Ausgabe: November-Dezember 2024
SchwerpunktGerechter Wirtschaften für eine lebenswerte Welt
Die Demokratie steht mit anderen Staatsformen im Wettbewerb. Von einem Staat erwarten die Menschen, dass er dafür sorgt, dass sie in Frieden, sozial gesichert und menschenwürdig leben können. Der Sozialstaat ist eine wichtige Säule in der Demokratie. Demokratische Staaten wirtschaften auch deshalb oft erfolgreicher, weil sie ein verbindliches Rechtssystem mit abgesicherten Eigentumsrechten und verlässliche Institutionen haben. Im Gegensatz zu Autokratien sind Demokratien gerechter und schützen Unternehmen vor Willkür.
Bis in den 1970er Jahren war in der Bundesrepublik die „Soziale Marktwirtschaft“ als Wirtschaftssystem nahezu unumstritten. Sie hatte ihre Wurzeln unter anderem in der christlichen Soziallehre mit ihren Prinzipien „Personalität“, „Subsidiarität“, „Solidarität“ und „Gemeinwohl“. Ein weiterer wesentlicher Eckpfeiler der sozialen Marktwirtschaft ist die Mitbestimmung über Gewerkschaften. Die Gemeinwohlorientierung der Wirtschaft und der Gesellschaft wurde sogar im Grundgesetz und in der Bayerischen Verfassung verankert. In den USA und in den westeuropäischen Ländern setzte sich in und nach den 1980er Jahren immer mehr eine marktradikale Wirtschaftsform durch, auch als Neoliberalismus bekannt. Erst nach der Finanzkrise 2007 / 2008 begann langsam ein Umdenken und zaghaftes Umlenken.
Die Auswirkungen des Klimawandels und die zunehmende Ungleichheit innerhalb vieler Länder sind Beispiele, dass der Markt nicht alles regeln kann. Als Alternative bietet sich die „Ökosoziale Marktwirtschaft“ an. Faire soziale Rahmenbedingungen und eine Gemeinwohlorientierung sorgen dafür, dass die Wirtschaft den Menschen dient. Mit der Erweiterung durch das Nachhaltigkeitsprinzip in der sozialen Marktwirtschaft wird den Grenzen des Planeten Erde als Lebensraum und Ressource Rechnung getragen.
Der demokratische Rechtsstaat in Verbindung mit der ökosozialen Marktwirtschaft könnte wahrscheinlich am besten dafür sorgen, dass alle Menschen im Sinne des Weltgemeinwohls selbstbestimmt und menschenwürdig leben können. In diesem Zusammenhang ist die Verleihung des Wirtschaftsnobelpreises 2024 an die drei Ökonomen Daron Acemoglu, Simon Johnson und James A. Robinson interessant. Ihre Studien zeigen, verkürzt dargestellt, dass demokratische Staaten oft erfolgreicher und gerechter wirtschaften als andere.
Wenn auch eine Vertiefung der Frage nach Gerechtigkeit den Rahmen sprengen würde, so sei hier zumindest das Gerechtigkeitskonzept des Amerikaners John Rawls erwähnt. In seinen Arbeiten differenzierte er zwischen Verteilungs-, Leistungs- und Chancengerechtigkeit sowie die Gerechtigkeit zwischen den Generationen. Er befasste sich mit Bedeutung der Gerechtigkeit für die Demokratie und für das gesellschaftliche Zusammenleben.
Spannungsfelder auf nationaler Ebene
In vielen Bereichen vermag der Markt durchaus einen wichtigen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten, besonders dann, wenn ein funktionierender und fairer Wettbewerb gewährleistet ist. In Bereichen der Daseinsvorsorge, des Gesundheits- und Bildungswesen scheint dies fraglich zu sein, wenn diese allein dem Wettbewerb ausgesetzt sind. Dass in der kommunalen Daseinsvorsorge, im Gesundheits- und Bildungswesen auf nationaler Ebene noch ein enormer Verbesserungsbedarf vorhanden ist, steht außer Frage. Weitere Spannungsfelder in Deutschland sind u.a. bezahlbarer Wohnraum, Energieversorgung, Rente, Arbeit und soziale Sicherungssysteme.
In den letzten Jahren erfuhr die Gemeinwohldiskussion einen starken Impuls durch den Österreicher Christian Felber. Er stellt unser jetziges Verständnis von Wirtschaft infrage und versucht, im Rahmen der „Gemeinwohl-Ökonomie“ der Wirtschaft (griech. oikonomia) ihren ursprünglichen Sinn und Platz in der Gesellschaft zurückzugeben. So soll z.B. der Erfolg eines Wirtschaftsunternehmen nicht nur am Umsatz und am Gewinn gemessen werden, sondern auch daran, welchen Anteil es für das Gemeinwohl beigetragen hat. Ähnliche Ziele verfolgt der Ökonom und Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus aus Bangladesch. Er verhalf den Armen durch Mikrokrediten Zugang zum Wirtschaftsleben und stärkte die Idee des „Sozialen Unternehmertums“.
