Foto: Squirell and Nuts GmbH
Erik Flügge berät Ministerpräsidenten, andere Spitzenpolitiker und Gemeinden in Sachen Kommunikationsstrategien und Wahlkampagnen. Mit seinem Buch „Der Jargon der Betroffenheit. Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt“ hat er im vergangenen Jahr für Wirbel gesorgt. In Gemeinde creativ erzählt er, warum ihm das Bild vom Sauerteig nicht gefällt und warum jede Predigt unbedingt eine These haben sollte.
Erik Flügge
(31) hat an der Universität Tübingen Germanistik und Politikwissenschaften studiert. Heute ist er Geschäftsführer der Squirrel & Nuts Gesellschaft für strategische Beratung. Er berät Spitzenpolitiker und Parteien bei der Kommunikation und viele Städte und Gemeinden bei der Entwicklung von Partizipationsprojekten. Zuvor war er in der katholischen Bildungsarbeit tätig. Er bezeichnet sich als Menschen, der gerne nachdenkt, allerdings nicht „unbedingt entlang althergebrachter Linien, sondern quer, auf dem Kopf und manchmal neu.“ Auf die Frage Wer bin ich? schreibt er auf seiner Homepage: „Ein Puzzle aus Erfahrungen. Ungeplant und ungesteuert, aber immer überzeugt.“ Mehr Infos finden Sie unter der Rubrik „Zusatzinformationen“.
Herr Flügge, der Titel Ihres Buches sieht auf den ersten Blick nach einer Generalabrechnung aus. Aber genau das möchte Ihr Buch ja nun eigentlich nicht sein, oder?
Flügge: Wer mein Buch liest, merkt, dass ich differenziert auf die Sprache der Kirche schaue. Die vielen Beispiele von gelungener Kommunikation innerhalb der Kirche bleiben natürlich nicht unerwähnt. Den Titel habe ich bewusst gewählt. Ich wollte einen spaltenden und aufregenden Titel haben, einen, der Leute dazu bringt, sich mit dem Thema zu befassen, der sie vielleicht auch ärgert. Das Ärgern ist ohnehin ein „Kommunikationsmittel“, das die katholische Kirche meines Erachtens nach zu selten nutzt: Es auszuhalten, dass Leute sich aufregen und selbst Aufreger zu sein, sowohl in Predigten, wie auch in Pressemitteilungen. Da ist man bisweilen sehr um abgewogene Positionen bemüht. Das ist ziemlich weit weg von dem, was Jesus gemacht hat. Der hat nämlich durchaus die Provokation gesucht.
Was sind Ihre Hauptkritikpunkte an der Sprache der Kirche?
Katholische Kommunikation ist mir zu oft um die Ecke gedacht. Sie versteckt sich vielfach in verschrobenen Wortbildern, mit denen man versucht, literarische Texte zu produzieren anstatt klare Thesen aufzustellen. Da kommen wir schon zum zweiten Problem: Sehr häufig finde ich gar keine These. Das müsste sich ändern.
Sie waren selbst lange in der kirchlichen Jugendarbeit aktiv. Ist Ihnen damals schon aufgefallen, was Sie heute in Ihrem Buch kritisieren?
Diese Dinge kenne ich schon immer, sozusagen eine Grunderfahrung des Katholisch-Seins. Sobald wir von Gott reden, tun wir das in einer Sprache, die völlig entmenschlicht ist, die versucht, irgendwie seltsame Dimensionen aufzumachen. Ich finde es schon interessant, dass wir Gott so kompliziert machen, obwohl Gott sich doch entschieden hat, es uns so einfach zu machen, nämlich Mensch zu werden.
Das bekannte Gleichnis Jesu vom Sauerteig kommt in Ihrem Buch nicht gut weg, warum?
Das Gleichnis an sich kommt bei mir nicht schlecht weg, im Kontext seiner Zeit jedenfalls. Das Problem ist nur, dass heute kaum einer mehr weiß, wie Sauerteig gemacht wird. Brot wird heute beim Bäcker oder im Supermarkt gekauft. Deshalb kann das Gleichnis jetzt nicht mehr diese Wirkung entfalten wie vor 2.000 Jahren. Mich nervt, dass im Kommunionunterricht dann lang und breit erklärt wird, wie Sauerteig funktioniert. Aber was ist das denn für eine Kommunikation, bei der wir einen riesen Aufwand betreiben müssen, damit das Wortbild, das wir gerne benutzen wollen, überhaupt noch verstanden wird? Man müsste neue Bilder finden, solche, die in unsere Zeit und zu unseren heutigen Lebensbedingungen passen.
An einer Stelle sagen Sie: Die Kirche muss ihre eigenen Wahrheiten auch aushalten können. Was meinen Sie damit?
