Ausgabe: Mai-Juni 2025
SchwerpunktHeute über den eigenen Glauben sprechen

Rahmenbedingungen – Erfahrungen – Impulse
Jan Loffeld stellt in seinem 2023 erschienenen Buch Wenn nichts fehlt, wo Gott fehlt das Paradigma in Frage, dass Menschen grundsätzlich auf der Suche nach dem Sinn ihres Lebens sind. Er stützt sich dabei unter anderem auf die alle zehn Jahre stattfindende Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung. Die Ergebnisse der Umfrage 2022 zeigen: Mehr als 56 Prozent der Befragten bezeichnen sich als „areligiös“ und sind damit für religiöse Fragen nicht ansprechbar.
Loffeld zitiert Walter Kardinal Kaspar mit den Worten: „Man kann heute schon froh sein, einen Atheisten zu treffen“, also einen Menschen, der sich bewusst gegen Gott entschieden hat, den aber religiöse Fragen noch bewegen. Der Trend der Zeit geht also nicht in Richtung Atheismus, sondern es ist ein Phänomen festzustellen, das Loffeld mit dem aus dem angelsächsischen Raum stammenden Begriff „Apatheismus“ beschreibt. Damit wird eine durch und durch gleichgültige Haltung gegenüber Religion ausgedrückt. Dem gegenüber denke ich gerne an so manche Schulstunden in meiner Gymnasialzeit in den 80er Jahren zurück, in denen wir über Glaube, Bibel und Kirche diskutierten, und das nicht nur im Fach Religion!
Kirchlicher Rahmen
Im Vorfeld des Konzils von Nizäa im Jahr 325 n. Chr. wird überliefert, dass sich die Marktfrauen in Konstantinopel über die Frage „Ist Jesus gottgleich oder nur gottähnlich?“ so ereiferten, dass sie sich mit Melonen bewarfen. Martin Luther rang im 16. Jahrhundert mit der Frage: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“. Im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts. waren die Vortragssäle der Erwachsenenbildung gut gefüllt, wenn Theologieprofessoren referierten. Themen, wie zum Beispiel die Frage nach „Himmel, Hölle und Fegfeuer“, Bibelauslegung oder die „Unfehlbarkeit des Papstes“ zogen viele Interessierte an. In der Katholischen Erwachsenenbildung in Bayern gab es in den 90er Jahren zusammen mit dem Bayerischen Rundfunk das große Medienverbundprojekt „Credo“. Es wurde eine Sendereihe zu den einzelnen Glaubensartikeln ausgestrahlt. In fast jeder Pfarrgemeinde wurde damals zu Veranstaltungen eingeladen, in denen man sich über die Inhalte austauschte und die in der Regel gut besucht waren. Die heutigen Erfahrungen in der Erwachsenenbildung zeigen, dass das Interesse an inhaltlichen Glaubensthemen deutlich zurückgeht.
Persönliche Erfahrungen
Ich befinde mich im Zug. Auf der anderen Seite des Ganges sitzen ein junger Mann und eine junge Frau. Aus ihren Gesprächen ist zu entnehmen, dass sie sich auf die Prüfung als Lokführer vorbereiten. Den Dialekten nach scheint die Frau aus den östlichen Bundesländern zu stammen, der Mann aus Niederbayern. Da kommt ein buddhistischer Mönch in einem orangefarbenen Sari in das Zugabteil und verteilt Flyer für Meditationskurse, die in einem Ashram im Bayrischen Wald stattfinden. Der junge Mann interessiert sich für das Angebot und plaudert kurz mit dem Mönch. Als sich dieser auch an mich wenden will, lehne ich mit einer abwehrenden Handbewegung ab. Aber nun entwickelt sich ein spannendes Gespräch der beiden. Die Frau fragt in einem überraschten, aber positiven Ton: „Ich wusste gar nicht, dass du dich für Glaubensfragen interessierst!“ Der Mann antwortete: „Na ja, aus der Kirche bin ich schon lange ausgetreten. Aber irgendwann ist das Leben doch vorbei und ich frage ich mich schon, was das Ganze hier auf dieser Welt zu bedeuten hat.“ Die zwei tauchten dann wieder in die Tiefen der Bedeutung von Signalen und Verhaltensregeln für Lokführer ab. In meinem Kopf ratterte es: Soll ich sie ansprechen? Mit welchen Worten kann ich auf die Frage des Mannes eingehen? Ich habe es nicht getan und bereue es bis heute.
