Ausgabe: September-Oktober 2024
Schwerpunkt - Vor OrtVerwirrend bis gefährlich
Auch in Pfarreien muss mit stark abweichenden Ansichten umgegangen werden
Erst scharten sie nur ein Fähnlein von Sympathisanten um sich. Nach und nach wuchs die Zahl der Anhänger. Heute gibt es, wie bei der EU-Wahl zu sehen war, eine Schar von Bürgerinnen und Bürgern, die gut finden, wie sich die AfD positioniert. Was sie fordert. Was sie kritisiert. Zwangsläufig schwappt die Problematik in katholische Gremien. Dies wirft die Frage auf, wie man damit umgehen soll, wenn undemokratische und unchristliche Positionen geäußert werden.
Es gibt unterschiedliche Gründe, warum sich Bürgerinnen und Bürger wegbewegen von traditionellen Parteien. Nicht zuletzt durch die Coronakrise, aber auch durch Umweltvorschriften hat eine wachsende Zahl von Bürgerinnen und Bürgern das Gefühl, der Staat habe sie inzwischen allzu sehr am Gängelband. Einige informieren sich alternativ. Und kommen zu dem Schluss, dass in Wirklichkeit alles ganz anders ist als von den etablierten Medien dargestellt. Auch einige Katholikinnen und Katholiken scheinen jegliche Berührung mit der Realität verloren und die christliche Gedankenwelt verlassen zu haben. Damit in Gremien konfrontiert, machen jene, die das nicht nachvollziehen können, oft ein ratloses Gesicht. Wie reagieren?
Für Michael Wolf gibt es Fragen, bei denen man sich nicht auf halbem Weg treffen kann. Der promovierte Physiker engagiert sich im Pfarrgemeinderat von Hösbach-Bahnhof und ist Vorsitzender des Diözesanrats der Katholiken im Bistum Würzburg. Die Grenze des Erträglichen ist für ihn zum Beispiel dann überschritten, wenn Asylbewerber völlig unabhängig von der Betrachtung des Einzelfalls in toto verteufelt werden. „Überhaupt, werden Ausländer gegenüber Deutschen abgewertet, stehe ich auf“, sagt er.
Grundsätzlich, so Wolf, müsse man sich bei der Gremienarbeit auf Konflikte einstellen: „Volle Harmonie wäre reines Wunschdenken.“ Gerade im Pfarrgemeinderat sollte man sich Gedanken über ein friedliches Miteinander trotz divergierender Ansichten machen. Wie man mit Menschen verschiedener Couleur umgeht, weiß der Naturwissenschaftler aufgrund seines Berufs gut: Michael Wolf kommt aus der Industrie.
Viel Fingerspitzengefühl
Sitzungen des Pfarrgemeinderats versucht er mit viel Fingerspitzengefühl zu leiten. Bei Konflikten ist er bestrebt, ausgleichend zu wirken. Jeder soll zu Wort kommen. Vielredner werden gedämpft: „Ohne dass man ihnen das Wort entzieht.“ Schwierig sind für Michael Wolf Zeitgenossen, die allzu einfache Erklärungen für komplexe Zusammenhänge gefunden haben: „Oder die aus ihrer Anschauung ein Evangelium machen.“
Unvergesslich ist für ihn ein Pfarreimitglied, das ihm vor vielen Jahren eine merkwürdige Mail schrieb: „Der Mann wollte die D-Mark zurück.“ Michael Wolf ging nicht weiter darauf ein. Dann kam es zu immer merkwürdigeren Ansichten. Das irritierte ihn zunehmend: „Vor allem, weil die Person selbst unheimlich nett ist.“ Brüche, wird für ihn an diesem Beispiel anschaulich, sind meist nicht rapide. Gewöhnlich komme es zu einem allmählichen Abdriften.
Gerade zum Thema AfD hat der Christ eine klare Haltung. Die Partei ist für den Demokraten zwar nicht zum Inbegriff des Schreckens geworden. Michael Wolf geht eher davon aus, dass viele Bürger die AfD diesmal aus Protest gewählt haben. Womöglich machen sie ihr Kreuzchen das nächste Mal woanders. Tabu ist für ihn jedoch ein gleichzeitiges Engagement im Pfarrgemeinderat und in der AfD. Der Partei beizutreten, allerdings nicht zu dem stehen zu wollen, was radikale Parteimitglieder öffentlich sagen, sei nicht möglich.
