Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: März-April 2025

Ökumene

Queere Jugendarbeit in der protestantischen Kirche

„Wir verlieren nicht mehr Menschen, als wir gewinnen könnten, wenn wir den Weg mutig und innovativ vorangehen.“ (Ilona Schuhmacher). Foto: Evangelische Jugend München

Gott liebt queere Menschen! Davon ist die Evangelische Jugend Bayern (EJB) überzeugt. Bereits im Juni 2023 beschloss die Vollversammlung der Landesjugendkammer einstimmig ein Thesenpapier.

Es ist ein klares Bekenntnis: „Queer sein geht nicht gegen Gottes Willen und ist keine Sünde! Wir verstehen Sünde als eine Entfremdung zwischen Gott und Mensch. Die sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität eines Menschen sind in unseren Augen keineswegs ausschlaggebend für die Beziehung zwischen Gott und Mensch. Liebe ist die Basis der Beziehung zwischen Gott und Mensch und kann daher niemals Sünde sein.“

Nur die kirchlichen Strukturen würden das im Moment nicht so widerspiegeln, wie sie es für angemessen empfinden, sagen Benedikt Kalenberg und Johanna Kropf. Sie engagieren sich als Sprecherin und Sprecher im Rahmen der AG „Queere Jugendarbeit“ der Landesjugendkammer der Evangelischen Jugend Bayern. Für ihre Arbeitsgruppe sehen sie eine große Notwendigkeit: „Leider gibt es immer wieder queerfeindliche Bemerkungen im kirchlichen Kontext, da können wir uns auch in der evangelischen Kirche nicht ausnehmen“, sagt Benedikt Kalenberg. „Und deshalb braucht es queere Jugendarbeit, um den Leuten zu zeigen, dass wir ein Safer Space sind, dass wir offen sind – für alle Menschen.“ Seine Stellvertreterin Johanna Kropf sieht eine wichtige Aufgabe für alle darin, einschränkende Stereotypen abzubauen und Vorurteile zu überwinden: „Dafür ist es wichtig, dass wir uns immer wieder selbst reflektieren. Es hört ja nicht bei queerer Jugendarbeit auf, sondern man muss auch auf alle weiteren Bereiche gucken, wo Diskriminierung stattfindet. Das geht alles Hand in Hand.“ In einer idealen Gesellschaft würden wir diese Gespräche nicht führen müssen, da sind sich beide einig. Alle Menschen würden in die Kirche kommen, so wie sie sind, und sich beteiligen. „Und wenn wir in einem Kirchenvorstand gucken würden, würde man den Querschnitt der Gesellschaft finden. Das wäre das Idealziel von Inklusion, aber jetzt geht es erstmal darum, dass sich die Kirche noch klarer positioniert und diese unsichtbare Barriere, die bei manchen Menschen zwischen Kirche und ihrem eigenen Leben steht, zu überwinden.“

 

Nah an der Lebenswirklichkeit

Die Geschäftsführerin der EJB, Ilona Schuhmacher, sieht das Thema tief in der Identität der Evangelischen Jugend verankert: „Wir haben uns satzungsgemäß auf die Fahne geschrieben, dass wir unsere Themen ganz nah an der Lebenswirklichkeit junger Menschen setzen, und zwar durch die Brille der christlichen Werte. Und nachdem queeres Leben, Identitätsfragestellungen und Diversität bei jungen Menschen total wichtige Themen sind, gehen wir das auch als Evangelische Jugend an.“ Durch die Arbeit der EJB passiert für sie auch Gemeindeentwicklung. „Wir hoffen, die Kirche so ein bisschen zukunftsfähiger zu machen, als sie das vielleicht im Moment ist.“

Die EJB forderte von der evangelischen Landessynode unter anderem einen Aktionsplan für die queere Community in der evangelischen Kirche. Foto: Evangelische Jugend München

Daher forderte die EJB von der Evangelischen Landessynode unter anderem einen Aktionsplan für die queere Community in der evangelischen Kirche, die daraufhin nach ihrer Herbsttagung 2023 ebenfalls eine AG Queer gründete, der der evangelische Theologe und Mitglied der Synode, Christian Albrecht, vorsteht. Bei den darauffolgenden Hearings konnten Personen ihre Anliegen zum Thema äußern und es wurden folgende Forderungen formuliert: Die evangelische Kirche soll ein öffentliches Schuldbekenntnis gegenüber den Menschen aussprechen, die sie in der Vergangenheit auf Grund ihrer queeren Identität nicht angemessen behandelt hat, der Gewissensschutz bei der Trauung gleichgeschlechtlicher Ehen soll aufgehoben werden, also dass es Pfarrpersonen offensteht, ob sie queere Menschen segnen wollen oder nicht, und queere Paare sollen sich auch trauen lassen und nicht nur gesegnet werden können. Ein großes Ziel wurde außerdem schon erreicht: Der Magnus Konsensus wurde aufgehoben, homosexuelle Pfarrerinnen und Pfarrer müssen also nicht mehr um Erlaubnis bitten, wenn sie zusammenwohnen wollen.

