Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: Januar-Februar 2025

Interview

Ehrenamt als Kitt unserer Gesellschaft

Foto: www.schmidtgabi.de

Im Gespräch mit Gemeinde creativ spricht Gabi Schmidt, Ehrenamtsbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung , über ihre Prägung durch das Ehrenamt, die unverzichtbare Rolle ehrenamtlicher Arbeit und wie wir das Ehrenamt zukunftsfähig gestalten können.

Gemeinde creativ: Frau Schmidt, was hat Sie persönlich motiviert, Ehrenamtsbeauftragte für Bayern zu werden?

Gabi Schmidt: Das war tatsächlich das Einzige, wofür ich politisch richtig gekämpft habe. Ich bin ein echtes Dorfkind und komme aus einer großen Ehrenamtsfamilie. Meine Oma war die dienstälteste Mesnerin bei uns, mein Vater hat für uns Kinder den Schützenverein gegründet. Ich war immer engagiert, in der evangelischen Jugend, im Jugendchor. Ehrenamt war schon immer Teil meines Lebens.

In den letzten Jahren hatte ich das Gefühl, dass man gar nicht mehr weiß, wie viel großartiges Ehrenamt wir im ländlichen Raum haben. Viele Tätigkeiten sind nicht sichtbar, wie Nachbarschaftshilfen oder Elternbeiräte im Kindergarten. Es ist erstaunlich, was alles zusammenbrechen würde, wenn es das Ehrenamt nicht gäbe.

Was macht Ihr Amt als Ehrenamtsbeauftragte konkret aus?

Am meisten Freude bereitet mir, dass ich überall sein darf, bei allen Gesprächen und in allen Ministerien, wenn es um das Ehrenamt geht. Ich darf die Anliegen der Ehrenamtlichen einbringen und den Dank der Staatsregierung weitergeben. Es ist eine Schnittstelle, eine Ehrenamts-Schleuse, die beide Seiten verbindet. Das macht unwahrscheinlich viel Spaß.

Was hat sich Ihrer Meinung nach in den letzten Jahren verändert?

Früher gab es Menschen im Ehrenamt, die glaubten, außer ihnen würde es niemand machen, und suchten vor allem Anerkennung. Das ist ein schwieriges Signal nach außen. Ehrenamt sollte Freude bereiten und nicht nur des Ansehens wegen ausgeübt werden. Es verbessert das Leben, man bekommt ein Grundverständnis für Demokratie, muss gut argumentieren und kommt mit vielen Menschen zusammen, die man sonst nie kennengelernt hätte. Man ist nicht in seiner beruflichen Blase, sondern erlebt die ganze Breite unserer Gesellschaft. Das ist absolut bereichernd.

Wir müssen jungen Menschen erzählen, wie toll das ist. Vielleicht brauchen sie andere Formen des Ehrenamts, weil sie mobiler sind als wir. Mein Traum ist es, ihnen zu zeigen, dass sie den Schlüssel für das Haus Ehrenamt haben, egal ob sie in Regensburg oder München studieren. Wir müssen Wege finden, dass Datenschutzbestimmungen nicht so eng gefasst sind, sodass Vereine oder kirchliche Organisationen sie ansprechen können, auch wenn sie umziehen.

Wie können wir junge Menschen für das Ehrenamt begeistern, besonders in Zeiten von Mobilität und Digitalisierung?

Wir müssen das digital lösen. Ein Verzeichnis, in dem Ehrenamtliche registriert sind, könnte helfen, leichter Anschluss zu finden. Wir brauchen weniger Hürden und ein flexibleres, digitales Ehrenamt. Vielleicht Assistenzmodelle, bei denen jemand die digitalen Medien bedient. Das muss nicht jeder Kirchenvorstand selbst können. Mehr projektbezogene Engagements, bei denen sich Menschen zeitlich begrenzt einbringen können, wären sinnvoll. Gerade für junge Menschen ist Flexibilität wichtig.

Stichwort Bürokratie und Ehrenamt – wie können wir Ehrenamtliche entlasten?

