Ausgabe: Mai-Juni 2025
SchwerpunktVertrauen, Liebe, Hoffnung

In der Theologie steht bis heute mehr oder weniger fest, dass die Frage nach der Begründbarkeit des Glaubens eine Sache der Vernunft ist: die Suche nach logisch konsistenten Antworten auf die Widersprüche, die sich uns in der Rede von Gott stellen. Aber praktisch ist das nicht.
Die „Antworten“ auf die Suche nach der Wahrheit sind im Laufe der Geschichte vielfältig und kreativ ausgefallen. Vollends befriedigend ist davon keine. Wie auch? Göttliches und menschliches Sein können Menschen nicht zusammen denken.
Ich lese aus der Geschichte des Glaubens eigentlich einen Primat der Praxis. Die Apostel sind nicht losgegangen, um eine Universität zu gründen, sondern haben Menschen angesprochen, Gemeinden gegründet, Dienste eingerichtet und mit Wegen experimentiert, aus dem Evangelium eine Lebensform zu machen. Christen mussten ihren Glauben irgendwie zum Ausdruck bringen, solange sie auf die Wiederkunft Christi warteten. Natürlich brauchte es daneben auch die Formulierung einer Theologie, aber ohne dass sie anderen erzählt worden wäre, wäre das Christentum bald ausgestorben. Und das Ziel dieser Erzählung war es, bisherige Glaubens- und Lebenspraxen im Sinne der frohen Botschaft zu verändern. Wenn in Mt 7,20 steht: „An ihren Früchten also werdet ihr sie erkennen“, dann wird für die Bewertung eines echten, gerechtfertigten Glaubens auf jeden Fall eine Praxis zum Kriterium erhoben.
Ethik vor Logik
Tatsächlich erleben wir in unserem Zeitalter die Zweifel an den Glauben weniger als Anfragen an seine Logik als an seine ethische Verantwortbarkeit: Stehen wir mit unserem Glauben moralisch auf der „richtigen“ Seite der Geschichte? Deshalb genießt soziales Engagement heute noch hohes Ansehen, auch wenn es als kirchliches Handeln daherkommt. Und trotzdem finden sich Engagierte immer wieder Anfeindungen ausgesetzt. Ich denke hier vor allem an die Geflüchtetenhelferinnen und -helfer, die 2015 als „Gutmenschen“ diskreditiert wurden; auch bei der Caritassammlung können Freiwillige und Pfarrbüromitarbeitende manchmal auf Gegenwind stoßen, gerade weil sie im Auftrag der Kirche unterwegs sind, die in solchen Fällen bestenfalls als anachronistisch, eher noch als „dumm“ und manchmal als „böse“ angesehen wird. Spott kann man überall noch ernten.
Natürlich haben solche Ansprüche auf moralische Eindeutigkeit keine größeren Chancen als die nach eindeutiger Wahrheit. Die Frage nach der Begründbarkeit des Glaubens kann nicht auf Ethik reduziert werden. Vielleicht kann man deshalb solche Kritik noch gut wegstecken. Die Einschläge aus dem eigenen Umkreis wirken da schon nachhaltiger: „Bist Du noch immer für den Verein aktiv?“; „Du schenkst denen so viel Lebenszeit – was springt eigentlich für Dich dabei raus?“ Solche Fragen sind schmerzhaft, weil sie oft genug berechtigt sind und von Menschen stammen, die einen gut kennen und lieben. Sie haben aber nicht die Kraft, eine Glaubenspraxis endgültig in Frage zu stellen, weil die Frage nach dem guten Leben eben nicht alle Dimensionen erfasst, die jemanden zum Handeln motivieren.
