Ausgabe: März-April 2025
Schwerpunkt - Vor OrtDemokratie lernen durch Demokratie machen

Der Ebersberger „8er-Rat“
Mit welchen Themen setzen sich Jugendliche auseinander? Hätten Sie bei dieser Frage zuerst an Freizeitaktivitäten und Treffpunkte gedacht? Oder an den öffentlichen Personennahverkehr? An die Beleuchtung von Fuß- und Radwegen? An Hygieneartikel? Sicherheit im öffentlichen Raum? Diese Themensammlung ist nicht ausgedacht. Es sind einige der Themen, mit denen sich Jugendliche aus Ebersberg im 8er-Rat am meisten beschäftigt haben.
Ebersberg ist die Kreisstadt des gleichnamigen Landkreises und liegt etwa 35 Kilometer östlich von München. In Ebersberg leben insgesamt circa 13 000 Einwohnerinnen und Einwohner, von denen knapp 2 300 Kinder und Jugendliche sind.
Um es jungen Menschen zu ermöglichen, sich alters- und entwicklungsgerecht eine eigene Meinung zu allen sie betreffenden Anliegen zu bilden, diese zu äußern und konkret in die Stadtpolitik und -verwaltung einzubringen, veranstaltet die Stadt Ebersberg ein in Bayern noch einzigartiges Beteiligungsformat für Jugendliche.
Der eben erwähnte „8er-Rat“ ist ein Konzept zur politischen Beteiligung von Jugendlichen auf kommunaler Ebene. Schülerinnen und Schüler haben dadurch verbindlich ein Jahr lang die Möglichkeit, ihre Vorstellungen, Verbesserungsvorschläge, Forderungen und Wünsche einzubringen. Das jährliche Format ist eine Kooperation zwischen Verwaltung, Politik, Jugendarbeit und Schule und wird von der Stadtjugendpflege organisiert.
Am 8er-Rat nehmen automatisch alle Schülerinnen und Schüler aus Ebersberg teil, die die achte Jahrgangsstufe der Mittelschule Ebersberg oder der Gymnasien aus den Nachbarorten Grafing und Kirchseeon besuchen. An der Realschule Ebersberg wurde für den 8er-Rat eigens ein Wahlpflicht-Fach eingerichtet. Insgesamt waren das im Schuljahr 2024/2025 knapp 140 Jugendliche.
Konferenzen mit Bürgermeister

Zwei große 8er-Rat-Konferenzen finden jedes Jahr einige Wochen nach Schuljahresbeginn statt. Sie sind Teil des Unterrichts und dauern den gesamten Vormittag. Darin besteht eine wichtige Besonderheit des 8er-Rats: Es besteht im Rahmen der Schulpflicht Anwesenheitspflicht für alle Schülerinnen und Schüler. So können alle Jugendlichen erreicht werden, auch diejenigen, die durch ihre Sozialisation bislang weniger Zugang dazu haben, sich gesellschaftlich und politisch einzubringen. Gerade auch diese jungen Menschen, die zu freiwilligen Formaten tendenziell eher nicht erscheinen würden, haben eigene, wichtige Perspektiven und Vorstellungen, die in den üblicheren Formaten wie Jugendgremien und Jugendparlamenten oft unterrepräsentiert sind. Wichtig ist dabei: Es gibt zwar eine Anwesenheitspflicht, jedoch keine Teilnahmepflicht. Die Jugendlichen müssen nicht aktiv mitmachen. Die Erfahrung aus den bisherigen drei Jahren zeigt jedoch, dass fast ausnahmslos alle Anwesenden die Möglichkeit, sich einzubringen, gerne und sehr engagiert nutzen.
Die erste 8er-Rat-Konferenz beginnt mit der Eröffnung durch den ersten Bürgermeister. Die Jugendlichen setzen sich zunächst mit grundsätzlichen Fragen ihrer eigenen Lebenswelt in Ebersberg auseinandersetzen. Anschließend stellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung sich, ihre Arbeitsbereiche und anstehende Projekte vor und führen mit den Schülerinnen und Schülern mehrere Gruppengespräche. Die Jugendlichen beschäftigen sich dadurch mit mehreren verschiedenen Verwaltungsbereichen und kommen in Kontakt mit den Menschen dahinter.
In der zweiten 8er-Rat Konferenz geht es zu Beginn um kommunalpolitische Aufgabenfelder, damit die Jugendlichen nachvollziehen können, auf welche Dinge Stadtpolitik und -verwaltung überhaupt direkt Einfluss nehmen dürfen. Danach bilden die Schülerinnen und Schüler schulartübergreifende Projektgruppen zu selbst gewählten Themen und arbeiten komplett selbstständig Präsentationen ihrer Ideen aus. Für die Umsetzung dieser Vorschläge werben sie dann in einem Gallery Walk gegenüber dem Bürgermeister, der Verwaltung und der Politik, erläutern die von ihnen benannten Probleme, zeigen Lösungsvorschläge auf und versuchen so, Unterstützerinnen und Unterstützer für ihr jeweiliges Projekt zu finden.
Auch andere Institutionen, wie beispielsweise der Sportverein, die Polizei, das selbstverwaltete Jugendzentrum, Kulturstätten, das Einkaufszentrum, der Kreisjugendring, Fachabteilungen des Landratsamts, oder auch der Landrat selbst, werden zu dieser Konferenz eingeladen und können von den Jugendlichen direkt angesprochen werden.
Diskussion mit Landrat
Nach den beiden Konferenzen endet der verpflichtende Teil des 8er-Rats. Ab diesem Zeitpunkt finden alle weiteren Schritte außerhalb des Schulunterrichts auf freiwilliger Basis statt. Die Projektgruppen dürfen und sollen natürlich im Anschluss ihre Projekte in ihrer Freizeit selbst weiterverfolgen und werden dabei durch die Erwachsenen unterstützt, die sich während der zweiten Konferenz dazu bereit erklärt haben, die Projektgruppen weiter zu begleiten. Beteiligung ist jedoch kein Wunschkonzert, bei dem alle Ideen einfach so verwirklicht werden. Die Projekte werden unterstützt, so lange sich Jugendliche aktiv für das Projekt engagieren – längerfristige Projekte auch über die achte Jahrgangsstufe hinaus – und in einem realisierbaren Rahmen.

