Viele der neu gewählten Pfarrgemeinderäte stellen sich am Anfang einer Amtsperiode die Frage: Welchen Stellenwert und welche Rolle hat eigentlich mein Gremium? Oder anders gefragt: Was würde der Pfarrgemeinde fehlen, wenn es keinen Pfarrgemeinderat gäbe? Diese oder ähnliche Fragen zu beantworten und ein Profil des Pfarrgemeinderates herauszuarbeiten, ist natürlich eine Aufgabe, die nur vor Ort gelöst werden kann und soll. Folgende allgemeine Hinweise können aber eine Hilfe sein:
Der Pfarrgemeinderat beruht auf dem Bild von der Kirche als Volk Gottes und Gemeinschaft, wie es das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) entworfen hat. Das Konzil hat sich von der alten Teilung in Klerus und Laien verabschiedet und die Gleichheit aller Getauften hervorgehoben. Durch Taufe und Firmung ist jeder Christ berufen, den christlichen Glauben als Quelle des Lebensgewinns, der Lebenshilfe und der Befreiung erfahrbar zu machen. Wer sich im Pfarrgemeinderat engagiert, wer Kranke besucht, Kommunion austeilt, Wortgottesdienste leitet, sich für die Inklusion von Menschen mit Behinderung und Flüchtlinge einsetzt oder den pfarrlichen Umweltmanagementprozess vorantreibt, nimmt seine Berufung wahr, ist „Gottes Mitarbeiter“ (1 Kor 3,9) und übt das Priestertum aller Getauften aus (vgl. 1 Petr 2,3). Die deutschen Bischöfe sprechen davon, dass nur „Gemeinsam Kirche sein“ wirklich Sinn macht. Daraus folgen zwei Optionen: Zum einen die Wertschätzung der Pluralität der Charismen. Der Reichtum der Kirche sind die Menschen und die Vielzahl ihrer Berufungen und Stimmen. Nicht was Laien nicht dürfen, sondern was sie können und zu was sie begabt sind, sollte im Mittelpunkt stehen. Damit verknüpft ist eine zweite Option. Laien sind nicht mehr länger Zuschauer, Zaungäste oder Objekte der Pastoral. „Aus einer Gemeinde, die sich pastoral nur versorgen lässt, muss eine Gemeinde werden, die ihr Leben im gemeinsamen Dienst aller und in unübertragbarer Eigenverantwortung jedes einzelnen selbst gestaltet“ (Würzburger Synode, Dienste und Ämter, 1.3.2).

Nur Weniges in einer Pfarrei ist tatsächlich und ausschließlich für Seelsorger reserviert. Pfarrgemeinderäte beraten in allen wichtigen Fragen und haben in vielen Bereichen auch Entscheidungskompetenz.
Die Mitglieder des Pfarrgemeinderats tun zunächst nichts anderes als das, wozu jeder Christ kraft Taufe und Firmung berufen ist. Allerdings haben sie eine besondere Legitimation. Der Pfarrgemeinderat ist die gewählte Vertretung des Kirchenvolkes. Die Wahl ist es, die sie legitimiert, die Gläubigen in einer Pfarrgemeinde zu repräsentieren. Jeder, der bei einer Wahl seine Stimme abgibt, stattet andere Personen mit einem Mandat aus. Wem ein Mandat gegeben ist, dem wird etwas anvertraut. Demokratie lebt von dieser „Mandatierung“, mehr noch als von der Auswahl unter möglichst vielen Kandidaten. Auch bei der Pfarrgemeinderatswahl geht es um dieses vertrauensvolle „Auftrag-Erteilen“. Die Pfarreimitglieder trauen den Pfarrgemeinderäten besondere Impulse zu und vertrauen ihnen an, gemeinsam mit den Seelsorgern den Weg der Gemeinde vorausschauend zu bedenken.
Deswegen ist es von großer Bedeutung, dass die Mitglieder des Pfarrgemeinderats von den Katholiken der Pfarrgemeinde direkt gewählt werden. Im alltäglichen Sprachgebrauch wird zwar nach der Wahl von „Berufungen“ in den Pfarrgemeinderat gesprochen, um beispielsweise einem Jugendvertreter einen Sitz zu sichern, falls keiner direkt gewählt worden ist. Diese Ausdrucksweise ist aber missverständlich, um nicht zu sagen: falsch. Die Rechtsgrundlagen heben auch hier hervor, dass es sich um eine Wahl handelt, und sprechen von einer Hinzuwahl. Denn nicht der Pfarrer beruft zusätzliche Mitglieder, sondern die direkt Gewählten entscheiden darüber. Auch die Hinzugewählten sind gewählte Mandatsträger. Ein weiterer Aspekt, der den PGR als demokratisches Gremium auszeichnet, ist das Faktum, dass der Vorsitzende gewählt und nicht einfach der Pfarrer ist.