Stimmigkeit von Glauben und Praxis
Die wenigen Male, in denen ich erlebt habe, dass Menschen mit ihrem Engagement für die kirchliche Caritas ernsthaft hadern, da war es jedoch die innere Stimme, die laut geworden war. Das war, als zeitgleich die Dokumentation über queere Mitarbeitende in der Kirche sowie die „Bilanz des Schreckens“ über den sexuellen Missbrauch in der Erzdiözese München und Freising veröffentlicht wurden. „Verfestige ich schlechte Strukturen, wenn ich mich engagiere?“; „Mache ich mich mitschuldig an den Opfern, wenn ich mein Amt bzw. Ehrenamt nicht sofort niederlege?“, „Kann ich noch in den Spiegel schauen, wenn ich da weiterhin tätig bin?“, oder schlicht „Es fühlt sich einfach nicht mehr stimmig an!“ Das sind keine Widersprüche im Denken, sondern das lähmende Gefühl fehlender Kohärenz, das nicht lange beiseitegeschoben werden kann. Diese Situationen fordern eine Entscheidung, deren Tragweite sich besser erkennen lässt, wenn man darauf blickt, was Engagierte gegebenenfalls in Kauf nehmen. Sie verlieren eine Aufgabe, in der sie gebraucht werden; sie erleben Trennungsschmerz gegenüber einzelnen Menschen oder Gruppen, sie leiden an Schuldgefühlen, weil sie befürchten, mit ihrer Entscheidung eine Person, die Hilfe braucht, im Stich zu lassen.
Beide Reaktionen, das Verbleiben im Engagement genauso wie der Abschied, sind im Moment ihres Geschehens unausweichlich. Entweder es reicht die innere Einstellung, um eine Praxis weiter zu begründen, oder sie reicht nicht. Es ist anders als bei der kognitiven Dissonanz, die jemand immer wieder einpacken und weglegen kann, um sich den Anforderungen des Alltags zu stellen. Das bedeutet keinesfalls, dass, wer nicht mehr im Rahmen der Kirche handeln will, nicht mehr glaubt! Aber der innere Antrieb nach einer Stimmigkeit von Glauben und Praxis wird gewisse Anteile dieses Glaubens überflüssig machen. Und es bedeutet auch nicht, dass christliches Handeln nur im Rahmen eines expliziten Glaubens oder gar kirchlichen Rahmens stattfinden kann. Viele „Aussteiger“ werden sich anschließend woanders engagieren. Wir können aber festhalten: Wo noch Handeln im Namen der Kirche stattfinden kann, da herrscht irgendeine Form von Glauben vor. Ist das nicht zu wischiwaschi? Was soll das für ein Glaube sein, was hat das alles mit seiner Rechtfertigung zu tun? Ich will das aus meiner Praxis-Erfahrung heraus erklären.
Vertrauen auf einen guten Ausgang
Wer karitativ arbeitet, hat es in aller Regel mit unzureichenden Ressourcen zu tun, häufig auch mit einem Mangel an Mitstreiterinnen und Mitstreiter. Man kämpft manchmal gegen politische und gesetzliche Vorgaben an, nimmt emotionale Belastung in Kauf, und steckt immer wieder Rückschläge ein, um nur einige mögliche Herausforderungen zu nennen. Angesichts dessen dennoch aktiv zu werden, Zeit und Kraft zu investieren, bedeutet, darauf zu vertrauen, dass ein Weg durch diese Hürden hindurchführt.
Es braucht auch das Vertrauen, dass ein guter Ausgang grundsätzlich erreichbar ist: Sei es die Integration eines traumatisierten Geflüchteten, die gute Betreuung eines psychisch schwer erkrankten Menschen, die Begleitung einer vereinsamten Patientin in einen würdigen Tod hinein. Es braucht Vertrauen darauf, dass das eigene Engagement sinnvoll ist, auch wenn vieles und manchmal alles dagegenspricht.
Mitarbeit an kirchlicher Caritas setzt auch Liebe voraus. Es muss die Erfahrung existieren, dass Liebe eine Kraft ist, die überall zu finden ist, die das Leben grundsätzlich trägt und Dinge bewirken kann. Darin steckt die Überzeugung, dass Menschen sich grundsätzlich zugewandt sind, dass man in allem nicht allein ist. Das erlebe ich, wenn Personen aus schwierigen Lebenssituationen heraus in die Gemeindecaritas kommen auf der Suche nach einer Aufgabe im Dienste am Nächsten. Es kann ein Akt der Selbstliebe sein, anderen in ihrer Not zu helfen, wenn ich dadurch zugleich Selbstwirksamkeit erlebe. Handeln bewirkt dadurch Hoffnung, für andere allemal, aber auch für mich selbst.
Können wir jemals mit letzter Sicherheit sagen, dass der Glaube eines Menschen gerechtfertigt ist? Ich glaube nicht. Wir können jedoch mit Sicherheit behaupten, dass, wer sich im Namen der Kirche karitativ engagiert, diese drei Dinge vorweisen kann: Vertrauen, Liebe und Hoffnung gegenüber etwas, was einen selbst übersteigt.