Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: November-Dezember 2024

Schwerpunkt

Raus aus den Blasen

Frauen sind mehr in Gremien vertreten, Männer eher in sichtbaren Führungspositionen. Foto: Anna Hennersperger

Es ist eine spannende Anfrage: Inwieweit sind kirchliche Gremien sozial- und geschlechtergerecht zusammengesetzt oder auch nicht und was bildet sich in den Gremien damit gesellschaftlich ab?

 

Erste Wahrnehmung: Beim Stichwort „Geschlechtergerechtigkeit und Kirche“ eröffnet sich augenscheinlich eine deutliche Spannung zwischen den biblischen Aussagen und der vorfindbaren Realität. Im Brief an die Gemeinde in Galatien gibt der Apostel Paulus zum Beispiel deutlich zu verstehen, dass – neben anderen Diskriminierungen – auch die sexistische im Umfeld der Nachfolge Jesu aufgehoben sei: „Es gibt nicht mehr […] männlich und weiblich; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus.“

Und die Evangelien erzählen vom Umgang Jesu mit Frauen durchwegs, dass er dabei mehr als einmal die herkömmlichen Grenzen der gesellschaftlichen Konventionen durchbrochen und damit bei den Frommen und Gesetzestreuen Anstoß erregt hat.

Rückzug der Männer

Wie also verhält es sich mit der „Geschlechtergerechtigkeit“ in den Gremien? Wie zeigt sich das vor Ort? Stellen Sie sich, liebe Leserin, lieber Leser, die vielen Pfarrgemeinden und Pfarrgemeinderäte ohne das Engagement von Frauen vor. Denn faktisch sind es die Frauen, die in ganz vielen Gruppen, Gremien und Initiativen das kirchliche Leben und Wirken vor Ort bereichern und damit auch – im wahrsten Sinne des Wortes – am Leben erhalten. Frauen tragen die Kirche. Vor allem auch als gewählte Verantwortungsträgerinnen in den Pfarrgemeinderäten. Denn die Männer haben sich – ob still und leise oder nicht – aus diesem Gremium mit steigender Tendenz bereits seit Ende der 1970er Jahre des letzten Jahrhunderts zurückgezogen. In der Forschung nennt man diese in mehreren Schüben ablaufende Entwicklung die „Feminisierung“ und „Entmaskulinisierung“ des kirchlichen Gemeindelebens.

„Auffallend ist, dass zunehmend Frauen in den Pfarrgemeinden eine führende Rolle übernommen haben, ganz wie das Konzil dies gewünscht hat. So erfreulich es ist, könnte dies auch einen bedenklichen Rückzug der Männer aus dieser Aufgabe signalisieren, wie er […] in vielen Gemeinden bereits beklagt wird.“ So der frühere Vizepräsident des Zentralkomitees der Katholiken, Walter Bayerlein, in einem Artikel aus dem Jahr 1996.

Männer sichtbar an Machtpositionen

Was damals als Tendenz wahrgenommen wurde, hat sich in der Zwischenzeit als fester Trend etabliert. Bei der PGR-Wahl 2022 zeigt die Statistik, dass die Verteilung bayernweit zwischen Frauen und Männern bei 2/3 zu 1/3 liegt. In der Analyse zur Pfarrgemeinderatswahl der Erzdiözese München und Freising heißt es dazu: „Der Anteil der Frauen, die in den Pfarrgemeinderäten gewählt wurden, lag im Jahr 2010 bei 59,3%, […] und jetzt sind 67,1% der PGR-Mitglieder weiblich.“ Zur Ursachenforschung meint der Verfasser der Analyse, dass der hohe Frauenanteil wohl damit zusammenhängen würde, dass in den Pfarrgemeinden die Familienarbeit beziehungsweise Arbeit mit Kindern einen hohen Stellenwert habe. Eine interessante Aussage zu den herkömmlichen Rollenbildern und Kirche. Und der Autor fügt – hoffnungsfroh (?) – hinzu, dass der Pfarrgemeinderat für Kirche und Gesellschaft eine Vorreiterrolle habe, weil kein öffentliches Gremium einen so hohen Frauenanteil vorzuweisen hat. Dieser Interpretation wäre einiges entgegenzusetzen. Nur so viel: Das entweder völlige Fehlen der Männer oder deren Unterrepräsentation in den Pfarrgemeinderäten Bayerns bestätigt, dass Männer kirchlich und kirchenamtlich diejenigen Positionen einnehmen, in denen es um faktische Gestaltungsmacht und öffentliche Präsenz geht, wie zum Beispiel in den Kirchenverwaltungen, Stiftungsräten, in Bau- oder Diözesansteuerausschüssen. Hier fehlen leider oftmals die Frauen und deren Perspektiven.

