Ausgabe: März-April 2025
Katholisch in Bayern und der WeltOrientierung, Führung, Fürsorge

Vielfältige Lebensrealitäten, besondere Bedürfnisse und die Bedeutung von Resilienz und Religion
Alle Kinder und Jugendlichen, das bedeutet auch jene mit Migrations- oder Fluchthintergrund, benötigen gerade in einer als krisenhaft erlebten Zeit Orientierung, Führung und Fürsorge. Häufig berichten sie davon, wie der Glaube an Gott oder eine göttliche Führung sie auf ihrem Weg getragen habe.
Eine wichtige Gruppe junger Menschen ist die der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Ein solcher wird vom statistischen Bundesamt per Definition zugesprochen, wenn entweder das Kind oder die oder der Jugendliche selbst oder mindestens ein Elternteil nicht in Deutschland geboren ist. Bei dieser Definition wird schnell deutlich, wie heterogen diese Gruppe von Kindern und Jugendlichen ist, die inzwischen über 40 Prozent ihrer Altersgruppe ausmachen, Tendenz steigend.
Es gehören hierzu also Kinder und Jugendliche, die in Deutschland geboren, aufgewachsen und sozialisiert sind, ebenso wie solche, die eine eigene Migrations- oder Fluchterfahrung aufweisen. Entsprechend schwierig ist es, Aussagen über diese Gruppe im Allgemeinen zu treffen.
Besondere Vulnerabilität von Kindern
Einen besonders vulnerablen Teil dieser großen und heterogenen Gruppe von Kindern und Jugendlichen stellen jene mit einer eigenen Fluchterfahrung dar. Sie kommen unbegleitet oder mit ihren Geschwistern und Eltern in Deutschland an und landen in der Regel zunächst in Erstunterkünften, in denen sie oft über Monate auf engsten Wohnverhältnissen untergebracht sind. Diese Gruppe ist in sich wieder heterogen: längst nicht alle (aber doch einige!) dieser Kinder und Jugendlichen haben auf der Flucht traumatisierende Erfahrungen gemacht, wobei die Fluchtwege, -geschichten und auch die zeitliche Ausdehnung der Migration ausgesprochen unterschiedlich sein können. Viele dieser Kinder und Jugendlichen sind erstaunlich resilient und unterstützen ihre häufig stärker belasteten Eltern. Nach ungefähr drei Monaten erhalten Kinder im schulpflichtigen Alter in der Regel einen Platz in einer Schule. Nicht alle wurden jedoch in ihrem Herkunftsland bereits beschult, so dass es für manche eine große Herausforderung darstellt, sich zusätzlich zu der anfangs meist noch bestehenden Sprachbarriere in einen Schulalltag zu integrieren. Nicht selten werden sie dabei durch nicht kultursensibel normierte Intelligenztests falsch eingeschätzt. Vielen gelingt jedoch ein Einfinden in den Schulalltag gut, und sie profitieren nicht nur von der Möglichkeit, Deutsch zu lernen, sondern vor allem auch Gleichaltrige kennen zu lernen und einen durch die Schule strukturierteren Alltag zu erleben. Schwerer haben es hier oft die Kinder im Vorschulalter, die bedauerlicherweise häufig über Monate, Jahre und ohne Kinderangebote oder Kontakte zu anderen Kindern ausharren müssen. Sind die Eltern, was nicht selten vorkommt, selber durch Traumatisierungen und/oder die Anspannung im Asylverfahren stark belastet, haben sie oft nicht die Valenzen, für ihre Kinder emotional ausreichend zur Verfügung zu stehen. Gerade im Vorschulalter sind die Kinder aber auf emotional verfügbare Bezugspersonen angewiesen, um wesentliche Entwicklungsschritte gehen zu können. Insbesondere die Sprachentwicklung ist in diesem Alter von herausragender Bedeutung und findet häufig nur eingeschränkt statt, so dass viele Kinder nicht nur im Deutschen große Defizite aufweisen (beziehungsweise gar nicht erst richtig Deutsch lernen), sondern auch ihre Muttersprache nur unzureichend erlernen, da sie nicht genügend sprachförderliche Interaktionsangebote erhalten, insbesondere wenn die Eltern sie über Stunden vor Bildschirme setzen. Gemeinsame, medienfreie Zeit mit den Kindern, eine Strukturierung des Alltags, gemeinsame Aktivitäten, auch außerhalb der Unterkünfte, idealerweise auch Kinderangebote, bei denen die Kinder mit Gleichaltrigen in Kontakt kommen, sowie bei Bedarf professionelle Unterstützung der Eltern sind hier wichtige Ansatzpunkte, um die Entwicklungsperspektive dieser Kinder im Vorschulalter und damit deren Möglichkeit zur Integration und Teilhabe zu verbessern.
