Ausgabe: Juli-August 2025
SchwerpunktDie veränderte Pastoral der Kirchen
Bestattungskultur im Wandel
Immer mehr Menschen wünschen sich alternative Formen der Beisetzung. Die Kirche muss darauf reagieren – mit Maßstäben, aber auch mit neuen Wegen.
Wie möchten Sie einmal bestattet werden? Noch vor wenigen Jahrzehnten dürften die Antworten auf diese Frage ziemlich ähnlich gewesen sein: Die meisten Menschen wünschten sich ein klassisches Sargbegräbnis im Friedhof. Inzwischen hat sich das fundamental verändert.
Eine Forsa-Umfrage aus dem Jahr 2022 ergab, dass nur mehr 12 Prozent der Befragten diese Form der Beisetzung für sich wünschten; fast alle anderen wollten hingegen eine Beisetzungsart, die eine Kremation voraussetzt: ein Urnenbegräbnis im Friedhof; eine Beisetzung im Bestattungswald oder auf See; das Verstreuen der Asche in der Natur oder die Aufbewahrung der Urne zuhause beziehungsweise im Garten.
Tatsächlich zeigt sich seit den 1990er-Jahren eine Pluralisierung der Bestattungsformen, nicht zuletzt möglich gemacht durch die Zunahme der Kremationen, deren Anteil inzwischen bei etwa 80 Prozent der Bestattungen in Deutschland liegt. Im Jahr 2001 wurde zudem der bis dahin rigide Friedhofszwang etwas gelockert, sodass Waldbestattungen – im „Friedwald“, „Ruheforst“, „Ruhehain“, „Urnenwald“ und Ähnlichem – möglich wurden. Weitere bislang ungewohnte Bestattungsformen kamen hinzu und werden von den Bestattungsunternehmen angeboten: die anonyme Bestattung ohne Bekanntgabe von Beisetzungsort und -zeit und ohne Angehörige; das Pressen eines Diamanten aus einem Teil der Asche; die Weltraumbestattung – das Verbringen eines kleinen Teils der Asche durch eine Rakete ins All; das Verstreuen der Asche auf einem eigenen Bereich im Friedhof oder in der Natur; das Anzüchten eines Baumes in einem mit der Asche vermischten Substrat, um ihn später im Garten einpflanzen zu können (ein Angebot des Unternehmens Tree of life); die sogenannte „Reerdigung“, das heißt die beschleunigte Zersetzung des Leichnams zu Erde in einem mit Stroh, Heu und Gräsern gefüllten und erwärmten „Kokon“, um diese dann beisetzen zu können.
Nicht alle diese neuen Bestattungsformen sind in Deutschland erlaubt, denn es besteht weiterhin Friedhofszwang; jedoch ermöglichen manche Bestatter sie durch einen Umweg über das Ausland. Gegenüber der „Reerdigung“ gibt es in einigen Bundesländern noch starke hygienische Bedenken. Doch zeigen diese Entwicklungen, wie sehr sich die Bestattungskultur derzeit im Wandel befindet – nicht zuletzt auch aufgrund ökonomischer Interessen der Bestattungsunternehmen.
Vielfalt statt Monopol
Aber auch die Form der rituellen Begleitung von Beisetzungen ist pluraler geworden. Während in früheren Zeiten ein kirchliches Begräbnis die Norm war, ist das kirchliche „Bestattungsmonopol“ längst erodiert. Nichtkirchliche Trauerrednerinnen und Trauerredner haben sich etabliert und bieten ihre Dienste an. Bereits seit 2020 ist der Anteil der kirchlichen Bestattungen an den Beisetzungen in Deutschland unter 50 Prozent gesunken; zwanzig Jahre zuvor lag diese Zahl noch bei 71,5 Prozent (so Aeternitas e. V. – Verbraucherinitiative Bestattungskultur). Allerdings ist seither auch der Anteil der Katholikinnen und Katholiken und der Protestantinnen und Protestanten an der Gesamtbevölkerung deutlich zurückgegangen – inzwischen ebenfalls auf unter 50 Prozent.
Pastorale Verantwortung und Perspektive
Formen der Bestattung umgehen? Wie können Glaube und Kirche auf den Wandel der Bestattungskultur eingehen und wo müssen sie Widerspruch anmelden?
In der christlichen Begräbnisliturgie und -kultur drückt sich die Überzeugung aus, dass den Verstorbenen weiterhin die hohe Würde zukommt, die Gott ihnen geschenkt hat – als seine geliebten Geschöpfe mit Gottebenbildlichkeit und in der Gotteskindschaft. Auch der tote Leib steht mit dieser hohen Würde weiterhin in Verbindung; denn er war aufgrund der Taufe „Tempel des Heiligen Geistes“ (1 Kor 6,19). Der Umgang mit dem Leichnam – und auch der Asche nach einer Kremation – muss darum von Pietät und der Achtung der Personenwürde geprägt sein. Hinzu kommt die christliche Hoffnung auf Auferstehung, die nicht nur die Seele meint, sondern auch den Leib und somit den Menschen als Ganzes umfasst.
