Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: Mai-Juni 2025

Interview

„Menschen wollen echte Geschichten“

Foto: privat

Was bedeutet es, als Laie Zeugnis vom Glauben abzulegen? Tobias Haberl, Journalist und Autor, erklärt im Gespräch mit Gemeinde creativ, warum er „unter Heiden“ lebt, wie er die katholische Kirche erlebt und warum gerade heute ein selbstbewusstes Bekenntnis notwendig ist.

 

 

 

Gemeinde creativ: Herr Haberl, Sie schreiben und sprechen in Ihrem Buch „Unter Heiden“ über Ihren Glauben. Was meinen Sie genau mit diesem Begriff?

Tobias Haberl: Der Titel ist natürlich bewusst provokant gewählt. Im klassischen Sinne waren Heiden ja gläubige Menschen, nur mit anderen Göttern. Ich meine heute damit jene, die mit dem Glauben nichts anfangen können. Viele Menschen in meinem Umfeld – ob Freunde, Kollegen oder Nachbarn – können nicht nachvollziehen, warum ich noch in der Kirche bin. Warum ich jeden Sonntag in die Messe gehe. Für sie ist das alles unbegreiflich. Der Begriff "Heiden" hat für mich eine archaische Kraft, aber ich erkläre im Buch, dass ich damit niemanden abwerten will.

Es ist eher eine Momentaufnahme meiner persönlichen Situation: Ich lebe in einer Welt, in der der Glaube für viele nicht mehr zählt. Ich möchte zeigen, dass es möglich ist, dennoch an Gott zu glauben und dazu zu stehen. Ich will niemandem vorschreiben, was er zu glauben hat, aber ich finde es wichtig, dass der Dialog nicht abreißt, das sage ich auch oft bei meinen Lesungen. Der Begriff "Heiden" fühlt sich für mich an wie ein Spiegel der Spannung, in der ich lebe.

Ihr Buch stößt auf viel Resonanz. Was bewegt die Menschen, die zu Ihren Lesungen kommen?

Viele Menschen kommen nach den Lesungen zu mir und sagen: „Danke, dass Sie das ausgesprochen haben.“ Es scheint ihnen Mut zu machen, dass jemand wie ich, ein Journalist ohne theologischen Hintergrund, sich zu seinem Glauben bekennt. Sie erzählen mir oft, dass sie sich isoliert fühlen, fast wie auf einer schrumpfenden Eisscholle. Manche sagen, sie hätten sich angewöhnt, ihren Glauben im Geheimen zu leben, aus Angst vor Ablehnung. Das finde ich bedrückend.

Wie erklären Sie sich diese Unsicherheit?

Die Kirche hat durch die Missbrauchsskandale und ihre oft schwerfällige Kommunikation viel an Glaubwürdigkeit verloren. Viele winken einfach ab, wenn sich Vertreter der Kirche äußern, egal was gesagt wird. Da ist eine massive Skepsis. Ich glaube aber, dass genau deshalb Laien eine entscheidende Rolle spielen. Sie können eine Glaubwürdigkeit und eine Nähe vermitteln, die manchen Amtsträgern schwerfällt.

Bei meinen Lesungen erkläre ich oft: Wir sind die Kirche. Nicht nur die Bischöfe oder Priester, sondern alle Getauften tragen Verantwortung. Das wurde mir erst klar, als ich anfing, öffentlich über meinen Glauben zu sprechen.

Sie schreiben, dass die Kirche die Verbindung zwischen Gott und dem Guten wiederherstellen muss. Was meinen Sie damit?

Viele sehen in der Kirche nur noch eine Institution wie jede andere – wie ein Arbeitsamt oder einen Sportverein. Aber die Kirche ist doch mehr! Es geht um Erlösung, um die Hoffnung auf das ewige Leben, um Gott. Das betonen wir viel zu wenig. Die Kirche darf nicht nur moralische Appelle verkünden. Sie muss ihre Botschaft, ihren Markenkern klarer formulieren: Es geht um die Hoffnung, dass es mehr gibt als diese Welt.

Ich erlebe, dass viele Menschen den Glauben darauf reduzieren, etwas Gutes zu tun oder solidarisch zu sein. Das ist wichtig, keine Frage. Aber die eigentliche Botschaft – die Hoffnung auf Erlösung und das ewige Leben – bleibt oft auf der Strecke. Wir müssen wieder den Mut finden, diese Botschaft zu verkünden.

Haben Sie den Eindruck, dass das Über-den-Glauben-Reden Mut erfordert?

