Aktive Pfarrgemeinderäte, die das Leben in ihrer Pfarrei und darüber hinaus mitgestalten, sind für den Vorsitzenden des Landeskomitees der Katholiken in Bayern, Joachim Unterländer, ein unverzichtbarer Motor unserer Gesellschaft. Im Interview mit Gemeinde creativ spricht er über das Erfolgsmodell „Allgemeine Briefwahl“, über die wegweisenden Themen der gerade begonnenen Wahlperiode und warum es sich lohnt, manchmal auch gegen Widerstände, am Ball zu bleiben.
Gemeinde creativ: Herr Unterländer, am 25. Februar 2018 wurden in Bayern die neuen Pfarrgemeinderäte gewählt, wie bewerten Sie die Wahlergebnisse?
Joachim Unterländer: Die sieben bayerischen (Erz-)Diözesen muss man hier differenziert betrachten. Allgemein ist festzustellen, dass wir insgesamt dort einen positiven Trend haben, wo von der Allgemeinen Briefwahl Gebrauch gemacht worden ist. Die Briefwahl ist eine zeitgemäße Reaktion auf die Bedürfnisse der Gläubigen und ermöglicht es, über die regelmäßigen Gottesdienstbesucher hinaus, Menschen anzusprechen. Als Landeskomitee haben wir uns deshalb im Vorfeld für den vermehrten Einsatz der Briefwahl stark gemacht – sie hat sich als Erfolgsmodell bewahrheitet. Darüber hinaus positiv zu bewerten ist auch, dass über die Pfarrgemeinderatswahlen breit in der Öffentlichkeit berichtet und diskutiert worden ist. Das stimmt positiv für die nächsten vier Jahre.
Es heißt oft, Kirche sei nicht demokratisch – sind die Pfarrgemeinderats- und Kirchenverwaltungswahlen nicht der Gegenbeweis dafür?
In der Tat. Verschiedene Lehrschreiben, aber auch das Zweite Vatikanische Konzil und die Würzburger Synode heben die Bedeutung der Laien für Kirche und Gesellschaft hervor, deren Mitwirkung sich in Pfarrgemeinderäten und Kirchenverwaltungen manifestiert. Dort, wo diese Mitwirkung gut gelingt, sind Haupt- und Ehrenamtliche fest davon überzeugt, dass dieses gute Miteinander ein großer Gewinn für alle Beteiligten ist.
Laien in anderen Ländern schauen oft neidisch auf unsere Laienstrukturen und dieses Instrument von Demokratie und Partizipation. Warum sollten wir uns den Wert der Pfarrgemeinderäte vielleicht gerade heuer im Jubiläumsjahr noch einmal mehr bewusst machen?
50 Jahre Pfarrgemeinderäte – dieses Jubiläum ist eine große Chance, die Bedeutung und Rolle unserer Räte, nicht nur für die Kirche, sondern für die Gesellschaft ganz generell, deutlich zu machen. Wir als Landeskomitee werden das im Rahmen einer Veranstaltung am 28. September 2018 in München tun, zu der auch ganz bewusst die neu gewählten Pfarrgemeinderäte eingeladen werden. Hier werden wir mit Wissenschaftlern, Zeitzeugen, aktuellen Pfarrgemeinderatsmitgliedern und Jugendvertretern über Mitwirkungs- und Gestaltungsmöglichkeiten in der Kirche diskutieren und hoffen, damit einen weiteren Impuls für eine noch stärkere Beteiligung der Laien setzen zu können.
Trotz aller Bemühungen der Diözesanräte ist nur in der Erzdiözese München und Freising die Wahlbeteiligung gestiegen. Insgesamt haben bayernweit weniger Menschen von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht als noch vor vier Jahren. Wo sehen Sie die Gründe hierfür?
Die Wahlbeteiligung hängt immer auch damit zusammen, wie das Thema „Pfarrgemeinderatswahl“ in den jeweiligen Pfarreien aufgegriffen worden ist. Wurde rechtzeitig darüber informiert? Gab es Materialien? Wurden alle Gemeindemitglieder einbezogen? Dort, wo diese Punkte nicht ernst genommen wurden, ist die Bereitschaft der Gläubigen, sich aktiv einzubringen häufig wenig ausgeprägt, was auch nachvollziehbar ist. Einen weiteren Grund für rückläufige Wahlbeteiligungen sehen wir auch in aktuellen Umstrukturierungsprozessen. Dort, wo Gemeinschaften verloren gehen, sinkt das Vertrauen mancher Gläubiger und mit ihm die Wahlbeteiligung.
Viele Pfarrgemeinderäte klagen immer wieder, sie fühlen sich als „kostenloser Catering-Service“ der Pfarrei ausgenutzt – was sollen Pfarrgemeinderäte sein und was nicht?
