Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: Mai-Juni 2025

Schwerpunkt - Vor Ort

Meiner Kirche ist es nicht egal …

Von Gesprächen, die anhand der Karten zwischen Betroffenen und Angehörigen, Freunden, Arbeitskolleginnen stattfinden, wird immer wieder erzählt. Diese Gespräche sind der große Reichtum der Aktion. Bild: Christine Hämmerle

Alle kennen inzwischen Menschen in ihrem Umfeld, die aus der Kirche ausgetreten sind oder über einen Austritt nachdenken. Manche wurden auch schon angesprochen, warum sie denn noch dabei sind in der Kirche. Aber fangen wir bei uns selbst an.

„Endlich kann ich sagen: Meiner Kirche ist es nicht egal, dass immer mehr austreten. Ich habe jetzt etwas in der Hand, auf das ich hinweisen kann.“

Diese Aussage höre ich oft, seit wir das Pilotprojekt „nicht egal“ unserer Citypastoral-Stellen für alle Pfarreien öffnen. Es zeigt, wie sehr die hohen Austrittszahlen kirchlich Engagierte belasten. Es ist ein seltsames Gefühl, wenn etwas, das selbstverständlich war, inzwischen in Frage gestellt wird. Es ist wichtig, dass wir bei uns selbst anfangen: Warum bin ich katholisch? Wie bin ich katholisch? Was freut mich in der Kirche? Was ärgert mich? Was erwarte ich in der katholischen Kirche?

Es lohnt sich, mit diesen Fragen ein paar Minuten zu verbringen. Schreiben Sie Stichworte auf. Achten Sie auf die eigenen Gefühle.

Solche kleinen Übungen gehören dazu, wenn wir das Projekt vorstellen. Oft beginne ich mit zerknüllten Seiten aus dem alten Gotteslob. Ich muss behutsam sein, wenn ich etwas wieder öffnen will, das zerknüllt worden war. Es löst Emotionen aus, wenn ich dann zum Beispiel auf dem zerknitterten Papier lese: „Hört, es singt und klingt mit Schalle: Fürcht‘ euch nicht, ihr Hirten alle!“ (GL 240) Weihnachtserinnerungen? Trauer, Ärger, wie jemand das „wegwerfen“ kann? Die Reaktionen sind vielfältig. Im gleichen Lied heißt es auch „Denn er ist zur Welt gekommen für die Sünder und die Frommen.“ Das ist unsere Herausforderung als Kirchenmenschen: Bei Gott sind alle gemeint. Gott wendet sich allen zu.

Können wir in Gottes Fußstapfen treten? Mit freiem Herzen? Das ist nicht so einfach. Wenn sich jemand von einer Gemeinschaft trennt, zu der ich gehöre, löst das einiges aus. Das meiste ist uns nicht bewusst. Es tut gut, die verschiedenen Anteile zu erkennen. Spüren Sie nach, was bei Ihnen alles da ist: Abwehr, Verunsicherung, Traurigkeit, Ärger, Verständnis, Neid, Gleichgültigkeit, Nachdenken, Verlust, Lethargie, Aktionsbereitschaft?

Gemeinsames Gesprächsangebot

In der Arbeitsgruppe „Kirchenaustritt – Wiedereintritt“ entstand die Idee für „nicht egal“. Die drei Citypastoral-Stellen unserer Diözese, Augsburg, Kempten und Memmingen, sollten ein konkretes Angebot entwickeln, das zeigt, dass die vielen Menschen, die der Kirche den Rücken kehren, der Kirche nicht egal sind. Am 22. März 2023 traf sich in Memmingen die Projektgruppe zum ersten Mal: Maria Weiland (Cityseelsorge Memmingen), Hannes Häntsch (Kempten life – Mitten im Leben), Mechtild Enzinger (Moritzpunkt | Moritzkirche Augsburg), Michaela Wuggazer (Pastorale Grunddienste, Bistum Augsburg (Projektbegleitung). Tobi Stricker (up! Creative Brand building) übernahm die grafische Gestaltung. Gemeinsam arbeiteten wir unsere Haltung für das Gesprächsangebot heraus:

  • Wir wollen erfahren, was Menschen dazu bringt, ihren Austritt zu erklären oder darüber nachzudenken.
  • Wir wollen aufmerksam sein für unsere eigenen Reaktionen.
  • Wir möchten gut zuhören und den Weg dieser Menschen achten.
  • Wir wollen den Gedanken, sie wiederzugewinnen, bewusst auf die Seite stellen.

Als Kirchenmenschen stellen wir uns zur Verfügung und hören aufmerksam zu.

Aus den drei Stellen der Citypastoral in Augsburg, Kempten und Memmingen kamen schließlich neun Kontaktpersonen zusammen. Sie stellten sich mit Foto und kurzem Text auf www.siesindnichtegal.de vor. Tobi Stricker entwickelte die Homepage, das erste Kartenset und die Plakate. Regelmäßig wurden Erfahrungen ausgetauscht.

