Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: Mai-Juni 2025

Ökumene

Weiterglauben

Spiritualität ist individuell, daher braucht es stark personalisierte Angebote, sonst entsteht Langeweile. Foto: Andraz Lazic auf unsplash

Unterwegs mit einem Glauben, der trägt

Viele Menschen kommen irgendwann in ihrem Leben an den Punkt, an dem ihr Glaube in einer Krise steckt. Sei es, weil sie zweifeln oder aber sich institutionell nicht mehr zugehörig fühlen. Zwei Stimmen dazu, welches Ringen hinter dieser Frage steckt und was Menschen dazu bewegen kann, dennoch weiter zu glauben.

Erste Zweifel an der Institution Kirche hatte Sabine Weiß schon in der Grundschule. Römischkatholisch getauft, glaubt sie an den lieben Gott und besucht den Religionsunterricht, doch es stößt ihr auf, dass der unterrichtende Pfarrer einen klaren Unterschied zwischen katholischen und sehr spärlich vorhandenen evangelischen Schülerinnen und Schüler macht. Dann beginnt der Kommunionunterricht, an dem sie vor allem die Beichte befremdet, weil sie in ihren Augen nie etwas getan hat, das tatsächlich beichtwürdig gewesen wäre. „Natürlich habe ich die Eltern mal angeschwindelt, was im Familienleben ganz normal ist. Das sehe ich nicht als Sünde. Also musste ich mich jedes Mal vorbereiten, damit ich dem Pfarrer irgendwas sagen konnte.“ Der Sinn erschließt sich ihr bis heute nicht.

Bibelauslegung als Grundlage des Glaubens

Die Kirche hat ein großartiges spirituelles Angebot, so Martin Benz. Nur muss sie wieder als Ort wahrgenommen werden, an dem die Seele berührt werde. Foto: privat

Martin Benz kennt das Ringen mit diesen Fragen aus eigener Erfahrung. Der Theologe, Autor und Podcaster hat nach einem sehr konservativen Theologiestudium und starker Verwurzelung im evangelikalen Milieu für sich in den vergangenen 15 Jahren eine geistliche Weiterentwicklung vollzogen und unterstützt heute Menschen dabei, einen für sie passenden Glauben zu entwickeln. „Glaube beginnt oftmals sehr pragmatisch und naiv. Da gibt es eine erste, relativ unreflektierte und sehr praktische Leidenschaft. Da übernehme ich bestimmte Rituale von anderen, aber was ich genau glaube, ist oftmals noch gar nicht definiert. Und im Laufe der Zeit höre ich dann Predigten, lese Bücher, die Bibel und all das führt dazu, dass sich ein bestimmter Glaube herausbildet.“ Dieser Glaube sei zunächst einmal ein Glaubenssystem, in das man hineinwachse, mit eigenen Betonungen, Strukturen und Inhalten. „Wenn Leute das verstehen, merken sie: Aha, dieser Glaube ist ja gar keine heilige Kuh, die ich nicht antasten darf, sondern einfach nur ein System, aber es gibt auch ganz andere Systeme und das ist oft eine Befreiung.“

So geht es auch Sabine Weiß. Bereits zu diesem Zeitpunkt liebäugelt sie mit der evangelischen Kirche, weil sie mit der Institution Katholische Kirche und dem Kirchgang nicht viel anfangen kann. „Ich bin in die Kirche gegangen, wenn jemand beerdigt worden ist oder geheiratet hat, aber Kirche war für mich in meinem normalen Leben keine Anlaufstelle. Wie da die Bibel ausgelegt wird, ist nicht die Grundlage für meinen Glauben.“

Gegen alle Widerstände zu seinem persönlichen Glauben zu stehen erfordert Mut, Sprachfähigkeit, Glaubenswissen und im Zweifelsfall Unterstützungsangebote. Solche Unterstützungsangebote bietet Martin Benz. „Mein Ansatz ist: Glaube darf sich weiterentwickeln, er darf durch Häutungen gehen. Ich gebrauche da das Bild von einem Umzug und stelle mir die gleichen drei Fragen: Was nehme ich mit, was entsorge ich und was muss ich mir neu aneignen?“ Übertragen auf den Glauben heißt das für ihn: Was an meinem Glauben ist wertvoll, tragfähig, klug? Was hat sich nicht bewährt, war krankmachend, hat vergiftet, viele Ängste mit sich gebracht? Was hat in eine Enge hineingeführt, in eine richtende Härte? Und schließlich: Was muss ich mir neu anschaffen? „Bestimmte Dinge waren vorher verschlossen für mich, weil sie in meinen Kreisen tabuisiert waren, und da mache ich jetzt ganz tolle Neuentdeckungen und sehe einen großen Reichtum, der mir vorher verschlossen war.“ So bekomme der Glaube wieder eine Relevanz und Tragfähigkeit, sei wieder anknüpfungsfähig für das eigene Leben.