Keine Branche irritiert so sehr das Gerechtigkeitsempfinden wie das Banken- und Finanzwesen. Teile der Finanzwirtschaft haben anscheinend völlig die Gemeinwohlorientierung verloren. Sie dienen nicht mehr der Realwirtschaft, sondern versuchen vor allem durch Spekulationen nur noch mit Geld noch mehr Geld zu generieren ohne Wertschöpfung. Der große Profit kommt nur ganz wenigen zugute. Hier bedarf es großer Anstrengungen, die Finanzwirtschaft so zu verändern, dass sie wieder das Gemeinwohl aller Menschen im Blickfeld hat. Einen großen Beitrag zu mehr Transparenz und Gerechtigkeit leistet die Bürgerbewegung Finanzwende e.V.
Weltwirtschaft im Zeichen der Globalisierung
Es mag zur Zeit populistische Strömungen geben, die versuchen, sich der Globalisierung durch Abschottung und Protektionismus zu entziehen. Dies hat in der Vergangenheit nicht funktioniert und wird sich auch in Zukunft nicht dauerhaft bewähren.
Durch internationale Institutionen wie etwa die Weltbank, der Internationale Währungsfonds, die WTO oder die OECD hat die Staatengemeinschaft versucht, den Welthandel multilateral zu organisieren. Unter dem Druck des globalen Wettbewerbs und staatlicher Egoismen wurden immer mehr bilaterale Freihandelsabkommen geschlossen, nicht immer zum Wohle der Menschen und der Natur. Der von den Kirchen mitinititierte „Faire Handel“ mag gemessen am Welthandeslvolumen sehr gering sein, zeigt aber, dass es grundsätzlich auch anders gehen kann.
Auch in der relativ jungen Branche der Digitalwirtschaft und der „Sozialen Medien“ steht das Gemeinwohl nicht an erster Stelle. Unbestritten sind viele Vorteile der Digitalisierung, auf die man heute kaum noch verzichten mag. Andererseits sind die berechtigten Interessen der Nutzer, letztendlich der Bürgerinnen und Bürger, durch die Monopolstellung einiger Tech-Konzerne und durch die asymmetrische Machtverteilung enorm gefährdet. Hier besteht noch ein großer Korrekturbedarf, damit Gerechtigkeit und Gemeinwohl nicht gänzlich unter die Räder kommen.
Die Rolle der Kirche
Das Landeskomitee der Katholiken in Bayern sowie andere kirchliche Gremien und Organisationen erhoben in der Vergangenheit wiederholt zu wirtschaftlichen Fragen ihre Stimme. So zum Beispiel zur Finanztransaktionssteuer, zum Lieferkettengesetz, zum Sonntagsschutz, zur sozialökologischen Transformation, zur Landwirtschaft, zum Flächenverbrauch, zu Freihandelsabkommen und zum Weltgemeinwohl. Gerade Papst Franziskus hat sich mit seinen Verlautbarungen „Evangelii Gaudium“ und „Laudato Sí“ zur Weltwirtschaft kritisch geäußert. Momentan wird die Studie der Deutschen Bischofskonferenz zur Ernährungssicherheit, Biodiversität und globalen Landnutzung kontrovers diskutiert. Dies alles ist wichtig, wird aber in Zukunft nicht ausreichen. Die katholische Kirche sieht sich gerne als „Global Player“ und gehört in Deutschland zu einem der größten Arbeitgeber sowie zu den größten Immobilien- und Grundbesitzern. Aus dieser Position heraus könnte sie die appellative Ebene verlassen und selbstbewusster auftreten. Dazu müsste sie jedoch selbst so wirtschaften, dass sie als glaubwürdiges Vorbild dienen kann.
Die Bürgerbewegung Finanzwende e. V. ist eine Organisation, die sich für Reformen im Finanzsektor einsetzt. Ziel der Initiative ist es, eine Finanzwirtschaft zu fördern, die dem Gemeinwohl dient und nachhaltig ist. Gegründet wurde sie 2018 von ehemaligen Bundestagsabgeordneten und Finanzexperten, darunter Gerhard Schick. Finanzwende engagiert sich durch Bildungsarbeit, politische Kampagnen und öffentliche Aufklärung, um Transparenz und Verantwortung im Finanzsystem zu stärken.
Weiteres Infos zur Bürgerbewegung Finanzwende e. V. finden Sie hier.