bleibt.

Politik am Gartenzaun

Prävention ist wichtig, noch bevor es zu konkreten Vorfällen gekommen ist. Dazu werden Workshops und Seminare, auch vor Ort und online, angeboten. Foto: CPH

Wenn wir wissen, auf welchem Grund wir stehen und uns daran erinnern, berufen zu sein, diese Welt ein wenig besser zu machen, dann müssen wir auch politisch sein, denn politisch meint ja nichts Anderes, als sich in die öffentlichen Angelegenheiten des Gemeinwesens einzumischen. Und Politik beginnt paradoxerweise im Kleinen, bei den Einzelnen mit ihren Einstellungen und Haltungen, die ihr Verhalten und Handeln und damit die Öffentlichkeit prägen. Es braucht das Gespräch im geschützten Raum, manchmal auch (etwas drastischer ausgedrückt) den „Nahkampf“ für die Demokratie. Wenn am Gartenzaun, im Verein und bei der Geburtstagsfeier so unbedeutend erscheinende Sätze fallen, dass wir uns „die Ausländer nicht leisten können“, dass man eben „die Bedeutung der Juden in der Politik nicht unterschätzen dürfe“ und „der Islam die Weltherrschaft anstrebe“, dann müssen wir das Gespräch suchen. Dazu braucht es Vertrauen und die grundsätzliche Haltung, im Gegenüber immer den Menschen zu sehen, den es zu achten gilt, auch wenn wir seine einzelne Ansicht entschieden ablehnen.

In den großen, politischen Arenen ist diese Grundhaltung längst nicht mehr gegeben. Und erst recht nicht in den sogenannten sozialen Medien, die vielmehr zum Brandbeschleuniger einer vergifteten Kommunikationskultur der Falschinformation und des Hasses wurden. Da ist aus dem politischen Gegner, den man überzeugen oder auch im demokratischen Ringen besiegen will, längst der Feind geworden, den man verachtet und vernichten will.

Kirchengemeinden als Diskursräume

Es braucht ganz dringend diese anderen Räume, in denen man vielfältige Meinungen aushalten kann und bei allem Aufzeigen der roten Linien noch im Gespräch bleibt. Kirchengemeinden können solche Orte sein. Vielleicht ist ein Pfarrfest, auf denen sich Klimaleugner und Klimaaktivisten, Traditionalisten und Woke, gemeinhin Rechte und Linke, in einzelnen Gesprächen zuhören und bei allen politischen Unterschieden sich ihr Wohlwollen nicht absprechen, wichtiger als manche Bildungsveranstaltung und Demonstration.

Und natürlich, die roten Linien müssen auch deutlich aufgezeigt, die Feinde der Demokratie und der uneingeschränkten Würde müssen natürlich auch als solche benannt werden. Dazu braucht es Wissen und Bildung, Vernetzung und auch in konkreten Fällen Beratung, wie es unter anderem das Kompetenzzentrum für Demokratie und Menschenwürde der katholischen Kirche in Bayern anbietet (vgl. dazu auch den ausführlichen Bericht in dieser Ausgabe auf Seite 6 und 7).

Unsere Welt scheint aus den Fugen. Eine Pandemie hat uns alle erschüttert und unsere Verletzlichkeit vor Augen geführt, Umweltkatastrophen vermehren sich und erinnern an die Fragilität unserer Erde, ein Krieg tobt mitten in Europa und wirtschaftliche sowie technische Veränderungen stellen alte Gewohnheiten und Sicherheiten in Frage. Viele Menschen retten sich vor der Komplexität unserer Welt in einfache Antworten und suchen radikale Lösungen. Bei aller Notwendigkeit von konkreten Aktionen des politischen Engagements müssen wir uns grundlegend den Fragen der Zeit stellen und den eigenen sicheren und klaren Stand finden, auf dem wir Halt finden und daraus die Motivation gewinnen, im Kleinen unermüdlich für eine menschenfreundliche Welt zu werben und sie auch verteidigen. Vielleicht sind es die kleinen Zonen der Auseinandersetzung, in denen wir etwas erreichen können. Mehr als die Wanderprediger in der Fußgängerzone.

 

Informationen unter www.kdm-bayern.de


Verfasst von:

Siegfried Grillmeyer

Akademiedirektor Caritas-Pirckheimer-Haus, Nürnberg