Ausgabe: Mai-Juni 2025
SchwerpunktHelden der Nächstenliebe

Ehrenamtliches Engagement – mit und ohne Glaube an Gott
Was wäre die Kirche, was wäre die Gesellschaft ohne das Engagement so vieler Frauen und Männer, Kinder und Jugendlicher? In den verschiedenen Gruppen in den Pfarreien, in Verbänden, Einrichtungen und Organisationen bringen sich Frauen und Männer unterschiedlichen Alters, Jugendliche und Kinder mit ihren Talenten – oder biblisch ausgedrückt mit ihren Charismen – ein und investieren freiwillig Zeit, Energie und Kreativität mit zum Teil großer Hingabe und hohem Engagement.
„Schafft euch ein Ehrenamt, ein unscheinbares, womöglich ein geheimes Ehrenamt. Tut die Augen auf und sucht, wo ein Mensch ein bisschen Zeit, ein bisschen Teilnahme, ein bisschen Gesellschaft, ein bisschen Fürsorge braucht. Vielleicht ist es ein Einsamer, ein Verbitterter, ein Kranker, ein Ungeschickter, dem du etwas sein kannst. Vielleicht ist’s ein Greis, vielleicht ein Kind. Wer kann die Verwendungen alle aufzählen, die das kostbare Kapital, Menschen genannt, haben kann!“
Mit diesen Worten wirbt der Theologe und Mediziner Albert Schweitzer (1875–1965) für das Ehrenamt. Zu Recht, denn das ehrenamtliche Engagement ist ein unschätzbarer Reichtum für jeden Einzelnen, aber auch für das Gemeinwohl.
Das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun, ist dabei ein wesentlicher Schlüssel für den Einsatz, der auf materielle Gegenleistung wenig Wert legt. Für viele Menschen ist ehrenamtliches Engagement ein alltäglicher und sinnstiftender Bestandteil ihres Lebens geworden und von unschätzbarem Wert. Unsere Kirche und Gesellschaft wären nicht nur um vieles ärmer, sie wäre herzlos und unmenschlich. Vieles würde es gar nicht geben, Kirche und Staat wären heillos überfordert, hierfür Ersatzleistungen einzubringen. Das ehrenamtliche Engagement ist im wahrsten Sinne des Wortes unbezahlbar und von unschätzbarem Wert.
Dabei sind Länder, die stark im Ehrenamt sind, auch stark in ihrem Demokratieverständnis. Menschen setzten sich für ihre Sache ein und für das, was ihnen wichtig ist. Sie sind aktiv und bringen sich engagiert in Gesellschaft und Kirche ein und meist zum Wohle des Nächsten und vor allem im Sinne eines guten sozialen Miteinanders.
Gerade jetzt, wo der gesellschaftliche Zusammenhalt vor sehr großen Herausforderungen steht, sollten wir alles dafür tun, Maßnahmen und Aktionen zur Demokratieförderung und Demokratiestärkung zu unterstützen, anzugehen und weiter auszubauen.
Zwar mit Veränderungen, aber durchaus positiv
Die Bereitschaft, sich zu engagieren, ist nach wie vor groß und überaus positiv. In Deutschland nimmt die Zahl der Menschen, die sich freiwillig engagieren, laut Umfragen zu oder bleibt zumindest konstant.
Allerdings ändert sich die Art und Weise, warum und wie sich Menschen heute engagieren wollen. Ehrenamtliche sind immer auch Kinder ihrer Zeit. Das, was wir heute als Engagement vorfinden, wurde durch unterschiedliche geschichtliche, politische und gesellschaftliche Entwicklungen strukturell geprägt.
Geschichtlichen Veränderungen
Mit der Gründung der Vereine, auch mit den sozialen Reformen und Bewegungen Mitte des 19. Jahrhunderts, entstand das klassische, traditionelle Ehrenamt, quasi die „Version 1.0“. Dieser typisch deutsche Wurzelstrang hat ein Bild von Ehrenamt geprägt, das mit Amtlichkeit, gesellschaftlichem Ansehen und Staatsnähe, aber auch mit klaren Hierarchien verbunden ist. Es war und ist eine Ehre, ein öffentliches Amt auszuüben, quasi als „Ehrenbeamter“.
In den 1980er-Jahren wird diese Form zunehmend fraglich. Vieles ist im Wandel, die traditionellen Bindungen an Kirchen, Gewerkschaften oder Parteien nehmen ab. Den Menschen wird immer wichtiger, in allen Bereichen ihres Lebens mitzubestimmen, ihre eigenen Ideen zu entfalten und eine gute Balance von Eigennutz und Gemeinwohl zu finden. Neue Formen des ehrenamtlichen Engagements entstehen, auch im Sinne einer sogenannten „Selbsthilfebewegung“. Es entsteht ein „Engagement 2.0“.
