Ausgabe: Juli-August 2025
InterviewRäume des Trostes schaffen
Individuell, echt und persönlich
Bestattungsformen verändern sich mit den individuellen Wünschen der Verstorbenen und Angehörigen. Das wirkt sich auch auf die Gestaltung und Pflege von Ruhestätten in Pfarrgemeinden und Kommunen aus. Gemeinde creativ spricht mit dem Leiter des Bestattungsinstituts „Joachim Männer“ in Ingolstadt, Alwin Pfaff, über die Entwicklungen in der Bestattungskultur, die sich wandelnden Bedürfnisse der Menschen und die spezifischen Besonderheiten in Bayern. Zudem interessiert Gemeinde creativ, welche Herausforderungen und Anpassungen auf Pfarrgemeinden zukommen könnten.
Gemeinde creativ: Herr Pfaff, welche Veränderungen beobachten Sie in der Bestattungskultur?
Alwin Pfaff: Die größte Veränderung sehe ich darin, dass die klassische kirchliche Bestattung stark zurückgeht. Immer mehr Menschen wünschen sich individuellere und persönlichere Abschiede. Viele fühlen sich in der Begegnung mit der Kirche nicht ausreichend wahrgenommen und ernst genommen. Mir erzählen Angehörige regelmäßig: ‚Unser Pfarrer hatte kaum Zeit für uns‘ oder ‚Die Trauerfeier war unpersönlich und formelhaft‘. Das darf nicht sein. Viele Angehörige entscheiden sich deshalb für freie Trauerredner, die sich intensiver und individueller um die Familien kümmern. Dies zeigt, wie groß das Bedürfnis nach echter Empathie und persönlicher Zuwendung ist.
Wie wirkt sich das konkret auf Ihre Arbeit aus?
Ich nehme mir ganz bewusst Zeit für Gespräche mit den Angehörigen, höre genau zu, frage nach. Eine gute Trauerfeier lebt davon, dass sie wirklich den Verstorbenen und die Hinterbliebenen widerspiegelt. Standardisierte, unpersönliche Reden wirken auf Angehörige oft verletzend, gerade in Momenten der Trauer. Da liegt für mich der Schlüssel: Nähe zeigen, Zeit nehmen, wirklich da sein. Ein Angehöriger berichtete mir kürzlich, wie enttäuscht er war, weil der Pfarrer beim Abschied seiner Frau nur allgemeine Phrasen verwendete. Solche Erfahrungen möchte ich unbedingt vermeiden. Wenn Angehörige spüren, dass wirklich auf sie eingegangen wird, hilft ihnen das enorm bei der Trauerbewältigung. Ein persönliches Gespräch lässt sich nicht durch E-Mails oder standardisierte Fragebögen ersetzen.
Welche Bedeutung haben Friedhöfe heute?
Friedhöfe sind nach wie vor zentrale Orte der Erinnerung. Doch sie verändern sich stark. Menschen wünschen sich heute oft pflegeleichte oder naturnahe Grabstätten. Die Pflege traditioneller Gräber wird für viele Angehörige zunehmend schwierig, weshalb alternative Angebote wie Gemeinschaftsgräber oder Baumgrabstätten beliebter werden. Hier sollten Gemeinden frühzeitig aktiv werden und zeitgemäße Lösungen anbieten, um Friedhöfe als lebendige Erinnerungsorte zu erhalten. Es wäre schön, wenn Friedhöfe wieder als Orte der Begegnung wahrgenommen würden, als grüne Oasen mitten im Ort.
Wie sollten kirchliche Friedhöfe auf diese Veränderungen reagieren?
Sie müssen offener und flexibler werden. Viele kirchliche Friedhöfe halten noch zu stark an traditionellen Konzepten fest. Dabei ist gerade Offenheit gegenüber neuen Formen entscheidend, um attraktiv zu bleiben. Gemeinden sollten gemeinsam mit den Angehörigen Lösungen entwickeln, anstatt an überholten Traditionen festzuhalten. Es braucht Mut zu Veränderungen, etwa durch die Einrichtung naturnaher Bereiche oder pflegeleichter Gemeinschaftsanlagen. Auch die Integration neuer Bestattungsformen wie Baum- oder Urnenfelder wäre ein wichtiger Schritt. Und warum nicht auch über generationsübergreifende Gedenkorte nachdenken, die eine neue Form des Erinnerns ermöglichen?
Welche Herausforderungen sehen Sie auf Pfarrgemeinden zukommen?