Natürlich gehört das auch dazu. Die Feste und Feiern in einer Pfarrgemeinde sind Ausdruck von Gemeinschaft und prägen das Gemeindeleben, sie bringen Menschen zusammen und ins Gespräch. Aber dies darf nicht der einzige Inhalt von Pfarrgemeinderatssitzungen oder der Dreh- und Angelpunkt des Jahreskalenders sein. Es ist notwendig, dass sich Pfarrgemeinderäte inhaltlich einbringen und so die Gesellschaft und das kirchliche Leben mitgestalten – und zwar auf Augenhöhe. Hier eine Mitwirkung in den Entscheidungsprozessen im pfarrlichen Leben in den unterschiedlichsten Fragestellungen zu ermöglichen, setzen unsere grundsätzlichen Überlegungen für die Zukunft der kirchlichen Strukturen unbedingt voraus. Es geht um die Beteiligung in Veränderungsprozessen im innerkirchlichen Bereich, aber auch genauso um ein gesellschaftspolitisches Element. Gerade auch in Fragen der Kommunalpolitik muss der Pfarrgemeinderat mitreden.
Welche Themen würden Sie den neuen Gremien für Ihre Arbeit in den kommenden vier Jahren ans Herz legen wollen?
Das ist zum einen die aktive Begleitung an den fast überall stattfindenden Umstrukturierungsprozessen. Unsere Räte müssen hier eingebunden werden – egal auf welcher Ebene, ob Pfarrgemeinde-, Dekanats- oder Diözesanrat. In diesem Zusammenhang ist auch die stärkere Einbeziehung von nicht geweihten Menschen in kirchliche Leitungsprozesse zu erwähnen. Zudem müssen die Räte vor Ort am Ball bleiben: Was passiert in ihrer Gemeinde? Welche politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen gibt es und was kann man als Pfarrgemeinderat dazu beitragen? Unsere Pfarrgemeinderäte können hier einen wichtigen Beitrag zum Dialog leisten und auch dazu, dass Kirche weiterhin als wichtiger und unverzichtbarer Player wahrgenommen wird.
Bayernweit zeigt sich ein Stadt-Land-Gefälle. Während in den Dörfern teilweise bis zu 70 Prozent ihre Stimmen abgegeben haben, waren es in Pfarreien in der Stadt München manchmal nur knappe zwei Prozent. Wie kann man die „Städter“ wieder mehr ansprechen?
Viele Stadtpfarreien in München beispielsweise haben – aus unterschiedlichen Gründen – auf die Allgemeine Briefwahl verzichtet. In Städten bietet dieses Instrument aber eine große Chance. Deswegen sollte davon gerade hier noch mehr Gebrauch gemacht werden. Ich meine aber auch, dass uns die neuen Medien im Dialogprozess insgesamt nutzen können. Beides – Allgemeine Briefwahl und neue Medien – sind niederschwellige Angebote. Das ist sicher kein Patentrezept, aber ein Ansatzpunkt, über den man nachdenken sollte.
Die Ergebnisse zeigen aber auch, vielerorts sind die Pfarrgemeinderäte in Frauenhand. Was sagt uns das über die Rolle der Frau in der Kirche?
Mehr als 60 Prozent der direkt gewählten Pfarrgemeinderäte in Bayern sind Frauen. Das zeigt zum einen, dass Frauen bereit sind, sich zu engagierten, sich einzubringen und mitzugestalten. Uns gibt das zur Hausaufgabe, sie künftig stärker an kirchlichen Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Das schließt auch eine Lösung der Frage um den Diakonat der Frau mit ein.
Welche Schlüsse müssen vielleicht auch die Diözesen aus den Ergebnissen ziehen?
Ich denke, dass wir hier eine intensivere Dialogbereitschaft aller Verantwortlichen einfordern müssen. Von diesem schon beschriebenen Dialog auf Augenhöhe profitieren alle kirchlichen Strukturen und deswegen sollten Bischöfe und Priester ohne Umschweife diesen Dialog akzeptieren und das Miteinander mit den Laien über die Pfarrgemeinderäte auch aktiv suchen.
Was wollen Sie den frisch- und wiedergewählten Männern und Frauen für die kommenden vier Jahre mitgeben?
Sie sollen offen sein gegenüber den Menschen und der Gemeinschaft, sie sollen aber auch selbstbewusst sein. Sie sind nicht das fünfte Rad am Wagen, sondern sie sind ein wesentlicher Bestandteil unserer Kirche. Sie sollen nach innen in Partnerschaft agieren und nach außen den Dialog fördern: Und das ist zum Schluss vielleicht besonders wichtig – sie sollen sich nicht von vermeintlichen Widerständen unterkriegen lassen. Für (fast) alle Probleme, lassen sich gute Lösungen finden, wenn man im Dialog bleibt und ehrlich und aufrichtig miteinander umgeht.
Das Interview führte A. Hofstätter
Joachim Unterländer (61), gebürtiger Münchner, ist seit 2017 Vorsitzender des Landeskomitees der Katholiken in Bayern. Zudem ist er Mitglied im Vorstand des Diözesanrates der Katholiken der Erzdiözese München und Freising und Delegierter für das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), sowie stellvertretender Vorsitzender des Kuratoriums der Katholischen Stiftungsfachhochschule. Seit 1994 ist der CSU-Politiker Abgeordneter im Bayerischen Landtag. Dort ist er Vorsitzender des Arbeitskreises für Arbeit und Soziales, Jugend, Familie und Integration der CSU-Fraktion sowie Vorsitzender des gleichnamigen Landtagsausschusses.