Ausgabe: September-Oktober 2024
SchwerpunktNicht ohne den anderen
Demokratie und Kirche
In einer Zeit, geprägt von gesellschaftlichen Herausforderungen und politischen Umbrüchen, die immer mehr den Blick darauf richtet, was (frei nach Goethe) „unsere (demokratische) Welt im Innersten zusammenhält“, rücken gerade auch kirchliche Institutionen zunehmend in den Blick der Öffentlichkeit.
Wie viele unserer Institutionen muss sich auch Kirche zunehmend die Frage gefallen lassen, welchen Beitrag sie zu unserem demokratischen Miteinander leistet, wie sie effektiv die Bühnen unserer Welt (analog und digital) bespielen kann und wie sie dabei ihren Einfluss nutzen kann, um unsere Gesellschaft auch zukünftig demokratisch zu erhalten.
Dabei kommt der Rolle der Kirche eine zunehmend wichtige Bedeutung zu: Gleichermaßen als „moralisches Rückgrat“ vermag sie es wie kaum ein anderer, durch ihre menschenbejahende Lehre, ihre Präsenz, ihr Handeln und ihre Struktur demokratische Strömungen in unserer Gesellschaft zu stärken, Unterwanderungen anzumahnen, und – ausgehend von den kleinsten kirchlichen Einheiten – unseren Pfarrgemeinden, Vereinen und Verbänden einen positiven Beitrag zur Förderung einer lebendigen demokratischen Kultur zu leisten; durch ihre vielfältigen sozialen und karitativen Aktivitäten trägt sie auf ganz praktische Weise dazu bei, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern und staatliche Strukturen zu erweitern. Indem es Kirche so schafft, – entgegen dem Trend – weiter mentale, physische und digitale Räume für Dialog, Bildung und Meinungsfreiheit bereitzustellen und die Prinzipien der Demokratie anschaulich vorzuleben, stärkt sie die Zivilgesellschaft direkt an der Basis. Die Werte, die sie dabei repräsentiert, fördern nicht nur einen respektvollen und verantwortungsbewussten Umgang miteinander, sondern machen demokratisches Zusammenleben erst möglich; umso wichtiger ist es, sich dieses enormen Potenzials gewahr zu werden und hier die eigenen Möglichkeiten vollends auszuschöpfen.
Räume für Diskurs eröffnen
Besonders in Zeiten gesellschaftlicher Herausforderungen ist es wichtig, dass die Kirche ihre Rolle als soziale Instanz annimmt und durch ihr Wirken in die Gesellschaft hinein – auf allen ihr offenstehenden Kanälen – Orientierung und Unterstützung für unsere zunehmend gebeutelte demokratische Gesellschaft im Angesicht zunehmender Ressentiments und exklusiver Gesellschaftsvisionen anbietet. Durch eine aktive Teilnahme am zivilgesellschaftlichen Geschehen und in Kooperation mit staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen fördert Kirche schon heute auf ganz praktische Art die Pluralität und Dynamik des demokratischen Diskurses in der Gesellschaft.
Gerade durch ihre Bildungsangebote – in den katholischen Akademien, der Katholischen Erwachsenenbildung (KEB) oder den zahlreichen Verbänden und Ortsgruppen – vermag sie es, Räume zu eröffnen, die es Menschen erlauben, sich miteinander zu vernetzen, Diskurse auszufechten und der Allgemeinheit eine wertebasierte Weltsicht zu vermitteln; gleichsam als Gegenentwurf zur heutigen zunehmend materialistisch, teils gar utilitaristisch geprägten Grundhaltung. Zweifelsohne ist es dabei eine der Herausforderungen der kommenden Jahre, diese vielerorts bereits vorbildliche Vernetzung nun auch in den digitalen Raum zu übertragen.