Entscheidungs- und Beratungsgremium
Doch was bringt eine Wahl der Mitglieder, wenn sie nichts zu entscheiden haben und nur beratend tätig sein können? Dieses Urteil, das natürlich auf Erfahrungen in der Realität beruht, trifft aber nur bedingt zu. Die PGR-Wahl legitimiert die Pfarrgemeinderäte in allen Fragen, die die Pfarrgemeinde betreffen, beratend, koordinierend oder beschließend mitzuwirken. Der Pfarrgemeinderat ist also ein Beratungs- und Entscheidungsgremium. In allen gesellschaftlichen Fragen kann er eigenverantwortlich entscheiden und handeln, so beim Aufbau und der Durchführung von Nachbarschaftshilfen, bei der Gestaltung von Erwachsenenbildungsangeboten, im Engagement für Benachteiligte oder Flüchtlinge und für die Bewahrung der Schöpfung. Dass er „nur“ beratend tätig ist, trifft auf den „Kernbereich“ der Seelsorge zu.
Der Reichtum der Kirche sind die Menschen und die Vielzahl ihrer Berufungen und Stimmen.
Aber auch dort, wo Mitglieder des Pfarrgemeinderats Pfarrer und pastorale Mitarbeiter beraten, etwa bei der Planung der Gottesdienste oder bei der Erstkommunion- und Firmvorbereitung, sind sie nicht deren „verlängerter Arm“. Es müsste selbstverständlich sein, dass man auf Augenhöhe Ideen einbringen, bei Entscheidungen mitwirken und selbstständig Dienste übernehmen kann. Auf Pfarreiebene ist er das Gremium, in dem die vielfältigen Dienste in Liturgie, Verkündigung und Diakonie vernetzt und aufeinander bezogen werden. In den Rechtsgrundlagen ist hier von der „Koordinierung des Laienapostolats“ die Rede. Damit ist gemeint, dass im Pfarrgemeinderat die Fäden des ehrenamtlichen Engagements zusammenlaufen und die Kommunikation zwischen den vielfältigen Feldern des Engagements gefördert wird. Zudem kann der Pfarrgemeinderat als ein Kreativfeld engagierter Christen verstanden werden, in dem viele gute Ideen entstehen, weil ausgehend von den Zeichen der Zeit inspirierende Fragen gestellt und um zukunftsfähige Antworten gerungen wird.
Herausforderungen
Der Status quo bleibt vielerorts hinter diesem Anspruch zurück. Zudem erleben wir einen pastoralen Umbruch. Vor allem vor folgenden Herausforderungen stehen wir:
Die vielleicht wichtigste Aufgabe ist, das Bewusstsein dafür zu schärfen oder wiederzugewinnen, dass jeder vom Herrn selbst berufen ist. Alle werden gebraucht, alle sind wichtig, alle wertvoll. Dies erfordert einen Mentalitätswandel: die mögliche Verantwortung in der Kirche ernst- und annehmen, selbstbewusst handeln und dabei aufhören, die eigenen Handlungsmöglichkeiten in Abgrenzung zu Priester und Hauptamt zu definieren und sich von deren Anerkennung abhängig zu machen. Ehrenamtliche Laien sind für ein solches Tätigwerden zu motivieren, zu befähigen, zu begleiten und zu bestärken. Deren spirituelle, inhaltliche und methodische Begleitung wäre eine Hauptaufgabe der hautamtlichen Seelsorger.
Es muss auf allen Ebenen deutlicher werden, dass das Volk Gottes nicht nur unverbindlich mitreden, sondern auch mitentscheiden kann. Das Profil des Pfarrgemeinderats sollte aber nicht durch einen einseitigen Blick auf die Entscheidungsbefugnisse eingeengt werden. Auch eine Demokratie ist nur dann lebendig, wenn sich über den reinen Wahlakt hinaus Kommunikationsräume bilden, in denen im Dialog um gute Lösungen gerungen wird. Auch als Beratende sind Pfarrgemeinderäte nicht die Handlanger des Pfarrers, sondern Mitarbeitende Gottes und Bauleute an seinem Reich. Ratgeben und Ratnehmen sind Vorgänge, die kein Oben und Unten vertragen. Sie finden auf Augenhöhe statt. Guter Rat ist eine große Kostbarkeit.
Dass die Räte in allen gesellschaftlichen Fragen eigenverantwortlich entscheiden und handeln können, bedeutet in der Konsequenz auch: Hier sollte der Fokus liegen. Durch Papst Franziskus erhält dieser Auftrag erheblichen Aufwind. Hineingehen in die Orte und Lebenswelten der Menschen, hinausgehen an die Ränder, sich dem „Anderen“ aussetzen, weil Jesus sein Leben für alle eingesetzt hat. In den Pfarrgemeinderäten wird sich daher die Arbeitsweise verändern (müssen): weniger Angebots- und Versorgungsseelsorge (Komm-Struktur) und mehr „nachgehende“ Seelsorge (Geh-Struktur), weg von der Aufgabenorientierung (was steht an, was ist zu erledigen?) hin zur Frage-Orientierung: Was beschäftigt die Menschen? Wonach fragen sie? Wo sind wir gefragt?
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