Ausgabe: Mai-Juni 2025
SchwerpunktWie den Glauben heute weitergeben?

In neuen Dimensionen denken
Glaubensweitergabe zwischen Generationen wird immer weniger. Ein wichtiger Hintergrund ist ein deutlicher Rückgang an Kirchlichkeit und eine gewachsene individuelle Freiheit in unserer Gesellschaft. Die Menschen leben heute unter anderen Bedingungen in Kirche und Welt, als viele Ältere es noch erlebt haben. Das verändert das Glaubensleben.
Die Frage, wie der Glaube an junge Menschen weitergegeben werden kann, treibt viele Eltern um. Nicht selten fühlen sie sich schuldig: Was habe ich falsch gemacht? Wenn Kinder gläubiger Eltern nicht mehr zur Kirche gehen, ja aus der Kirche austreten, muss das nicht heißen, dass die Eltern etwas falsch gemacht haben.
Ich bin mir sicher, dass wir die Zukunft von Glaube und Kirche nicht mehr mit volkskirchlichen Zuständen wie vor 40 oder 50 Jahren vergleichen dürfen. Viele ahnen schon lange, dass die Zukunft in viel kleineren Einheiten gedacht werden muss und jeder einzelne sich bewusst für seinen Glauben zu entscheiden hat.
Traditionelle christliche Sinndeutung bröckelt
Ich selbst habe als kleiner Ministrant vor mehr als 50 Jahren ein intaktes kirchliches Milieu erlebt, in dem viele Vorstellungen und Bräuche von Generation zu Generation fast automatisch weitergegeben wurden. Das schenkte Geborgenheit, wenig wurde angezweifelt oder hinterfragt. Und trotzdem zeigte sich damals schon, wie in der Gesellschaft Wertvorstellungen zu bröckeln begannen und manche Tradition abgebrochen ist.
Bereits damals zeichnete sich ab, dass in der modernen, pluralistischen Welt Kirche und Glaube an Sinndeutung verloren haben. Kirchliche Traditionen wirkten wie bürgerliche Fassaden, wirklich relevant schienen andere Werte: materieller Wohlstand, Karriere, Besitz, Statussymbole und andere Äußerlichkeiten. Religion wirkte wie das Sahnehäubchen auf einer Torte.
Glaube braucht Erfahrung
Kirchliche Jugendarbeit und Ministrantenzeit haben meinen Glauben geprägt, weniger meine Familie. Ich fand ein Umfeld vor, in dem ich meine Fähigkeiten ausprobieren, in dem ich Selbstbewusstsein entwickeln und wo ich den Glauben als Orientierung entdecken konnte. Damit verbunden waren auch Werte wie die zehn Gebote und eine Moral, die dem Leben dient. Ich weiß heute, was mich innerlich antreibt und wo meine eigenen Quellen liegen. Auf diesem Weg waren Persönlichkeiten ganz wichtig, die mich beeindruckt haben, und viele Erfahrungsräume, zum Beispiel Begegnungen bei Jugendtreffen oder Katholikentagen.
Das hat dann bei unseren drei Kindern später schon nicht mehr so funktioniert. Gerne wollten meine Frau und ich unsere christlichen Werte und Erfahrungen weitergeben. Allerdings schafft das die Familie schon lange nicht mehr allein ohne christliches Umfeld mit Gruppen, Lernfeldern oder Persönlichkeiten.
Und heute wachsen unsere Enkel in einem nie gekannten Wohlstand auf, ein Wert, der vielen Zeitgenossen zu genügen scheint und vor dessen Verlust sich gerade viele fürchten. Christlicher Glaube hat dagegen enorm an Bedeutung verloren, dazu kommt eine Kirche, deren Image durch den sexuellen Missbrauch enorm gelitten hat. In diesem Umfeld ist die Volkskirche wirklich am Ende. Eine neue Dimension. Glaubensweitergabe bleibt nur noch auf kleine Gruppen beschränkt.
Meinen Enkeln will ich meine Glaubenserfahrung vermitteln. Ich will bereit sein, wenn ich nach meiner Hoffnung gefragt werde, die mich erfüllt. (1Petr 3,15)
Verfasst von:
Rudi Schmidt
Theologe, Sozialpädagoge und langjähriger pastoraler Mitarbeiter im Bistum Eichstätt