Ende des 20. Jahrhunderts ändert sich der Blick auf die Bedeutung des Engagements für die Stärkung der Demokratie, für eine nachhaltige Entwicklung, für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und für die Daseinsvorsorge insgesamt. Mit dem neuen Begriff des „Bürgerschaftlichen Engagements“ (Engagement 3.0) wird zum einen die gesellschaftspolitische Bedeutung betont, zugleich die demokratischen Qualitäten hervorgehoben.
Seit einigen Jahren erleben wir einen erneuten Wandel zum Engagement 4.0. Das Engagement wird insgesamt vielfältiger. Auch die Veränderung der Arbeits- und Lebensbedingungen und die Prägung der Digitalisierung beeinflusst das zukünftige Engagement. Dabei geschieht Engagement längst nicht mehr ausschließlich im Großen, wie in Organisationen, Institutionen, Verbänden oder Vereinen, sondern eher projektbezogen, also zeitlich befristet und selbstorganisiert in autonomen kleineren Formen. Menschen kommen vermehrt direkt über ein Thema zum Engagement und weniger über die Organisation. Man möchte beteiligt werden und sinnvoll seine Fähigkeiten und Begabungen einbringen, um sich auch persönlich weiter entwickeln zu können. Das derzeitige Engagement ist somit ausgesprochen vielfältig, mitunter unübersichtlich und spannungsreich.
Bunt und vielfältig, offen und menschenfreundlich
So bunt und vielfältig die Menschen in ihren unterschiedlichen Lebensentwürfen sind, so reich und verschiedenartig ist auch ihr ganz individuelles Engagement.
Nicht die einzelnen Formen des Ehrenamts sollten dabei bewertet beziehungsweise auch abgewertet werden, entscheidend ist ihr Kern, jede einzelne gute Tat. Eine wertbezogene, offene und menschenfreundliche Kirche und Gesellschaft sollten diese Vielfalt nicht nur tolerieren, sondern Räume und Orte dafür bieten, um Breite und Weite im Engagement zuzulassen und zu ermöglichen.
Begabung und Berufung frei legen
Nach wie vor scheint die Suche nach ehrenamtlich Engagierten für zu erledigende Aufgaben oder zum Erhalt einer Organisation, einer Gruppe oder einer Sache im Mittelpunkt zu stehen. Bei diesem Ansatz besteht die Gefahr, dass Menschen ein Ehrenamt „bekleiden“, weil es gut aussieht, aber sie stecken selber gar nicht drin, es bleibt äußerlich und wird nicht zur gelebten Überzeugung.
Was wäre, wenn die Perspektive dahingehend verändert werden würde, hin zu einer Haltung, die die ganz persönliche Begabung und das besondere Talent zum Vorschein zu bringen?
Es geht darum, tiefer zu durchdringen, was dem einzelnen Menschen geschenkt ist und wie er oder sie damit das Gemeinwohl bereichern kann. Denn von Anfang an bilden Gaben und Aufgaben ein Tandem. Wo beides zusammenkommt, erfährt sich der Mensch sinnerfüllt und überzeugend. Oder wie es Aristoteles formuliert: „Wo die Not dieser Welt deine Begabungen kreuzt, dort liegt deine Berufung.“
Eine derart entwicklungsoffene Gesinnung ist allerdings nicht zum Nulltarif zu haben. Sie erfordert Mut und Risikobereitschaft oder – spirituell ausgedrückt – Gottvertrauen. Sie muss großzügig sein im Eröffnen von Möglichkeiten, damit Gaben nicht verborgen bleiben. Sie muss pragmatisch sein im Ausprobieren neuer Wege, damit Entdeckungsprozesse geschehen können.
Denn Ehrenamt hat zutiefst mit Nächstenliebe zu tun. Ehrenamtliche sind Helden der Nächstenliebe, sie geben die Hoffnung nicht auf, dass keiner in seiner Not allein bleiben muss, dass zum Leben viel mehr gehört, als voneinander nur Gewinn im materiellen Sinn zu erwarten.
Ehrenamtliche sind Helden der Weltliebe: Sie kümmern sich um die Natur, um ausgesetzte Tiere, um die politische Willensbildung, den gesellschaftlichen Fortschritt.
Ehrenamtlich Engagierte haben Ahnung – von den Dingen dieser Welt, vom Leben und vom Glauben. Sie setzen sich ein für eine menschenfreundliche Kirche und Gesellschaft, sie stehen auf, um miteinander Gegenwart, aber auch Zukunft zu gestalten.