Abstruse Vorstellungen
Dass es Menschen gibt, die abstruse Vorstellungen von der Welt haben, hat Verena Grabietz aus Karlsfeld bei den Pfadfindern erlebt. Die 25-Jährige ist Vorsitzende des dortigen Stamms der Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg. Eine Frau, die sich nach ihren Worten jahrelang bei den Karlsfeldern Pfadfindern engagierte, stieg unlängst aus – worüber alle froh waren. „Sie hing Corona-Verschwörungserzählungen an, wobei das große Problem war, dass man sich nur sehr schwer mit ihr darüber unterhalten konnte“, sagt Verena Grabietz.
Pfadfinder wollen Kinder zu selbstständigem Denken und zu selbstständigem Handeln befähigen. Die Kinder sollen nicht politisch beeinflusst, sie sollen nicht indoktriniert werden. „Dass diese Frau mit ihren Verschwörungserzählungen auch zu den Kindern kam, fand ich sehr problematisch“, sagt die Jungscharleiterin.
Ein böser Plan?
Die Frau war überzeugt, dass hinter der Pandemie ein böser Plan steckt. Wo der unwiderlegbare Nachweis für diese Behauptung sein sollte, konnte sie nicht vermitteln. Sie glaubte außerdem, dass die Menschen durch die Coronapolitik bewusst ihrer Freiheit beraubt werden sollten: „Und dass die uns nicht wiedergegeben wird.“ Sie wollte keine Masken tragen. Und war gegen die Impfungen. „Das Schlimmste von allem aber war, dass sie unablässig darüber reden wollte“, so Verena Grabietz.
Die junge Frau ist dafür, offen zu diskutieren. Was natürlich nur geht, wenn beide Seiten nachvollziehbare Argumente haben. Und sie ist dafür, couragiert zu handeln. Letzteres wurde vor nicht langer Zeit bei einem großen Zeltlager verschiedener Pfadfinderstämme nötig. „Ein Pfadfinder eines anderen Stamms verbrannte eine Deutschlandfahne“, berichtet sie. Mitglieder ihres Stamms brachten zum Ausdruck, dass sie das überhaupt nicht gut fänden. Dann geschah etwas, womit Verena Grabietz, für die die Aktion linksextremen Charakter hatte, niemals gerechnet hätte: „Durch die Blume gab man uns zu verstehen, dass man uns für rechtsextrem hält.“
Lange habe ihr Stamm versucht, eine Versöhnung hinzubekommen. Doch die anderen Pfadfinder schienen dazu nicht in der Lage zu sein. „Uns würde eine Entschuldigung reichen, wir würden uns wünschen, dass wir einander wieder die Hand geben“, sagt Verena Grabietz. Die Konsequenz aus dem Vorfall ist, dass sich nun Arbeitsgruppen von Pfadfindern auf Bezirksebene gebildet haben, die eine Handreichung zu Links- und Rechtsextremismus erstellen wollen.
Völlig abweichend
Dietrich A. (Name geändert), Pfarrgemeinderatsvorsitzender einer Pfarrei im Großraum München, kennt keine Leute, die Latrinenparolen verbreiten. Einmal hatte er es jedoch in seiner Gemeinde mit einer Ehrenamtlichen zu tun, die sich zu seinem Erstaunen völlig abweichend in Bezug auf den Israel-Konflikt positionierte. Was sie ihm erklärte, war für ihn nicht einfach nur eine fälschliche Behauptung. Es stellte einen Tabubruch dar.
Bis vor zwei Jahren kannte Dietrich A. ausschließlich Menschen in seiner Pfarrei, die aus Verantwortung handeln und gut miteinander auskommen wollten. Am Beispiel seiner Pfarrei wird jedoch manifest, wie schnell schier unlösbare Konflikte entstehen können. Und wie schwer es ist, Spaltungen zu überwinden. Aufgrund einer Personalie zerstritten sich vor zwei Jahren zwei Gremien in seiner Pfarrei. Der konkrete Zankapfel ist zwar inzwischen beseitigt. „Doch der Groll bleibt“, sagt der Katholik, der anonym bleiben möchte, um nicht noch mehr Feindseligkeiten zu schüren.
Wer behauptet, dass es doch eine einfache Aufgabe wäre, gut in Gruppen auszukommen, wenn nur alle guten Willens sind, versteht wenig von Psychologie. Früher oder später prallen Ansichten aufeinander. Dann braucht es ein Händchen dafür, damit umzugehen. „Je unsicherer jemand ist, umso schwerer ist es für ihn, Abweichendes auszuhalten“, sagt Dominikus Bönsch. Der Lohrer ist von Beruf Psychiater, ehrenamtlich engagiert er sich in der Lohrer Pfarrverwaltung. Der klaren Linie des Lohrer Pfarrers Sven Johansson ist es nach seiner Ansicht zu verdanken, dass es bisher nie zu Konflikten wegen stark abweichender Meinungen gab: „Durch seine klare Haltung können für solche Meinungen kaum Lücken entstehen.“