Zwar steht die EJB hinter diesen einzelnen, konkreten Maßnahmen, dennoch will sie eigentlich ein Umdenken voranbringen, das sich nicht nur auf einzelne Forderungen beschränkt, sondern eine Kultur der Selbstverständlichkeit etabliert. Um die zu fördern, können Jugendorganisationen einiges für ihre Queersensibilität tun: Als ersten Schritt empfiehlt Benedikt Kalenberg, mit bereits bestehenden queeren Jugendgruppen in den Austausch zu gehen, um mit kompetenten Leuten ins Gespräch zu kommen und sich Unterstützung zu holen. Johanna Kropf findet zudem öffentliche Sichtbarkeit wichtig, etwa durch Konvente und Jugendversammlungen zum Thema oder die Teilnahme am Christopher Street Day: „Wir haben da unsere Kampagne ‚Die Welt ist bunt – Gott sei Dank!‘ und mit der sind wir nicht nur für demokratische Werte und gegen Rassismus auf der Straße, sondern nehmen auch schon seit Jahren am CSD teil. Und das nehmen die Leute auch wahr, da wurde ich schon öfter drauf angesprochen.“ Im persönlichen Gespräch mit queeren oder vermeintlich queeren Menschen sei es besonders wichtig, den Raum zu geben, dass die Person selbst entscheiden kann, ob und worüber sie sprechen möchte – vor allem, wenn sie sich vielleicht noch gar nicht sicher ist, ob sie sich outen möchte. Das könne eine sehr belastende Phase sein, in der man am besten unterstütze, indem man die Person mit diesen Fragen in Ruhe lässt und einfach zeigt: Wir sind für dich da, egal wer du bist.

Zukunftsorientierte Entscheidungen

Geschäftsführerin Ilona Schuhmacher denkt die sexuelle Identität auch bei der Besetzung von Ämtern mit: Die EJB wählt männlich, weiblich und divers, also unquotierte Plätze, und schafft damit auch für junge Menschen, die sich nicht explizit einem der beiden heteronormativen Geschlechter zuordnen wollen oder können, die Möglichkeit, sich praktisch wählen zu lassen. „Wir haben auch schon einige queere Menschen in unseren Gremien und sind total froh darüber. Nicht, weil wir sie vor uns hertragen wollen, das bitte auf gar keinen Fall, sondern weil diese Menschen ganz selbstverständlich und wertschätzend und mit allen Hürden, die die anderen auch haben, bei uns einen Platz gefunden haben.“

Inwieweit sich die Forderungen der Evangelischen Jugend bis in die Landeskirche durchsetzen, ist derzeit noch offen. Nach der Synodaltagung im November 2024 in Amberg lässt sich noch nicht genau abschätzen, wie weitreichend die Änderungen sein werden. Benedikt Kalenberg hat gemischte Gefühle: „Einerseits freue ich mich, dass sich unsere Landeskirche mit dem Thema beschäftigen und klar positionieren muss. Anderseits befürchte ich, dass konservativen Kräften nachgegeben wird und wir uns als Kirche nicht so offen und tolerant gegenüber allen Menschen zeigen, wie ich es in meinem Glauben für richtig halte.“ Ilona Schuhmacher wünscht sich eine zukunftsorientierte und nach vorne gerichtete Entscheidung. „Wir verlieren nicht mehr Menschen, als wir gewinnen könnten, wenn wir den Weg mutig und innovativ vorangehen, das ist meine feste Überzeugung. Ich wünsche mir sehr, dass das passiert.“

Für ihr Engagement für queeres Leben und den Einsatz für eine queersensible Kirche wurde die EJB im Februar 2024 mit dem Michael Schmidpeter Preis geehrt. Das bedeutet eine Wertschätzung ihrer Arbeit von queeren Jugendverbänden durch den Bayerischen Jugendring. Gleichzeitig ergibt sich daraus der Auftrag, das Thema aktiv weiter zu bespielen und sich für queeres Leben einzusetzen.


Verfasst von:

Sarah Weiß

Freie Autorin