Dazu passt auch die Wahrnehmung, dass auf der Ebene der Diözesanräte, also im kirchenpolitisch-öffentlichen Feld in allen bayerischen (Erz-)Diözesen sowie im Landeskomitee an der Spitze die Männer die Mehrheit bilden. Lediglich in Augsburg und Regensburg finden sich Frauen an erster Stelle, in der Erzdiözese Bamberg teilt sich ein Duo die Position der und des Vorsitzenden. Die stellvertretenden Vorstände hingegen sind zwischen Frauen und Männern sehr ausgeglichen besetzt.

Vielfalt in den Verbänden

Was deckt die mangelnde Präsenz der Männer in den Pfarrgemeinderäten vor Ort auf? Welchen Stellenwert und welches Gewicht hat die Mitarbeit in diesem Gremium für Kirche? Müsste hier nicht endlich über eine Veränderung des Kirchenrechts mehr Gerechtigkeit im Sinne von synodaler Mitbestimmung ermöglicht werden?

Anders zeigt sich soziale und geschlechtergerechte Zusammensetzung in der Buntheit der kirchlichen Verbände. Dabei vor allem in den Jugendverbänden. Hier lernen junge Menschen Demokratie und können sich im Umgang mit Vielfalt einüben. Die Vorstände der Verbände sind zumeist gemischtgeschlechtlich besetzt. Jedenfalls sehen es die Satzungen so vor. Für die Mitgliedschaft in den Gruppen gibt es keine Vorgaben – wer dabei sein will, der oder die kann. Die Zugangsschwellen sind niedrig. Gleiches gilt wohl auch für die Erwachsenenverbände wie Kolping, Katholische Landvolkbewegung, Gemeinschaft Christlichen Lebens, Familienbund oder Katholische Arbeiterbewegung. Dass die Frauenbewegung oder der Frauenbund nicht „geschlechtergerecht“ aufgestellt sind, liegt verständlicherweise in der Natur der Sache. Aber sie machen sich jeweils – nach meiner Wahrnehmung – deutlich und unüberhörbar für eine geschlechtergerechte Kirche und Gesellschaft stark.

Zuerst Zufriedenheit, dann Ehrenamt

Ein zweiter Gesichtspunkt: Die Sinus-Milieustudie von 2013 und neuerlich von 2022 hat anschaulich sichtbar gemacht, was als Entwicklung schon länger wahrzunehmen war: Menschen, die sich der Kirche zugehörig fühlen, sind lediglich (noch) in zwei der zehn Milieus vertreten: im sogenannten traditionellen sowie im konservativ-gehobenen Milieu und noch etwas in der bürgerlichen Mitte. Die Leitwerte dieser Milieus sprechen für sich: Harmonie, Sicherheit, Sorge und Pflege des Bewährten, Balance und Modernität.

Dazu kommt – im Sinne der Fragestellung dieses Beitrags – noch ein weiterer wichtiger Punkt. Aus den regelmäßigen Erhebungen des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, dem sogenannten Deutschen Freiwilligensurvey (FWS) zum Ehrenamt weiß man, dass mehr als ein Drittel der Deutschen ehrenamtlich tätig ist. Dabei handelt es sich tendenziell um gebildete, beruflich erfolgreiche, gutverdienende Menschen. Leute aus der Mitte der Gesellschaft also. Umgekehrt bedeutet es: je geringer das Einkommen oder je schwächer der Bildungsgrad, desto seltener können sich Menschen ein Ehrenamt „leisten“, weil sie mit der Sorge um die materiellen Lebensgrundlagen mehr als ausgelastet sind. Der Befund zeigt: Wer zufrieden ist, kann etwas hergeben: sei es Zeit, Kreativität und materielle Ressourcen. Wer sich hingegen in einer schwierigen Lebenslage befindet, hat oft genug mit sich selbst zu tun.

Für die soziale Zusammensetzung in den kirchlichen Gremien heißt das, dass sich in hohem Maße dort wohl Frauen und Männer, Jugendliche und junge Erwachsene aus der sogenannten Mittelschicht finden. Das allein ist noch kein Grund zur Sorge. Problematisch wird es dann, wenn in diesen Gremien der sogenannte „Blaseneffekt“ auftritt: man also nur noch um das eigene Wohl kreist.

Es darf nicht aus dem Blick geraten, was der Auftrag von Kirche – aus dem Geist des Evangeliums – ist: Nachfolge Jesu konkret in der Spur der Gerechtigkeit über gelebte Solidarität und selbstlosem Einsatz dafür, dass im Umkreis von Kirche alle Platz haben und niemand ausgeschlossen oder ausgegrenzt wird.


Verfasst von:

Anna Hennersperger

Pastoralreferentin, Supervisorin und Coach in Passau