Das kommt darauf an. Mir persönlich fällt es nicht schwer, über meinen Glauben zu sprechen, weil ich das als Journalist gewohnt bin. Aber ich spüre, dass es für viele eine große Hürde ist. Man fühlt sich schnell angegriffen oder verspottet. Aber meine Erfahrung ist: Wenn man ehrlich und aufrichtig über seinen Glauben spricht, findet man immer auch Zustimmung. Es erfordert natürlich eine gewisse Standhaftigkeit, gegen den Strom zu schwimmen.

Ich habe zum Beispiel festgestellt, dass selbst Menschen, die sich als Atheisten bezeichnen, oft erstaunlich uninformiert über den Glauben sind. Ich frage dann: Hast du dich wirklich schon einmal damit auseinandergesetzt oder ist das nur ein Vorurteil? Das führt oft zu spannenden Gesprächen.

Ihre Lesungen haben eine besondere Dynamik. Wie gelingt es Ihnen, die Menschen zu erreichen?

Ich erzähle einfach ehrlich von meinen Erfahrungen. Ich bin kein Theologe, ich lese nicht jeden Tag in der Bibel. Aber ich erkläre, warum der Glaube für mich ein Halt ist in einer Welt, die oft orientierungslos wirkt. Menschen wollen keine Predigten – sie wollen echte Geschichten hören. Und das Wichtigste ist, dass sie sich selbst ermutigt fühlen, über ihren Glauben zu sprechen.

Was nehmen Sie aus diesen Begegnungen mit?

Dass der persönliche Austausch unglaublich wichtig ist. Viele sagen mir nach den Lesungen: „Ich werde jetzt auch wieder mehr über meinen Glauben sprechen.“ Das macht mich glücklich. Es zeigt, dass es einen Weg gibt, aus dieser oft empfundenen Isolation herauszukommen. Wir müssen den Glauben wieder selbstbewusster in die Gespräche bringen – ohne Angst vor Ablehnung.

Ein Teilnehmer sagte einmal: "Danke, dass Sie so ehrlich waren. Sie haben mir gezeigt, dass ich mich nicht schämen muss, gläubig zu sein." Solche Momente bestätigen mich darin, weiterzumachen.

Wie kann die Kirche in einer digitalisierten, beschleunigten Welt relevant bleiben?

Indem sie sich für die Sorgen und Nöte der Menschen interessiert und eine Alternative bietet. Menschen suchen Halt, Orientierung und Hoffnung. Die Kirche muss darauf antworten, aber sie darf sich dabei nicht einfach anpassen. Sie muss disruptiv sein, wie man heute sagt. Nicht die Botschaften der Welt nachplappern, sondern ihre eigene Hoffnung verkünden.

Ein Beispiel: In einer Welt, die von Technologie und Selbstoptimierung dominiert ist, sollte die Kirche auf die Grenzen des Menschseins hinweisen. Wir sind nicht allmächtig, und das ist gut so. Diese Perspektive kann befreiend wirken.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Kirche?

Dass sie mutiger wird, ihre Kernbotschaft zu verkünden. Dass sie sich nicht scheut, die „vertikale Dimension“ des Lebens anzusprechen – die Hoffnung, dass es mehr gibt als diese Welt. Und ich wünsche mir, dass wir alle als Getaufte den Mut finden, über unseren Glauben zu sprechen. Nicht missionierend, sondern ehrlich und aus dem Herzen heraus.

Ich glaube, dass der Glaube etwas ist, das uns Hoffnung gibt in einer Welt, die oft von Angst und Unsicherheit geprägt ist. Diese Hoffnung müssen wir teilen – mit Worten, aber vor allem durch unser Handeln.

Tobias Haberl, geboren 1975 im Bayerischen Wald, hat in Würzburg und Großbritannien Latein, Germanistik und Anglistik studiert. In den Jahren 2001 und 2002 war er freier Journalist in Berlin, besuchte dann die Henri-Nannen-Schule Hamburg und ist seit 2005 Redakteur im Magazin der „Süddeutschen Zeitung“. 2016 erhielt er den Theodor-Wolff-Preis. 2022 legte er „Der gekränkte Mann. Verteidigung eines Auslaufmodells“ sowie „Die große Entzauberung. Vom trügerischen Glück des heutigen Menschen“ vor, 2024 sein Bekenntnisbuch „Unter Heiden – Warum ich trotzdem Christ bleibe“. Der Autor lebt in München.


Verfasst von:

Hannes Bräutigam

Redaktionsleiter