Ausgabe: Januar-Februar 2025
SchwerpunktWie Engagement gelingt

Herzschlag der Gesellschaft und doch nur kurzfristig
Ehrenamtliches Engagement ist der Herzschlag vieler gesellschaftlicher Bereiche. Ob in der Nachbarschaftshilfe, in Vereinen oder in kirchlichen Initiativen – Menschen, die ihre Zeit und Energie für wichtige Anliegen verschenken und sich für andere Menschen einsetzen, sind unverzichtbar. Doch wie kann das Ehrenamt nachhaltig gestaltet werden, sodass Freiwillige langfristig motiviert bleiben? Diese Frage gewinnt zunehmend an Bedeutung, gerade in Zeiten, in denen immer mehr Menschen nur kurzfristig engagiert sind.
Ehrenamtliche Arbeit ist weit mehr als bloße Unterstützung. Sie ist Ausdruck von Solidarität, Mitgefühl und dem Wunsch, aktiv an einer lebendigen Gesellschaft teilzuhaben. Die Freiwilligen tragen maßgeblich dazu bei, dass in vielen sozialen, kulturellen und gemeinnützigen Bereichen Dinge bewegt werden, die ohne sie nicht möglich wären. Doch gerade in dieser Vielschichtigkeit zeigt sich auch, dass Engagement keine Selbstverständlichkeit ist.
Ehrenamt kann weder von Kirche noch von Kommune „verordnet“ werden, Ehrenamt ist immer ein Geschenk aktiver Menschen: Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe liegt darin, Rahmenbedingungen zu schaffen, die Ehrenamt nicht nur möglich, sondern auch attraktiv machen. Oftmals wird ja selbst ein „Danke“ im Engagement nur selten ausgesprochen. Doch: Wer sich freiwillig engagiert, erwartet nicht nur, etwas zu geben, sondern auch, etwas zurückzubekommen – sei es in Form von immaterieller Wertschätzung, einem gut gepflegten Gemeinschaftsgefühl oder auch einer Weiterbildung. Eine materielle Anerkennung des Engagements durch eine Pauschale, wie es ein Bundesgesetz für Deutschland ermöglicht, wird bislang von etwa einem Viertel der Ehrenamtlichen in Anspruch genommen. Aber zumindest eine Aufwandsentschädigung für die Fahrtkosten ist für viele Ehrenamtliche zentrales Motiv, sich für diese und nicht eine alternative Organisation zu entscheiden. Die Diskussion um künftige Formen der Anerkennung wird durch eine Veränderung in der Höhe der individuellen Renten noch weiter an Bedeutung gewinnen: Ehrenamt muss man sich leisten können, lautet hier ein häufig gewählter Satz.
Herausforderungen im Ehrenamt
Wenn sich Menschen engagieren, dann häufig aus dem Motiv „Gutes zu tun“ und – das ist eine zentrale Erkenntnis zahlreicher Forschungsprojekte – mit dem Ziel, selbst dabei „Freude“ zu erleben. Entsprechend ist Ehrenamt als Geschenk zu werten. Ehrenamt ist nicht der „billige Jakob“ in Zeiten wirtschaftlicher Bedrängnis. Immer wieder ist zwar zu sehen, dass in einer finanziell angeschlagenen Einrichtung neben wenigen Hauptamtliche der Betrieb vor allem durch den Einsatz von Ehrenamtlichen am Leben gehalten werden soll. Das wird kaum funktionieren, wie viele Studien belegen. Eher besteht die Gefahr, dass die Hauptamtlichen die freiwillig Engagierten als Konkurrenz sehen und die Ehrenamtlichen sich wiederum als „Lückenbüßer“ verstehen müssen. Das führt oft zu Frustration, Überforderung, und ist schädigend für alle Seiten.
Oft stoßen Ehrenamtliche zudem an Grenzen. Viele von ihnen erleben das Spannungsfeld zwischen der Freude am Engagement und den strukturellen Hürden, die ihnen begegnen. Diese reichen von mangelnder Anerkennung bis hin zu unklaren Aufgabenfeldern und immer neuen Bitten und Anfragen der Organisation. "Ich habe Sorge, aus so einem Ehrenamt nie wieder aussteigen zu können“, ist ein häufig gehörtes Argument von Menschen, die sich (bisher) nicht für ein Ehrenamt entschieden haben.
Ein häufiger Grund für das Ende eines Engagements ist die fehlende Einbindung in die Organisation. Ehrenamtliche brauchen klare Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner, die ihnen Unterstützung bieten, sowie eine Umgebung, die ihre Ideen ernst nimmt und fördert. Es reicht nicht, nur einen Platz für die Helfenden zu schaffen – sie müssen sich auch als gern gesehener, wertvoller Teil des Ganzen fühlen.