Wir arbeiten an einem Ehrenamtsgesetz, das vieles erleichtert, zum Beispiel bei Veranstaltungen. Es muss auch digital machbar sein. Es wäre hilfreich, wenn Ehrenamtliche jemanden berufen können, der sie unterstützt, ohne dass Datenschutzverordnungen im Weg stehen. Wir müssen Hürden abbauen.

Sie haben erwähnt, dass das Ehrenamt im kirchlichen Bereich eine große Rolle spielt, etwa bei den Ministranten. Wie sehen Sie das?

Das ist etwas ganz Besonderes. Oft denkt man nicht daran, dass das ein Ehrenamt ist, für das sich junge Menschen bereits engagieren. Viele bleiben dann in der Jugendarbeit aktiv. Wenn ich zurückdenke: meine Jugend im Pfarrheim war geprägt vom Ministrantendienst. Bei uns Evangelischen haben wir den Konfirmandenunterricht, aber das heißt Unterricht und man muss da sein. Bei den Ministranten lernen die Jugendlichen Verantwortung und das wirkt freier. Viele werden so ans Ehrenamt herangeführt und bleiben dabei, sei es im kirchlichen oder in anderen Bereichen. Das ist eine wunderbare Tradition, die wir erhalten sollten.

Sie sind viel in Bayern unterwegs und treffen Menschen vor Ort. Wie wichtig ist Ihnen das?

Das ist mir sehr wichtig. Ich möchte die Ehrenamtlichen sichtbar machen, ihnen danken und ihre Geschichten erzählen. Es ist großartig, den Dank der Staatsregierung zu überbringen. Es macht Freude, die Vielfalt des Ehrenamts zu erleben, sei es die Kriegsgräberpflege oder die Hospizbegleitung. Das sind Ehrenämter, die vom Herzen und der Seele kommen müssen. Man kann nicht jedes Ehrenamt jedem Menschen nahebringen, aber die Hospizhelferinnen und -helfer leisten Großartiges.

Wie sieht es mit der Dankeskultur im Ehrenamt aus? Was funktioniert gut, was könnte verbessert werden?

Viele fragen nach höheren Steuerfreibeträgen, aber das kann ich nicht versprechen, besonders bei bundesweiten Regelungen. Das Schönste ist, einfach Danke zu sagen und den Menschen bewusst zu machen, wie wertvoll ihr Engagement ist. Sie schenken anderen Zeit und bereichern damit auch ihr eigenes Leben. Wer im Ehrenamt ist, wird niemals einsam werden, und wer Ehrenamt annehmen kann, auch nicht. Das Ehrenamt schenkt uns allen Zeit.

Sehen Sie Unterschiede zwischen städtischem und ländlichem Ehrenamt?

Ja, definitiv. In der Stadt ist man oft anonymer und kann leichter zum Couch-Potato werden. Auf dem Land muss vieles ehrenamtlich organisiert werden, von der Theatergruppe bis zur Feuerwehr. Ohne Ehrenamt gäbe es viele Angebote nicht. Ich verstehe manchmal nicht, warum Leute lieber ins Fitnessstudio gehen oder teure Angebote für ihre Kinder buchen, statt die gemeinschaftlichen Angebote der Vereine zu nutzen. Auf dem Land ist das Ehrenamt oft das Herz des sozialen Lebens.

Die Blaulichtorganisationen wie Feuerwehr und THW sind ohne Ehrenamt undenkbar. Wie sehen Sie deren Rolle?

Ohne Ehrenamt würde vieles zusammenbrechen. Wenn es brennt, kommen die Ehrenamtlichen. Die Ausbildung ist anspruchsvoll, technisch kann viel passieren und sie setzen sich großen Gefahren aus. Was die Freiwilligen dort leisten, ist beeindruckend. Es ist nicht selbstverständlich, dass sie nach Einsätzen psychisch und körperlich unversehrt zurückkommen, aber das ist nur dank ihrer Übung und ihres Engagements möglich. Es gibt immer kleine Probleme, aber grundsätzlich ist es genial, dass wir in Bayern so viele Ehrenamtliche in diesen Bereichen haben.