Eine zentrale Herausforderung ist, dass Pfarrgemeinden nicht nur Dienstleister sein dürfen, sondern echte seelsorgerische Begleitung leisten müssen. Viele Angehörige erwarten heute eine intensivere persönliche Begleitung. Leider können viele Pfarrer diesem Bedürfnis aufgrund hoher Arbeitsbelastung oft nicht gerecht werden. Gemeinden müssen lernen, flexibler zu sein und sich auf neue, individuelle Bedürfnisse einzustellen. Zudem sollten Gemeinden offen dafür sein, geschulte Ehrenamtliche oder professionelle Trauerbegleiter stärker einzubeziehen. Nur so können sie den Erwartungen und Bedürfnissen der Menschen wirklich gerecht werden.
Was können Pfarrgemeinden konkret tun?
Pfarrgemeinden sollten offener kommunizieren und Angehörige aktiv in die Gestaltung der Abschiedsrituale einbeziehen. Neue Formen der Trauerbegleitung, wie beispielsweise Trauercafés oder digitale Angebote, könnten helfen, näher bei den Menschen zu sein. Auch die Zusammenarbeit mit professionellen Trauerbegleitern könnte intensiviert werden. Gezielte Fortbildungen für Seelsorger und Ehrenamtliche im Bereich der Trauerarbeit sind notwendig. Gemeinden könnten regelmäßige Gesprächskreise anbieten, um besser zu verstehen, was Menschen heute bewegt. Wichtig wäre auch, viel mehr öffentlich über das Thema zu sprechen. Ich erlebe oft, dass viele erst im Ernstfall merken, wie wenig sie sich damit auseinandergesetzt haben. Und man sollte sich fragen: Was wäre, wenn wir in unseren Gemeinden Orte des Trosts schaffen, die nicht nur im Todesfall geöffnet werden, sondern dauerhaft?
Was ist Ihnen persönlich bei Ihrer Arbeit besonders wichtig?
Die persönliche Begleitung der Angehörigen steht für mich im Mittelpunkt. Nichts ersetzt das direkte Gespräch und die echte Anteilnahme. Angehörige zeigen es mir oft mit großer Dankbarkeit, wenn sie merken, dass man sich wirklich Zeit für sie nimmt. Gerade in der Trauer sind Menschen emotional besonders verletzlich und brauchen spürbare Nähe und Verständnis. Diese Nähe herzustellen ist mein wichtigstes Ziel. Was mir immer wieder auffällt: Wer einmal erlebt hat, wie wohltuend so eine individuelle Begleitung ist, kommt später auch viel besser damit zurecht, eigene Verluste zu verarbeiten. Das ist fast wie ein Samen, den man sät.
Gab es Begegnungen, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind?
Ja, viele. Besonders berührt haben mich Menschen, die mir nach einer Begleitung gesagt haben: ‚Sie haben uns wirklich aufgefangen.‘ Oder: ‚Sie haben uns einen Raum gegeben, den wir sonst nirgends gefunden hätten.‘ Das zeigt mir, wie wichtig unsere Arbeit ist. Und es zeigt, wie viel mehr Kirche in diesem Bereich sein könnte – ein Raum für echte Begegnung und für Trauer, die sein darf.
Wie sehen Sie die Zukunft der Bestattungskultur?
Ich bin sicher, dass der Wunsch nach persönlicher Begleitung und individuellen Formen weiter zunehmen wird. Die Menschen suchen nach Echtheit. Und genau hier sehe ich eine große Chance für die Kirche, wenn sie bereit ist, diesen Weg mitzugehen. Diejenigen, die zuhören und begleiten, werden gebraucht werden – mehr denn je. Aber dazu braucht es auch den Mut, ausgetretene Pfade zu verlassen und neue Räume zu öffnen – auch geistlich.
Vielen Dank für Ihr Interview!
Alwin Pfaff leitet seit 2007 das renommierte Ingolstädter Bestattungsinstitut „Joachim Männer“, das auf eine über 25-jährige Tradition zurückblickt. Als erfahrener Bestatter setzt er auf individuelle Trauerbegleitung und verbindet traditionelle Werte mit modernen Ansprüchen. Pfaff engagiert sich intensiv dafür, Bestattungskultur zeitgemäß zu gestalten und Angehörigen persönliche Abschiede zu ermöglichen. Er kennt die Bedürfnisse der Menschen und hilft durch zahlreiche Vorträge dabei, sich auf zukünftige Veränderungen vorzubereiten.