Erfolgsfaktoren für nachhaltiges Engagement
Drei zentrale Faktoren sind entscheidend, um Ehrenamt erfolgreich und nachhaltig zu gestalten:
- Verlässliche Strukturen schaffen
Ehrenamt braucht klare Rahmenbedingungen. Freiwillige müssen wissen, worauf sie sich einlassen, was von ihnen erwartet wird und an wen sie sich wenden können, wenn es Probleme gibt. Auch regelmäßige digitale oder analoge Treffen und Austauschmöglichkeiten sind wichtig, um ein Gefühl der Zugehörigkeit zu schaffen. - Wertschätzung und Anerkennung zeigen
Wer sich engagiert, möchte das Gefühl haben, etwas Sinnvolles zu tun. Anerkennung zeigt sich nicht nur in Form von offiziellen Auszeichnungen oder Dankesreden, sondern vor allem in der täglichen Zusammenarbeit. Ein offenes Wort des Dankes, das Einbinden in Entscheidungsprozesse und das Ernstnehmen ihrer Anliegen sind wesentliche Faktoren, um Ehrenamtliche zu motivieren. Dazu gehört auch, die Zeitvorgaben der Ehrenamtlichen zu akzeptieren und nicht immer mal „immer mehr“ an Einsatz zu erbitten. - Weiterbildung und Entwicklungsmöglichkeiten bieten
Ehrenamtliche möchten nicht nur geben, sondern auch in ihrer Persönlichkeit wachsen. Durch Fortbildungen und Qualifizierungsangebote können sie neue Fähigkeiten erlernen und ihr Wissen vertiefen. Dies stärkt nicht nur die Motivation, sondern auch das Vertrauen in die eigene Kompetenz. Gleichzeitig profitieren die Organisationen von engagierten Menschen, die über fundiertes Know-how verfügen.
Pfarrgemeinden zum Beispiel sollten nicht schauen, was sie von den Ehrenamtlichen brauchen, sondern sich eher die Frage stellen: Was können wir Ehrenamtlichen bieten, was wollen und brauchen sie, welche Biografien bringen sie mit? Was haben sie für Talente, die wir fördern können? Was können wir anbieten? Das ist der bessere Ansatz, als nur aus der Perspektive der Organisation zu denken und zu argumentieren. Das Argument „wir hatten immer schon“ und „wir brauchen doch“ wird der Gewinnung neuer Ehrenamtlicher schwerlich nutzen.
Ehrenamt wertschätzen – aber richtig
Es bedarf einer bewussten Kultur der Wertschätzung, die weit über bloße Lippenbekenntnisse hinausgeht. Ehrenamtliche sind keine "Lückenfüller" für staatliche oder kirchlich-institutionelle Aufgaben. Sie bringen ihr eigenes Know-how, ihre Erfahrungen und ihre Leidenschaft mit, die in den Strukturen der Organisationen adäquat gefördert werden müssen. Diese Wertschätzung sollte sich auch in der Art und Weise widerspiegeln, wie mit den Ehrenamtlichen umgegangen wird – sei es durch klare Kommunikation, regelmäßiges Feedback oder die Möglichkeit, eigene Ideen einzubringen.
Von einem einfachen Danke bis hin zu fachlichen Weiterbildungen, der Supervision oder einer Einladung zum gemeinsamen Grillen ist Vieles denkbar. Die Kunst besteht darin, ganz individuell zu schauen, was dem einzelnen Ehrenamtlichen wirklich Wertschätzung gibt. Hierfür muss man die Menschen gut kennen, die sich engagieren. und viel Zeit für das Kennenlernen investieren. Der eine ist glücklich, wenn er bei der Mitgliederversammlung vor versammelter Menge ein besonderes Dankeschön ausgesprochen bekommt, der andere würde vor Scham im Boden versinken und vielleicht nie wieder kommen. Für all diese Punkte braucht es Verantwortliche, die sich um Ehrenamt(liche) kümmern – es braucht künftig viel mehr Freiwilligenmanagement, damit Ehrenamt attraktiv bleibt. Drei Hochschulen in Bayern bieten gemeinsam seit 15 Jahren die Weiterbildung „Professionelles Management von Ehrenamtlichen“ an und bieten umfassend berufsbegleitendes Know-How zur Gewinnung und zur Anerkennung.
Ehrenamt als Chance für ein neues Miteinander
Ehrenamtliche Arbeit bietet nicht nur den Menschen, die sich engagieren, einen Mehrwert, sondern der gesamten Gesellschaft. Damit dieser Mehrwert langfristig gesichert ist, braucht es nicht nur Einzelinitiativen, sondern ein Umdenken in der Art und Weise, wie ehrenamtliches Engagement unterstützt wird. Wertschätzung, klare Strukturen und die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln, sind entscheidende Bausteine für ein erfolgreiches und nachhaltiges Ehrenamt.
Wenn diese Rahmenbedingungen geschaffen werden, kann das Ehrenamt auch in Zukunft seine zentrale Rolle im demokratischen Miteinander erfüllen.
Der Beitrag aktualisiert ein Interview aus: Sozialcourage. Das Magazin für soziales Handeln (2023).
Das ursprüngliche Interview erschien in: Sozialcourage. Das Magazin für soziales Handeln (2023), Details (caritas.de)
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