Kirche nicht wegnehmen lassen

Sabine Weiß hat für ihren persönlichen Glauben in der katholischen Kirche dauerhaft kein Zuhause mehr gesehen. Auszutreten kam für sie trotzdem lange nicht in Frage. Zu sehr hing sie an dem Band, das ihre Eltern für sie durch die Taufe geknüpft hatten. Außerdem sehnte sie sich trotz allem nach konfessioneller Zugehörigkeit, nach einer Gemeinschaft. Der finale Bruch mit der katholischen Kirche kam aber erst im Jahr 2000, als innerhalb kürzester Zeit zwei Pfarrer vom Dienst suspendiert worden waren, weil sie am ökumenischen Abendmahl teilgenommen hatten. „Da habe ich für mich beschlossen, dass das mit meiner Lebenseinstellung auf keinen Fall zu vereinbaren ist und dass ich jetzt austrete.“

Für diese Entscheidung hat Martin Benz viel Verständnis, weil er findet, dass sich alle Kirchen mit Missbrauchsfällen und Verschleierung viel zu Schulden kommen haben lassen. „Und trotzdem würde ich sagen: Ich lass mir doch nicht von diesen Leuten die Kirche wegnehmen! Kirche geht besser und ich möchte einer von denen sein, die dazu einladen, es besser zu machen und andere können sich dann anschließen. Ich hoffe, dass die wieder den Zugang finden, und dazu möchte ich beitragen.“

Sabine Weiß hat ihr Weg schließlich in die evangelische Gemeinde Hohenlinden geführt, an die sie bereits lose über ihren Mann angebunden war. Ein in ihren Augen „Ausnahmepfarrer im besten Sinne“ und die gute Gemeinschaft dort haben sie mit offenen Armen empfangen. Bis heute fühlt sie sich gut aufgehoben. Martin Benz freut sich über Wege wie ihren, weil enttäuschte Erwartungen viel zu häufig in Zynismus und Unglaube münden, was die Menschen unglücklich mache. „So wie Essen die Grundlage unseres körperlichen Lebens ist, so ist das Spirituelle die Grundlage unseres Seelenlebens. Menschen suchen die Nahrung, die ihnen guttut. Und wenn mir die kirchliche Nahrung nicht guttut, suche ich meine Nahrung eben woanders, oder?“ Besonders tragisch findet er, dass die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der evangelischen Kirche vergangenes Jahr gezeigt habe, dass Spiritualität im Allgemeinen im Niedergang begriffen sei – nicht nur die kirchliche, sondern Spiritualität im Allgemeinen. „Was wir gerade erleben, ist im übertragenen Sinn, dass die Leute anfangen zu fasten, sie essen gar nicht mehr. Das heißt, wir haben Menschen, die seelisch verhungern, weil sie keine spirituelle Nahrung mehr zu sich nehmen.“ Für Martin Benz sind wir in der Konsequenz reine Materialistinnen und Materialisten, kümmern uns umso mehr um unseren Körper, mit Sport, Fitness, Health Science, Nahrungsergänzungsmitteln. „Wir haben eine Gesellschaft, die seelisch verkümmert und darum sind wir zu so wenig Empathie, Mitgefühl und seelischen Kompetenzen fähig. Das ist eine Tragödie! Da ist die Kirche mit dran schuld, aber nicht allein.“

Seelisch nicht verhungern

Die Kirche sieht er jetzt allerdings in der Verantwortung, wieder deutlich zu machen, was sie für ein großartiges spirituelles Angebot hat. Und dabei müsse sie vor allem wegkommen von intellektuellen Angeboten. Lehre sei zwar wichtig, aber Kirche müsse vor allem wieder der Ort werden, wo die Seele berührt werde. „Sie muss der barmherzigste Ort der Welt sein. Das darf niemand besser können als wir. Wo Menschen mit der Kirche in Berührung kommen, müssen sie Nahbarkeit spüren, Interesse spüren. Menschen, die total liebevoll sind, zugewandt.“ Diese Erfahrung sei so viel kostbarer als das, was ein philosophisches System zu bieten habe. „Da muss sich nochmal was verändern, das ist oftmals nicht der Fall. Sie kann unglaublich hartherzig sein mit denen, die nicht ins System passen. Da wird die Barmherzigkeit geopfert auf dem Altar der Korrektheit. Das finde ich ganz tragisch.“

 

Podcast: www.movecast.de

Buch:

Martin Benz

Wenn der Glaube nicht mehr passt

Ein Umzugshelfer

ISBN 978-3-7615-6863-7


Verfasst von:

Sarah Weiß

Freie Autorin