Gibt es genügend Unterstützungsangebote für Ehrenamtliche, besonders in belastenden Bereichen?

Ja, das läuft sehr gut, zum Beispiel seitens des Innenministeriums und Sozialministeriums. Es gibt professionelle Strukturen, die nach belastenden Einsätzen unterstützen. Wir müssen sicherstellen, dass diese Unterstützung vorhanden ist und ausgebaut wird, wo nötig. Die Anforderungen an Ehrenamtliche, besonders in Krisensituationen, sind gestiegen und dem müssen wir Rechnung tragen.

Wie können wir das Ehrenamt für die Zukunft stärken, besonders in Bezug auf politische Beteiligung und Einbindung von Frauen und jungen Menschen?

Wir müssen Strukturen schaffen, die es Frauen und jungen Menschen leichter machen, sich zu engagieren. Flexiblere Sitzungszeiten und Redezeitbegrenzungen können helfen. Es ist wichtig, dass Gremien gut durchmischt sind, damit unterschiedliche Perspektiven einfließen. Wir sollten mehr vor Ort sein, Sitzungen im Kindergarten oder anderen Einrichtungen abhalten, um die Menschen dort abzuholen. Ehrenamt ist die beste Form der Basisdemokratie.

Wie sehen Sie die Rolle des Ehrenamts in der Integration von Menschen aus anderen Kulturen?

Das Ehrenamt ist unsere DNA und muss unser Exportartikel Nummer eins werden. Menschen aus anderen Kulturen bringen oft eine hohe Bereitschaft mit, sich für andere einzusetzen, meist in familiären Strukturen. Wir müssen ihnen zeigen, wie das bei uns aussieht, und sie einladen, sich zu beteiligen. So können wir das Ehrenamt vielfältiger und reicher machen. Ehrenamtliches Engagement macht resilient gegen Krisen und schafft soziale Netze, um besser damit umzugehen.

Haben Sie eine Vision für die Zukunft des Ehrenamts in Bayern?

Mein Traum ist, dass das Ehrenamt sichtbarer wird und wir erkennen, wie bereichernd es für jeden ist. Ehrenamt schenkt Zeit, man lernt neue Menschen kennen und erweitert seinen Horizont. In einer Zeit, in der Medien uns ablenken, sollten wir unser Erfolgsmodell exportieren. Ehrenamt ist mit das Beste, was es in der Evolution der Menschheit gegeben hat. Für andere etwas zu tun unterscheidet uns von anderen Spezies. Ich wünsche mir, dass wir diesen Gedanken weitertragen und das Ehrenamt als Kitt unserer Gesellschaft erhalten und fördern.

Zum Abschluss, was möchten Sie unseren Leserinnen und Lesern mit auf den Weg geben?

Ein herzliches Vergelt's Gott! Ich finde es großartig, was Sie leisten. Das Ehrenamt ist ein Geschenk, das Sie nicht nur anderen, sondern auch sich selbst machen. Es ist bereichernd, das richtige Ehrenamt für sich gefunden zu haben. Ich möchte Sie ermutigen, Ihre Begeisterung weiterzugeben und andere zu inspirieren. Gemeinsam können wir viel bewegen und unsere Gesellschaft positiv gestalten. Wer im Ehrenamt ist, wird niemals einsam werden, und wer Ehrenamt annehmen kann, auch nicht.

Vielen Dank für das Gespräch!

Gabi Schmidt ist seit 2013 Mitglied des Bayerischen Landtags für die Freien Wähler und seit November 2023 die Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für das Ehrenamt. Sie hat eine langjährige politische Karriere, ist unter anderem stellvertretende Bundesvorsitzende der Freien Wähler und setzt sich intensiv für soziale und regionale Themen ein. Als Ehrenamtsbeauftragte liegt ihr besonders die Förderung des freiwilligen Engagements am Herzen. Schmidt ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt in Uehlfeld, Mittelfranken.


Verfasst von:

Hannes Bräutigam

Redaktionsleiter