Ausgabe: September-Oktober 2024
Aus dem LandeskomiteeSonntagsschutz ist Menschenschutz
Ökonomische Auswirkungen und Beeinträchtigung des Gemeinschaftslebens
Der Sonntag als arbeitsfreier Tag steht nicht nur im Grundgesetz, sondern ist auch ein zentrales Element für das soziale Gefüge unserer Gesellschaft. In der aktuellen Debatte um das geplante Bayerische Ladenschlussgesetz setzt sich das Landeskomitee der Katholiken in Bayern erneut vehement für den Erhalt des Sonntagsschutzes ein und warnt vor den negativen Folgen geplanter Änderungen.
Der Sonntag als arbeitsfreier Tag hat in Deutschland Verfassungsrang – das hat das Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen in der jüngeren Vergangenheit immer wieder deutlich untermauert. Gemeinsam mit Gewerkschaften und Verbänden setzt sich das Landeskomitee der Katholiken in Bayern dafür ein, dass der Sonntag zum Wohle der Menschen auch künftig arbeitsfrei bleibt – soweit möglich und der kritischen Infrastruktur zuträglich. Denn bereits heute gibt es zahllose Menschen, für die der Sonntag eben nicht arbeitsfrei, sondern ein ganz normaler Arbeitstag ist – ob in der Pflege, bei Polizei und Rettungsdiensten oder im Tourismus. Sie alle leisten ihren Beitrag für unsere Gesellschaft, damit der Sonntag für die allermeisten ein Tag der Erholung, ein Tag für Zeit mit Familie und Freunden und ein Tag des Ausgleichs sein kann. Ihnen gebührt unser Dank und unsere Anerkennung.
Dass das geplante Bayerische Ladenschlussgesetz nicht an den Grundfesten des Sonntagsschutzes rüttelt – wie in den vergangenen Wochen vielfach zu lesen war – ist aus unserer Sicht falsch. Insbesondere das Zugeständnis an bis zu acht lange Einkaufsnächte sowie der Betrieb von sogenannten „Digitalen Kleinstsupermärkten“ untergraben den Schutz des Sonntags massiv, mit negativen Auswirkungen für die Beschäftigten im Einzelhandel und die gesamte Gesellschaft.
Digitale Kleinstsupermärkte und ihre Folgen
Bei „Digitalen Kleinstsupermärkten“ geht es nicht um die vielerorts beliebten Regio-Automaten am Straßenrand, in denen lokale Produzenten ihre Produkte vertreiben. „Digitale Kleinstsupermärkte“ können nach dem Gesetzentwurf eine Fläche von bis zu 150 Quadratmeter aufweisen. Sie unterliegen keiner Sortimentsbeschränkung (wie etwa die „Souvenirläden“ in den Tourismusgemeinden), funktionieren vollautomatisch und sind rund um die Uhr verfügbar. Zugang und Bezahlung sollen mittels Kreditkarten erfolgen, was einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung von der Teilhabe an diesem Angebot ausschließen würde. Zudem ist eine Verlagerung des Umsatzes von anderen Einzelhändlern hin zu den am Sonntag verfügbaren „Digitalen Kleinstsupermärkten“ zu befürchten. Diese würden also von der Sonntagsschließung der Konkurrenz profitieren. Rentabel erscheinen „Digitale Kleinstsupermärkte“ vor allem für die großen Einzelhandelskonzerne und an Verkehrsknotenpunkten. Der Druck auf die übrigen Einzelhändler steigt. Für eine ganze Reihe kleinerer Unternehmer und Dorfläden würde dies das Aus bedeuten – mit all den Nachteilen für strukturschwächere Regionen, Dorfgemeinschaften und Menschen, die nicht mobil sind.
Viele Geschäfte müssen aktuell bereits Öffnungszeiten reduzieren, weil Personal fehlt. „Digitale Kleinstsupermärkte“ schaffen hier keinen Ausgleich, sondern lösen vielmehr einen weiteren Verdrängungsmechanismus aus. Um den Weg der Digitalisierung mitzugehen, werden Einzelhändler sich gezwungen sehen, Tarifbindungen zu lösen und Stellen abzubauen.
Auswirkungen auf Arbeitnehmer und Gesellschaft
Als Landeskomitee der Katholiken in Bayern stehen wir an der Seite der Beschäftigten, die im Zuge dieser Entwicklung an den Rand gedrängt werden, die vielleicht ihren Arbeitsplatz verlieren – oder gar ihre Existenz. Und wir stehen an der Seite derer, die die Technisierung des Einkaufens nicht mitmachen können oder wollen, weil sie nicht mobil sind, die nötigen Zugangsvoraussetzungen nicht erfüllen oder sich den Umgang mit den neuen Techniken nicht zutrauen. Einkaufen bedeutet Begegnung und menschliche Kontakte. Für das soziale Miteinander und gegen Einsamkeit in unserer Gesellschaft ist es wichtig, diese Orte des Miteinanders und der Begegnung zu erhalten. Arbeitsschutz und faire Löhne, geeignete Formen der Mitbestimmung für die Beschäftigten und geregelte Freizeiten dürfen kein „Nice-to-Have“ sein. Soziale Gerechtigkeit und sozialer Friede sind ein Merkmal einer demokratischen Gesellschaft. Neoliberale Verdrängungsmechanismen lehnen wir strikt ab. Die Politik fordern wir auf, den gesetzlichen Rahmen für ein Arbeiten in Würde und zu fairen Löhnen zu schaffen bzw. zu erhalten.
