Was kann ein katholischer Sozialverband zum Thema „Digitalisierung“ beitragen, das seit geraumer Zeit in unterschiedlichsten Zusammenhängen und äußert breit diskutiert wird? Ein Mehr an Detailkenntnis ist es sicher nicht. Einbringen kann er seine Kernkompetenz: die katholische Soziallehre. Sein Auftrag ist, auf dieser Grundlage die Entwicklungen zu bewerten und ethische Orientierung zu geben. Der KKV Bayern hat dies bei verschiedenen Themen bereits unternommen.
In der Industrie ermöglicht Digitalisierung, dass Maschinen nicht nur automatisiert Produkte herstellen, sondern auch untereinander und mit den Produkten kommunizieren, ohne dass der Mensch eingreifen kann oder muss. Aber auch in Dienstleistungsbranchen werden künftig Rechner dem Menschen Routinearbeiten abnehmen. Der Mensch wird entlastet – und zugleich entbehrlich? Hier erinnert der KKV daran, dass Arbeit für den Menschen mehr ist als Lebensunterhalt. Arbeit dient dem Menschen zur Selbstverwirklichung und Sinnstiftung. Auf den befürchteten Wegfall einfacher Tätigkeiten wird gern mit der Forderung nach mehr Bildung und höherer Qualifikation geantwortet. Auch wer bei deren Erwerb eingeschränkt ist, muss die Chance auf Arbeit behalten.
Digitalisierung verändert die Zusammenarbeit der Beschäftigten. Verstärkt sind Kooperation, Teamarbeit, Wissensaustausch gefordert. Der KKV Bayern diskutiert dies unter der Überschrift „Die neue Arbeitskultur“. Dabei erzeugen die elektronischen Kommunikationsmittel eine geradezu universale Beanspruchung der Berufstätigen. Der KKV vertritt demgegenüber ein Recht auf Unerreichbarkeit.
Die sozialen Netzwerke haben in den letzten Jahren zu einer verstärkten Ausbreitung der Sharing Economy geführt. Plattformbetreiber haben das systematische Ausleihen und gegenseitige Bereitstellen von Gegenständen, Räumen und Ressourcen professionalisiert und kommerzialisiert. Den konkreten Leistungserbringern werden aber Rechte (Arbeits- und Kündigungsschutz, Mindestlöhne, Arbeitszeitregeln) ebenso verwehrt oder eingeschränkt wie den Nutzern (Versicherungsschutz, Haftung, Gewährleistung). Der KKV fordert vom Staat, auf der Einhaltung von Arbeitnehmer- und Verbraucherschutz zu bestehen.
In einer digital agierenden Arbeitswelt vermischen sich verstärkt abhängige Beschäftigung und selbständige bzw. freiberufliche Tätigkeit. Das verändert die beruflichen Lebensläufe. Sei es, dass sich (vermehrt) Phasen von Selbständigkeit und Anstellung abwechseln; sei es, dass beide Formen der Erwerbstätigkeit nebeneinander ausgeübt werden; sei es, dass die Abgrenzung nicht mehr eindeutig ist (Werkverträge, Scheinselbständigkeit). Das hat Auswirkungen auf die Sozialversicherungen. Der KKV Bayern hat sich daher dem Rentenmodell katholischer Verbände angeschlossen. Es sieht neben Arbeitnehmer-Pflichtversicherung und Betriebsrente eine Sockelrente vor.
Im Gesundheitswesen eröffnet Digitalisierung – neben der gern problematisierten Robotik (Assistenzroboter, Kuschelrobbe, vgl. Seite 24/25) – neue Chancen der Gewinnung und Auswertung medizinischer Daten. Die zentrale Sammlung aller Informationen über einen Patienten (zum Beispiel auf einer elektronischen Gesundheitskarte) würde Diagnosen und Therapievorschläge erlauben, die so kein einzelner Arzt treffen könnte. Der KKV hat vor kurzem in einer Stellungnahme als Kriterium der Beurteilung die Menschenwürde in den Mittelpunkt gestellt: „Zentral muss der Blick auf das Wesen des Menschen sein. Der Mensch ist mehr als die Summe diagnostisch erzielbarer Daten. Er hat eine unverlierbare personale Würde. Daher muss letztlich immer ein Mensch auf den Menschen schauen. Digitale Techniken dürfen menschliche Zuwendung nicht ablösen und die Entscheidungsfreiheit des Menschen nicht aushebeln.“
Dabei zeigt sich: Es wäre ein gravierender Fehler, nur auf die vordergründigen Anwendungen zu schauen. Es kommt auf die im Hintergrund ablaufenden Programme an. Denn in ihnen ist grundgelegt, ob der Mensch Handlungs- und Entscheidungsträger bleibt oder seine Verantwortung an Automatismen wegdelegiert.
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