Digitale Räume nicht nur bereichernd
Leider sieht sich die Demokratie gegenwärtig vielfältigen Gefahren ausgesetzt, die ihre Stabilität und Integrität bedrohen. Populistische Bewegungen und politische Parteien, die das Vertrauen in demokratische Institutionen und Prozesse untergraben, indem sie simplifizierte Lösungen für komplexe Probleme propagieren und Ressentiments gegen Minderheiten schüren, erleben derzeit einen spürbaren Aufschwung. Gleichzeitig tragen die zunehmende Verbreitung von Desinformationskampagnen und Fake News, vornehmlich im digitalen Kontext – den, wie die letzte Europawahl gezeigt hat, gerade radikale Gruppen exzellent zu nutzen wissen – maßgeblich dazu bei, die öffentliche Meinung zu manipulieren und Misstrauen gegenüber etablierten Medien und politischen Akteuren zu säen.
Der digitale Raum und neue Technologien, wie etwa Künstliche Intelligenz (KI), spielen zweifelsohne eine zunehmende und durchaus auch bereichernde Rolle auf der sozio-politischen Ebene; sie stellen jedoch auch eine nicht unerhebliche Herausforderung für unsere gewohnten demokratischen Abläufe dar, haben sie doch die Art und Weise, wie Informationen verbreitet und wahrgenommen werden, grundlegend verändert.
Aktives Mitmischen im digitalen Diskurs
Besonders der Einsatz von Algorithmen in sozialen Medien, Suchmaschinen und Browsern führt leicht dazu, dass Nutzer in sogenannten Filterblasen gefangen sind, in denen sie vor allem mit Informationen konfrontiert werden, die ihre bereits bestehenden Ansichten verstärken, und so das individuelle Realitätsbild maßgeblich verzerren. Dadurch verstärken sich gesamtgesellschaftliche Trends hin zu Polarisierung und erschweren einen konstruktiven öffentlichen Diskurs, der für eine funktionierende Demokratie von so zentraler Bedeutung ist, mit dem Resultat, dass das Vertrauen in demokratische Prozesse weiter untergraben wird und die öffentliche Meinung manipuliert werden kann.
Angesichts dieser Bedrohungen ist es unerlässlich, dass Institutionen wie die katholische Kirche ihre Rolle als moralische Instanz und zur Förderung demokratischer Werte auch in diesen Kontexten und Foren vehement verteidigt, indem sie eben jene offenen Diskurs- und Begegnungsräume erhält, die im digitalen Kontext mitunter verengt werden, und sich auch hier durch aktives „Mitmischen“ als Diskursteilnehmer positioniert.
Mut zur unperfekten Umsetzung
Gerade auf niedrigschwelliger Ebene, wie etwa in Verbänden oder in Pfarreien, kann Kirche nach wie vor merklich zur Stärkung des demokratischen Klimas positiv einwirken: In Form von Bildungs- und Gesprächsangeboten kann sie dazu beitragen, Bühnen für einen offenen und respektvollen Dialog zu schaffen, auf denen unterschiedliche Standpunkte gehört und diskutiert werden können; in der Bespielung digitaler Räume kann sie ihren Werten und Initiativen eine Plattform bieten; durch die Schulung ihrer Mitglieder können Verbände zur Stärkung der „digitalen Resilienz“ beitragen. Wichtig ist hier gar nicht so sehr die von Anfang an absolut perfekte Umsetzung, sondern vielmehr die Etablierung von Plattformen zum gemeinschaftlichen Austausch und die Bereitschaft, mit der Gesellschaft zu wachsen und zu lernen. Bildungsangebote und Seminare können hierbei nicht nur intellektuelle Brandmauern einreißen, sondern auch die Medienkompetenz der Gemeindemitglieder stärken und sie für die Herausforderungen und Chancen des digitalen Zeitalters sensibilisieren. Schon heute ist es nicht zuletzt das kirchliche Engagement in digitalen Netzwerken und Foren, das oft einen merklichen Akzent wider antidemokratische Strömungen setzt.
Indem sich unsere Kirche allem voran als Ort der Begegnung und Reflexion versteht, kann sie so auf allen Ebenen einen wertvollen Beitrag leisten, um ein glaubwürdiges Vorbild für demokratisches Verhalten und moralisches Handeln zu sein; sie kann so als kraftvolle Stimme für Solidarität und Gemeinwohl wirkungsvoll zur demokratischen Kultur und zur gesellschaftlichen Stabilität beitragen und ihrem innersten Auftrag gerecht werden, sich für ein friedlicheres, offeneres und egalitäreres Miteinander einzusetzen.