Anderes Beispiel: Ein Bischof visitiert einen Pfarrverband. Am Abend sind alle Ehren- und Hauptamtlichen zu einem Gespräch mit dem Bischof eingeladen. Er spricht zu Beginn sehr persönlich über seinen Glauben, Herausforderungen, denen er dadurch im Alltag begegnet, und seiner Liebe zu Jesus Christus. Im Anschluss lädt er zum Austausch ein. Man könnte erwarten, dass nun ähnliche Beiträge oder diesbezügliche Rückfragen kommen: Welche Glaubensfragen bewegen uns persönlich? Fehlanzeige. Es folgten die Diskussionen über die bekannten kirchenpolitischen Strukturfragen. Ein Einzelfall? Mir begegnen immer wieder kirchlich engagierte Menschen, die es bedauern, dass in Gremien Gespräche über den (eigenen) Glauben meist nicht möglich sind, während die Frage nach dem Preis für die Bratwurstsemmel beim nächsten Pfarrfest einen breiten Raum einnimmt. Woran liegt das? Widerspricht das unserer Mentalität? Sind wir es nicht gewohnt? Oder bewegt uns der Glaube nicht wirklich?
Impulse für das Handeln
Die Kirche kennt vier Grundvollzüge: Liturgia (Gottesdienst), Diakonia (Dienst am Menschen), Martyria (Verbreitung des Evangeliums) und Koinonia (Gemeinschaft). Meiner Wahrnehmung nach ist der Grundvollzug der Martyria in vielen Pfarreien unterbelichtet. Gibt es genügend Sensibilität dafür, dass der Glaube keine Privatsache ist, dass die Gemeinde nicht für sich selbst da ist, sondern den Auftrag hat, das Evangelium zu verkünden, an die Ränder zu gehen? Das erste (!) Schreiben von Papst Franziskus mit dem Titel Evangelii Gaudium (Die Freude des Evangeliums) wurde im Gegensatz zur Umwelt-Enzyklika Laudato sí kaum rezipiert. Franziskus plädiert leidenschaftlich dafür, dass sich jede und jeder Einzelne zunächst wieder selbst und dann das jeweilige Umfeld evangelisiert. Schon der Begriff der „(Neu-)Evangelisierung“ löst aber bei vielen kirchlich Engagierten zunächst Unbehagen aus. Warum eigentlich? Wie dieser Begriff konkret zu verstehen ist und wie das in der Praxis aussehen kann, bedarf sicher noch mancher Überlegungen. Es wäre aber wünschenswert, dass in den kirchlichen Gremien diesem Thema Raum gegeben wird und unvoreingenommen Möglichkeiten geprüft werden, wie heute und konkret im jeweiligen Umfeld die Botschaft vom menschgewordenen Sohn Gottes ins Gespräch gebracht werden kann.
Maßgeblich scheint mir die Aufforderung aus dem ersten Petrusbrief zu sein: „Fürchtet euch nicht vor ihnen und lasst euch nicht erschrecken, heiligt vielmehr in eurem Herzen Christus, den Herrn! Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt“ (1 Petr 3,14f). Es gilt die Menschenfurcht zu überwinden, so wie der buddhistische Mönch im Zug. Er ist überzeugt, dass sein „Produkt“ gut ist und gibt Zeugnis darüber und siehe da, er findet Interesse! Über Methoden lässt sich streiten. Aber das Evangelium ist es wert, ins Gespräch gebracht zu werden. Mehr noch, es ist unser Auftrag. Mit ein bisschen Phantasie und Mut gibt es viele Gelegenheiten, persönlich Zeugnis zu geben. Gerade in der heutigen Zeit äußern viele Menschen offen in Gesprächen, dass sie verunsichert sind und Zukunftsängste haben. Könnten wir dabei nicht hin und wieder unaufdringlich einfließen lassen, dass uns der Glaube an Gott stärkt und wir trotz allem eine Hoffnung haben? Dabei dürfen wir vertrauen, dass uns dann eingegeben wird, was wir sagen sollen und wie wir reden sollen (vgl. Mt 10,19). Darauf hätte ich im Zug bauen müssen. Menschen haben doch Fragen, es lohnt sich, mutig sein!
Verfasst von:
Wolfgang Stöckl
Bischöflicher Beauftragter für Katholische Erwachsenenbildung (KEB), Bistum Regensburg