Wenn die katholische Kirche festlegt, wo sie steht, dann muss sie es auch aushalten, das nach draußen zu tragen und dafür kritisiert zu werden. Wir verstecken viele unserer Positionen oder relativieren sie. Oft bekommt man dann zu hören: Ihr glaubt doch selbst nicht an das, was ihr predigt. Es gibt Umfragen unter Theologiestudierenden, wie viele eigentlich an die Jungfrau Maria glauben, oder an die Auferstehung. Die Zahlen sind fatal. Aber wenn man Personal hat, das an solche wesentlichen Fragen nicht glaubt, muss man sich entscheiden. Entweder man muss die Position verändern, eine neue Interpretation des Glaubensrahmens aufstellen oder man sagt, von solchem Personal kann ich mich nicht vertreten lassen.
Es gibt Fachsprachen in vielen Bereichen (Medizin, Justiz, Behörden etc.). Warum funktioniert das bei der Kirche nicht?
Sind wir mal ehrlich: Die Behördensprache funktioniert doch auch überhaupt nicht. Wie viele Leute verzweifeln an ihrer Steuererklärung? Wie viele Menschen sind überfordert damit, Anträge und Formulare auszufüllen? Der einzige Unterschied ist: Bei einer Behörde muss ich die Kommunikation eingehen. Bei der Kirche brauche ich das nicht. Wenn die Kirche also mit ihrer eigenen Fachsprache kommt, die nicht notwendig gebraucht wird, dann sorgt das dafür, dass die Leute sagen: „Bevor ich mich damit beschäftige und mich einarbeite, gehe ich lieber.“ Wenn wir auf das frühe Christentum schauen, auf die Menschen, auf denen unsere ganze Kirche gründet, auf Petrus und Paulus zum Beispiel, dann sind das doch zwei, die in einer unglaublichen Stärke mit den Menschen so kommunizieren, dass sie die Dinge verstehen. Sie suchen den Dialog, schreiben Briefe, reisen umher und gehen auf die Menschen zu. Heute dagegen haben wir eine Verlautbarungs-Kirche, die auch eine Behörde von Franz Kafka sein könnte.
Neben sprachlichen Dingen kritisieren Sie in Ihrem Buch auch verschiedene Methoden, Zettelchen beim Kindergottesdienst etwa. Aber die Kinder haben doch Spaß bei der Sache?
Es ist vollkommen in Ordnung, für Kinder die Frohe Botschaft verkürzt darzustellen und natürlich brauchen wir pädagogische Konzepte in der Glaubensvermittlung, damit Kinder einen Zugang finden und die Geschichte Jesu verstehen können. Ich frage mich nur, warum alle erwachsenen Gläubigen daran teilhaben müssen? Viele der „normalen“ Sonntagsgottesdienste sind dermaßen infantilisiert, dass man glauben könnte, man besuche einen Kindergottesdienst.
Präziser sprechen, die Dinge auf den Punkt bringen und das in der Sprache der Gegenwart – wäre es damit getan und sind wir dann im Sinn der Bibel noch authentisch? Oder welche Dinge müssten sich sonst noch ändern?
Ich glaube, dass es nicht die EINE Lösung für alle Probleme gibt. Folgende Punkte könnten jedoch hilfreich sein: Predigten brauchen eine These. Hier muss bei der Ausbildung unserer Priester und pastoralen Mitarbeiter nachgebessert werden. Außerdem brauchen wir ein anderes Verständnis davon, wie man Reden hält. Die typisch katholische Rede beginnt mit einer Anekdote, dann kommt ein theologischer Teil und am Ende kommt wieder eine Anekdote. Diese Erzählungen sind nur ein Rahmen ohne tiefere Bedeutung. Richtig wäre es, eine in sich schlüssige argumentative Rede zu halten. Das bedeutet nicht, dass alles zur Wissenschaft werden muss. Eine solche Rede kann auch ein starkes Glaubenszeugnis sein.
Beruflich beraten Sie Politiker in Strategie- und Wahlkampffragen. Wenn Sie Papst Franziskus beraten dürften, was würden Sie ihm raten?
Den Politikern sage ich immer: „Versuch‘ so klar wie möglich zu sprechen und deine Punkte deutlich zu benennen. Brich aus diesem Politik-Sprech aus, mach dich davon frei, provoziere, lasse zu, dass sich die Leute über dich aufregen.“ Zu Papst Franziskus könnte ich also guten Gewissens sagen: „Weiter machen wie bisher.“ Und das ist vielleicht das Spannendste, was gerade in der katholischen Kirche passiert: Wir haben einen Papst, der medial und kommunikativ funktioniert, der die Leute begeistert, gleichzeitig seine Botschaft rüberbringt und sich nicht vor Provokationen scheut. Das ist genau das, was das Evangelium schaffen muss: Es muss aufschrecken, irritieren, herausfordern. Auf keinen Fall darf es ein nettes, seichtes Beiwerk sein.
Das Interview führte Alexandra Hofstätter
Buchtipp:
Erik Flügge (2016), Der Jargon der Betroffenheit – Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt.
Hrsg. von Kösel-Verlag.
Paperback, 160 Seiten, 16,99 Euro.