Es wurde deutlich, dass es nicht nur um die Menschen geht, die die Kirche verlassen (wollen), sondern in großem Maße auch um die Engagierten. Karten, Plakate und die Website wurden als erfreulich zeitgemäß erlebt. Einige sahen allerdings bei den ersten Karten eine zu depressive Sicht derer, die die Kirche verlassen. „Sieht mich die Kirche so?“, wunderte sich einer. „Ich bin nicht bedürftig oder depressiv. Ich bin voller Selbstvertrauen aus der Kirche ausgetreten! Das passt so für mich.“ Obwohl die Karte nicht der Selbstwahrnehmung entsprach, kam es zu einem Gespräch.

Wir nahmen die Reaktionen auf, entwarfen neue Karten und änderten die Homepage, damit die Vielfalt der Angesprochenen besser zum Ausdruck kommt. Im November 2024 wurde das Projekt bei der Herbstvollversammlung des Diözesanrates vorgestellt, im Januar 2025 Pfarreien und Orden zu dem Projekt eingeladen. Gemeindeentwicklung, Verbände und Bildungseinrichtungen wurden informiert.

 

Beteiligung durch Pfarreien

Pfarreien und Einrichtungen können sich unterschiedlich intensiv beteiligen. Das gesetzte Engagement der Citypastoral-Stellen bietet Entlastung. Diese neun Personen stehen nicht nur vor Ort, sondern auch telefonisch oder mit Video-Call zur Verfügung. Das bedeutet, dass alle Pfarreien und Einrichtungen an diesem Projekt teilnehmen können, indem sie einfach auf www.siesindnichtegal.de verweisen. Es gibt verschieden farbige Buttons, um auf der eigenen Homepage einen Link zu setzen. Und es gibt Karten und Plakate. Sie sind nicht nur für Kirchenräume oder kirchliche Einrichtungen gedacht. Ein Plakat (Din-A-4) könnte auch in einer Bäckerei hängen. Die Karten könnten in einem Café ausliegen. Bereits die Überlegungen, bei wem man anfragen könnte, führen zu wertvollen Gesprächen und machen bewusst, dass alle Engagierten in unserer Kirche gefragt sind.

Eine Pfarrei bestellte eine hohe Zahl Karten, um sie im Pfarrbrief einzulegen. Wir wollten aber weder die Zeit Ehrenamtlicher beanspruchen, tausende Karten einzulegen, noch zur Altpapiersammlung beitragen. Deshalb entwickelte Tobi Stricker eine Druckvorlage für Pfarrbriefe.

Wenn Pfarreien und Einrichtungen sich mit eigenen Kontaktpersonen beteiligen wollen, erhalten sie von uns eine Einführung und können dann auf der Homepage, nach Orten sortiert, angegeben werden. Für das ganze Projekt gilt, dass wir regelmäßig Erfahrungen einholen, auswerten und Veröffentlichungen anpassen und ergänzen. Unter Glaubenskommunikation - Pastorale Grunddienste und Sakramentenpastoral finden Sie immer die neuesten Informationen zu „nicht egal“ und auch das Angebot einer „Sprachschulung Glauben“, wenn Sie die Sprachfähigkeit im Glauben beleben wollen.

 

Endlich hört jemand zu

Inzwischen beteiligen sich 40 Pfarreien(-gemeinschaften), zwei Kliniken und zwei Klöster am Projekt. Von Dezember 2024 bis einschließlich Februar 2025 haben etwa  1 800 Menschen auf die Homepage zugegriffen. In Einzelfällen kamen Gespräche mit unseren Kontaktpersonen zustande. Für einen rettete die Karte mit der Kontaktmöglichkeit das Weihnachtsfest. Eine andere war berührt, dass eine Bekannte ihr die Karte schickte und ihr endlich jemand „von der Kirche“ zuhörte.

Von Gesprächen, die anhand der Karten zwischen Betroffenen und Angehörigen, Freunden, Arbeitskolleginnen stattfinden, wird immer wieder erzählt. Diese Gespräche sind der große Reichtum der Aktion. Zahlenmäßig erfassen können wir diese nicht. Die Energie ist spürbar, wenn Menschen bei Informationsveranstaltungen anfangen zu überlegen, wen sie mit einer solchen Karte besuchen könnten. Wir sind gespannt, wie es sich weiterentwickelt.

Unterstützende Literatur:

Das Bonifatiuswerk bietet mit Arbeitshilfe: Drinnen, draußen, (n)irgendwo? eine hilfreiche Zusammenstellung zum Thema Kirchenzugehörigkeit mit Hintergründen, Beispielen und Übungen.


Verfasst von:

Michaela Wuggazer

Theologin, Pastoralreferentin, tätig in der Abteilung Pastorale Dienste und Sakramentenpastoral im Bistum Augsburg