Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: März-April 2025

Schwerpunkt - Vor Ort

Finger weg?!

Zeitgemäße Musik und Sprache, Social Media und Eventkultur. Doch es gibt genauso viele gefährliche Aspekte in charismatischen Bewegungen, die es zu kritisieren und von denen es sich abzugrenzen gilt. Foto: privat

Was Jugendarbeit von charismatischen Bewegungen lernen kann – und wovon sie besser die Finger lassen sollte

Als ich die Kirche betrete, habe ich ein mulmiges Gefühl. Ich bin unsicher, wie der Lobpreis-Abend, an dem ich gleich teilnehmen werde, sein wird. Der Kirchenraum ist in bunten Farben erleuchtet, Musik läuft, und auf einer Leinwand hinter dem Altar zählt ein Countdown die letzten Minuten. 

Eine junge Frau tritt nach vorne, begrüßt uns und erklärt den Ablauf. Die Band beginnt Lieder zu spielen, die eine Sogwirkung entwickeln, der ich mich kaum entziehen kann. Der anschließende Input entwickelt sich schon bald zu einer Aneinanderreihung von Bibelversen, die mich überfrachten. Bei der Eucharistischen Anbetung knien Menschen vor dem Allerheiligsten, das auf dem Altar – zusätzlich erhöht durch eine Art Mini-Thron – ausgesetzt ist. Einige beginnen, im Gebet zu schwanken oder leise etwas zu flüstern. Mein Unbehagen wächst – und verschwindet auch Tage nach der Veranstaltung nicht.

Toxische Spirirtualität

Bei einer Recherche über die Veranstaltenden entdecke ich, dass diese im Zusammenhang mit der Loretto-Gemeinschaft stehen, die ihre Spiritualität auf ihrer Website als „katholisch, marianisch, charismatisch“ beschreibt. Später stoße ich auf einen Vortrag von Hildegund Keul, Fundamentaltheologin in Würzburg, bei der Katholischen Akademie in Freiburg: „‘Mystische Nächte‘ und der Missbrauch an Frauen – toxische Spiritualität“. In ihrem Vortrag erläutert sie, wie verschiedene Glaubenssätze, Haltungen und Verhaltensweisen in neuen geistlichen Gemeinschaften spirituellem und sexuellem Missbrauch Tor und Tür öffnen.

Ein Gefahrenindiz, so Keul, seien utopische Heilsversprechen. Ich erinnere mich an den Beichtspiegel vom Lobpreis-Abend: „Einfach beichten“ steht am Anfang, „Freiheit“ am Ende. Die Rückseite enthält Fragen, die Sünden in sämtlichen Lebensbereichen aufdecken sollen, vor allem im Bereich der Sexualität.

Ein weiterer Punkt Keuls ist die Verbindung von Erwählung zu privilegierter Gottesnähe und Opferbereitschaft, die in eine „Leidensspirale“ führen könne. In einem Instagram-Video der Gruppe heißt es: „Ich glaube, wenn wir als Christen unsere Kreuze mit erhobenem Haupt und voller Hoffnung und selbst mit Freude teilweise tragen, dann sind wir ein Zeugnis in dieser Welt.“ Auch dieser Aspekt des „Freudenszwangs“ ist für Hildegund Keul ein klares Gefahrenindiz einer geistlichen Gemeinschaft, da auf diese Weise nicht nur schmerzliche Erfahrungen, aber auch Zweifel oder kritische Äußerungen mundtot gemacht werden können.

Zwischen Zulauf und gefährlichen Aspekten

Nach meiner Recherche bin ich erleichtert: Mein „innerer Kompass“, der mich warnte, dass hier etwas nicht stimmt, hatte Recht. Doch als junge Erwachsene, die vielleicht später hauptamtlich in kirchlicher Jugendarbeit tätig sein wird, frage ich mich: Wie umgehen mit charismatischen Gruppierungen, die so viel Zulauf haben?

Ich sehe, was sie klassischer Jugendarbeit an vielen Orten voraushaben: Zeitgemäße Musik und Sprache, Social Media und Eventkultur. Doch ich bin überzeugt, dass sie genauso viele gefährliche Aspekte bergen, die es zu kritisieren und von denen es sich abzugrenzen gilt. Ich wünsche mir eine Jugendarbeit, die Jugendlichen keinen fertigen, „einzig richtigen“ Glauben vorsetzt, sondern ein freiheitlicher Erkundungsraum für verschiedenste Gottesbilder und -erfahrungen sein möchte. Die sich nicht um Reglementierung, sondern um die Anerkennung des und der Einzelnen bemüht.

Weitere Informationen zu „‘Mystische Nächte‘ und der Missbrauch an Frauen – toxische Spiritualität“ finden Sie hier


Verfasst von:

Sophia Hose

Studentin der Katholischen Theologie in Tübingen