Der Sonntag muss als Tag der Unterbrechung erhalten bleiben. Ein Tag, der Abstand bietet vom Berufsalltag, der Zeit für Familie und Freunde schenkt, der gemeinschaftliches Engagement ermöglicht. Gerade in unserer Zeit braucht die Gesellschaft Menschen, die sich für sie positiv einsetzen und engagieren, in Vereinen und Verbänden, die zum demokratischen Miteinander beitragen – dafür brauchen die Menschen Zeit an einem freien Sonntag.
Forderungen des Landeskomitees der Katholiken in Bayern
Das Landeskomitee der Katholiken in Bayern lehnt das geplante Bayerische Ladenschlussgesetz in seinem jetzt vorgelegten Entwurf ab. Wir setzen uns ein für:
- Gemeinsame Wertedebatte: Indem Hintergrundinformationen öffentlich gemacht werden und die Menschen über Auswirkungen, Mechanismen, bedrohende Entwicklungen und Beteiligungen informiert werden, auch als Aufgabe der Politik, werden sie befähigt, informierte Entscheidungen zu treffen. Das stützt eine offene Wertedebatte in der Gesellschaft, die nötiger als je geführt werden muss.
- Lebenswerte Gesellschaft: Der Sonntagsschutz ist keine Einschränkung, sondern eine Stärkung unseres Verständnisses von „Sonntag“: Eine Stärkung einer Unterbrechung der Arbeitswoche, der Ruhe, der Zeit, um Kraft tanken – ein „Tag der Erhebung“. Der Sonntagsschutz fördert das Sozialkapital, indem er Zeit für soziale Interaktionen und gemeinschaftsbildende Aktivitäten bietet. Sozialkapital, verstanden als Netzwerke, Normen und Vertrauen, die das soziale Gefüge stärken, ist entscheidend für das Funktionieren einer Gesellschaft. Freie Sonntage bieten eine strukturelle Möglichkeit, diese sozialen Netzwerke zu pflegen und zu stärken, was sich positiv auf das kollektive Wohlbefinden auswirkt. In der Parteinahme für Verdrängte sorgt der Sonntagsschutz dafür, dass mehr Partizipation für viele Teile der Gesellschaft möglich ist. So wird Verteilungsgerechtigkeit gestützt, was dazu dient, dass mehr Frieden einkehren kann und letztlich Demokratie gestützt wird.
- Schutz von Arbeitnehmerrechten: Es zählt zu unserem Kernauftrag als Teil der verfassten Kirche, insbesondere auch auf der Seite der Beschäftigten zu stehen. Dazu gehören gerechte Lohnverträge, dem Menschen zumutbare Arbeitszeiten und ein ausreichend geregelter Gesundheitsschutz. Der Sonntagsschutz wird als Instrument sozialer Gerechtigkeit verstanden. Er schafft einen gleichberechtigten Zugang zu Ruhezeiten, unabhängig von sozioökonomischem Status oder Beschäftigungsverhältnis. In prekären Beschäftigungen, in denen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oft geringeren Einfluss auf ihre Arbeitszeiten haben, gewährleistet der Sonntagsschutz eine universelle Regelung, die alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schützt und soziale Ungleichheiten mindert.
- Stärkung der ländlichen Räume und der Nahversorgung: Maßnahmen zur Förderung der Nahversorgung müssen den Bedürfnissen der Bevölkerung, insbesondere in ländlichen Gebieten, gerecht werden und dürfen nicht zu einer weiteren Konzentration auf große Handelskonzerne und Verkehrsknotenpunkte führen.
- Keine Entgrenzung beim Ladenschluss: Das Landeskomitee setzt sich in allen Bereichen für eine positive Entwicklung für den Handel und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein. Eine weitere Ausdehnung und Freigabe der Ladenschlusszeiten würde zu keinen verbesserten Lebens- und Wirtschaftsbedingungen führen.
Kirche als Gemeinschaft aller Gläubigen wird ihrer Verantwortung als gesellschaftsprägender Faktor nur gerecht, wenn sie sich für den Sonntagsschutz einsetzt, denn letzten Endes ist es ein Schutz des Menschen und Schutz von Gesellschaftsstrukturen, in denen wir und unsere Nachkommen gerne leben möchten.
Verfasst von:
Alexandra Hofstätter und Hannes Bräutigam
Geschäftsführerin des Landeskomitees sowie Redaktionsleiter