Einige Beispiele für konkrete Projektideen aus dem 8er-Rat, die weiter begleitet wurden, sind die Öffnung des Jugendzentrums exklusiv für jüngere Jugendliche, eine Halloween-Party im „alten kino“, Hygieneartikelspender für Mädchen an weiterführenden Schulen und eine Diskussionsrunde zu den Schulbusverbindungen und Digitalisierung der Schulen mit dem Landrat.
Auch für die Allgemeinheit relevante Themen werden häufig im 8er-Rat angesprochen. Das Ebersberger Hallenbad nach langer Sanierungszeit endlich wieder zu eröffnen, war ein – mittlerweile realisierter – großer Wunsch aller Menschen in Ebersberg. Auch ein neuer Sprungturm am Klostersee wurde zwei Jahre in Folge gefordert und war zeitgleich für sehr viele Erwachsene ein wichtiges Anliegen, das schließlich durch einen Spendenaufruf umgesetzt werden konnte.
Nicht nur Jugendthemen
Die Jugendlichen bringen jedoch nicht nur eigene Anliegen ein, sondern sind als 8er-Rat ein Jahr lang auch die erste Anlaufstelle für Stadtverwaltung und Stadtpolitik, wenn es um das Einholen der Meinung von Jugendlichen geht. In den vergangenen Jahren wurden so Jugendliche aus dem 8er-Rat in die Erstellung des Ebersberger Mobilitätskonzepts eingebunden. Auch bei der Erstellung eines Aktionsplans für das Projekt „Kinderfreundliche Kommune“ wird der 8er-Rat beteiligt.
Was immer wieder auffällt: Jugendliche beschäftigen sich selbstverständlich mit einigen jugendspezifischen Themen. Sie beschäftigen sich aber auch mit sehr vielen Dingen, die für Erwachsene, Senioren, Menschen mit Behinderung und Kinder zentral sind, und das viel mehr, als man annehmen würde. Der 8er-Rat ist eine hervorragende Möglichkeit, um Erwachsene mit Jugendlichen auf Augenhöhe zusammenzubringen, verschiedene Perspektiven auf aktuelle Themen zu erörtern und aus verschiedenen Blickwinkeln gemeinsam in die Zukunft zu planen.
Zudem wird durch eine positive Erfahrung mit der Demokratie in jungen Jahren auch die Kompetenz der Jugendlichen gestärkt, später als junge Erwachsene engagiert und selbstbewusst an demokratischen Prozessen teilzunehmen, diese aktiv zu gestalten und im positiven Sinne zu nutzen. Demokratie lernen durch Demokratie machen! Wenn das in der heutigen Zeit nicht dringend nötig ist, wann dann?
Verfasst von:
Christian Zeisel
Jugendpfleger der Stadt Ebersberg, Prozessmoderator für Kinder- und Jugendbeteiligung