Religion als Ressource für Resilienz und Integration
Für viele Kinder und Jugendliche und deren Familien spielt die Religion eine wichtige Rolle. Insbesondere Familien afrikanischer Herkunft fühlen sich dabei oft der christlichen Religion zugehörig und profitieren sehr davon, zeitnah eine neue Gemeinde zu finden. Hier erleben sie häufig stärker ein Gefühl des Willkommenseins und der Zugehörigkeit – Aspekte, die für Menschen, die eine kulturelle Entwurzelung hinter sich haben, von besonderer Bedeutung sind. Zwar wird Migration nicht per se als Risikofaktor angesehen, sondern kann auch ein Entwicklungsanreiz sein, jedoch handelt es sich bei der Gruppe – zumindest der Menschen mit Fluchterfahrung wie dargestellt –, um eine mit erhöhter Vulnerabilität, zumal die Migration häufig mit Problemen wie Sprach- und Zugangsbarrieren, Statusverlust, fehlender Anerkennung schulischer oder beruflicher Abschlüsse und Diskriminierungserfahrungen einhergeht, die häufig in einen niedrigeren sozioökonomischen Status münden, der wiederum als Risikofaktor für zahlreiche körperliche und psychische Erkrankungen seit langem bekannt ist. Umgekehrt kann Religion oder Spiritualität in dieser Logik als Schutz- der Resilienzfaktor angesehen werden.
Interkulturelle Kompetenz als Schlüssel
Die Aufnahme von Kindern und Jugendlichen und deren Familien mit diversen kulturellen Hintergründen stellt eine große Herausforderung auch für die Menschen in Deutschland dar und erfordert interkulturelle Kompetenz von Fachkräften. Neben Wissen über andere Kulturen, Werte, Religionen oder Sprachkenntnissen werden hierzu häufig auch Fragen der Haltung und Einstellung gegenüber den und dem Fremden gezählt. Der Fähigkeit, sich selber kulturell verorten zu können, wird dabei eine große Bedeutung zugesprochen. Wenn ich weiß, wer ich bin und woher ich komme, fühle ich mich durch Andere und Anderes in der Regel weniger bedroht.
Dazu kommt die Notwendigkeit, Widersprüche und Ambiguitäten aushalten zu können, die eigenen Vorurteile zu kennen und immer wieder zu reflektieren, ebenso wie praktische Kenntnisse im konkreten Umgang mit Menschen anderer Herkunft zu erwerben, wie beispielsweise die Gestaltung von Gesprächen oder den Einsatz professioneller Dolmetscherdienste.
Psychische Gesundheit als Faktor
Psychische Gesundheit wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert als „ein Zustand des Wohlbefindens, in dem eine Person ihre Fähigkeiten ausschöpfen, die normalen Lebensbelastungen bewältigen, produktiv arbeiten und einen Beitrag zu ihrer Gemeinschaft beitragen kann. Psychische Störungen stellen Störungen der psychischen Gesundheit dar, die oft durch eine Kombination von belastenden Gedanken, Emotionen, Verhaltensweisen und Beziehungen zu anderen gekennzeichnet sind. Beispiele für psychische Störungen sind Depressionen, Angststörungen, Verhaltensstörungen, bipolare Störungen und Psychosen. Psychische Gesundheit und Wohlbefinden werden nicht nur durch individuelle Merkmale beeinflusst, sondern auch durch die sozialen Umstände, in denen sich Menschen befinden und die Umgebung, in der sie leben“ (WHO, 2019). In diesem Sinne ist es gerade für die Gruppe der vulnerablen Kinder und Jugendlichen von besonderer Bedeutung, die psychische Gesundheit zu fördern und psychischen Erkrankungen vorzubeugen, was häufig nicht genug Beachtung findet, wie auch zum Beispiel das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF immer wieder bemängelt. Hier bietet sich auch für Christen ein weites und wichtiges Betätigungsfeld!
Verfasst von:
Matthias Klosinski
Professor für Psychische Gesundheit, Katholische Stiftungshochschule München