Daraus ergeben sich zwei wesentliche Aufgaben der kirchlichen Pastoral angesichts von Sterben, Tod und Trauer: einerseits die Sorge um die Sterbenden sowie um das würdige Begräbnis und Gedächtnis der Toten, andererseits die Sorge um die trauernden Hinterbliebenen. Daraus ergeben sich auch die Maßstäbe, die Glaube und Kirche an die gegenwärtige Bestattungskultur anlegen müssen: Wird hier mit den Verstorbenen in pietätvoller Weise umgegangen? Und können die Hinterbliebenen dadurch Trost und Hilfe in der Bewältigung ihrer Trauer erfahren?
Drei Stilpräferenzen und ihre Deutung
Der evangelische Theologe Thomas Klie macht drei Stilpräferenzen aus, die hinter den neuen Beisetzungsformen stehen und darum den gegenwärtigen Wandel der Bestattungskultur bestimmen. Ausgehend davon lassen sich Anfragen an die kirchliche Pastoral formulieren:
- Die naturreligiös-ökologische Stilpräferenz zeigt sich etwa in der Waldbestattung, im Verstreuen der Asche auf einer Almwiese oder in einem Fluss, im Tree-of-life-Konzept oder auch in der Seebestattung. Das entsprechende Motiv dahinter ist oftmals Naturverbundenheit beziehungsweise der Wunsch, an einem schönen Ort der Natur oder in dem Element, dem man sich besonders verbunden fühlt, seine letzte Ruhestätte zu finden. Hinzu können pragmatische Gründe kommen wie der Wegfall der Grabpflege. Sofern der Gedanke an ein „Weiterleben in der Natur“ beziehungsweise naturreligiös-pantheistische Vorstellungen damit verbunden sind, ist ein kirchliches Begräbnis hier nicht möglich, so die Deutsche Bischofskonferenz. Umgekehrt ergibt sich die Anfrage, ob unsere Friedhöfe wirklich als Orte des Lebens wahrgenommen werden können – oder eher als triste, graue Orte mit pflegeleichtem Schotter. Gerade eine naturnahe Gestaltung kann erleben lassen, dass der Tod für Christinnen und Christen nicht das Ende, sondern vielmehr Beginn neuen Lebens ist.
- Bei der ästhetisch-performativen Stilpräferenz wird der Tod als ultimativer Anlass betrachtet, noch einmal die Einzigartigkeit und Autonomie eines Menschen zum Ausdruck zu bringen, so etwa in der Diamant- oder der Weltraumbestattung. Der Wunsch nach Individualität sollte allerdings nicht einfach abgetan werden, da sie in der Würde des Menschen gründet. Eine persönliche Gestaltung der Beisetzung, das Erinnern an wichtige Lebensstationen in der Traueransprache, das Ermöglichen einer individuellen, jedoch immer ästhetisch gehaltvollen Grabgestaltung in den Friedhöfen können hier entsprechende Antworten der Pastoral sein.
- Ein Bündel an Motiven steckt schließlich hinter der anonymisierend-altruistischen Stilpräferenz, wie etwa der anonymen Bestattung, der Seebestattung oder der Körperspende für die medizinische Ausbildung: der Wunsch, niemandem zur Last zu fallen; die bedrängende Sorge um die Grabpflege; der Gedanke, nichts wert zu sein; die Absage an ein Leben nach dem Tod; finanzielle Erwägungen; der Rückzug ins Private; erlittene Enttäuschungen. Gerade bei der anonymen Bestattung zeigen sich schwere Brüche gegenüber dem Anspruch der menschlichen Würde. Ein namentliches Gedenken fehlt, und die Trauer wird ortlos und damit erschwert. Die kirchliche Pastoral muss auf diese Probleme hinweisen. Kirchliche Gemeinschaftsgrabanlagen können eine Möglichkeit sein, die Sorge um die Grabpflege oder um finanzielle Engpässe zu nehmen.
Neue Räume für alte Rituale
Eine ebenfalls neue Bestattungsform, die indes bei Klie unberücksichtigt bleibt, ist die Einrichtung von Kolumbarien als Urnengrablegen in ehemaligen Kirchen und anderen kirchlichen Gebäuden. Durch ihre Ausstattung ermöglichen sie eine Beisetzung in einem Raum, der von christlicher Ästhetik geprägt ist. Damit hat die Kirche bewiesen, dass sie in der Lage ist, auf den gegenwärtigen Trend zur Kremation eine pastorale Antwort zu geben. Gelungene Beispiele hierfür sind die Krypta im Hamburger Mariendom oder auch die Grabeskirche St. Josef in Aachen. Teils werden mit Kolumbarien auch pastorale Angebote der Trauerbegleitung verbunden. Gerade die kirchlichen Kolumbarien zeigen, dass der gegenwärtige Wandel der Bestattungskultur nicht nur als Abbruch, sondern auch als Chance für die Pastoral verstanden und genutzt werden kann.