Unter dem Titel Weiter – sehen hat das Erzbistum München und Freising als einziges katholisches Bistum in Deutschland ein eigenes Programm für das Reformationsjahr 2017 aufgelegt. Mehr als 100 Projekte wurden den Organisatoren rückgemeldet. Grafik: Erzbischöfliches Ordinariat München
Eine erste Zwischenbilanz am Ende des Reformationsgedenkjahres
Mit dem 31. Oktober 2017, dem 500. Jahrestag des Beginns der Wittenberger Reformation, endet ein ertragreiches Jahr für die Ökumene: Fast unübersehbar war die Anzahl der gemeinsam getragenen oder zumindest in ökumenischer Verbundenheit begangenen Veranstaltungen. Allein auf der zentralen Homepage für das Erzbistum München und Freising sind weit mehr als 100 Veranstaltungen verzeichnet und diese Zahl dürfte nur einen Bruchteil dessen abbilden, was tatsächlich stattgefunden hat. Kaum ein Dekanat, kaum ein Bildungswerk und kaum eine Ebene der Kirchenleitung, die sich nicht mindestens einmal mit diesem Themenfeld beschäftigt hat. Wie am Ende der Erntezeit fällt nun langsam die Anspannung von allen Beteiligten ab und gemeinsam beginnt man die Früchte zu sichten. Was war förderlich für eine solch reiche Ernte und was behinderte das Wachstum? Welche Impulse wurden aufgegriffen und welche blieben eher kraftlos? Welche der geernteten Früchte werden auf Dauer nahrhaft und was wird eher als schneller Zwischenimbiss in Erinnerung bleiben, der doch letztlich ein unbefriedigendes leeres Gefühl im Magen hinterlässt?
Dass das Jahr des Reformationsgedenkens die Ökumene zwischen Katholiken und Lutheranern tatsächlich voranbringen könnte, wurde bereits im Jahr 2013 deutlich als das Dokument „Vom Konflikt zur Gemeinschaft. Gemeinsam lutherisch-katholisches Reformationsgedenken im Jahr 2017“ erschien. Zum ersten Mal war es einer offiziellen Dialogkommission gelungen, darin die Ereignisse, die im 16. Jahrhundert zur Kirchenspaltung geführt hatten, gemeinsam zu beschreiben und in einer Art Zwischenbilanz festzuhalten, was auf dem Weg des Dialoges seither an Verständigung erreicht worden ist.
Eine mutige Entscheidung
Im Herbst 2015 trafen die diözesanen Verantwortungsträger im Erzbistum München und Freising eine mutige Entscheidung: Als einziges Bistum in Deutschland wollte man das Reformationsgedenken 2017 mit einem eigenem Projekt selbstständig mitgestalten. Ziel des Projektes Weiter-sehen sollte es sein, die theologischen und spirituellen Schätze der Reformation für die heutige Zeit fruchtbar zu machen, Räume der Versöhnung zu schaffen, die Ökumene im Erzbistum weiter zu vertiefen und so die Kraft des christlichen Glaubens für die heutige Zeit gemeinsam erfahrbar zu machen. Mit dieser Entscheidung, sich mit einem eigenen Akzent an der Gestaltung zu beteiligen, setzte man ein wichtiges Signal und brachte das Thema auch innerkatholisch neu in die Diskussion.
Bei der vielfältig geleisteten Betrachtung des „Zeitalters der Reformen“ traten unweigerlich auch die schmerzhaften Aspekte des Bruchs der Kircheneinheit in den Blick: Die jahrhundertelangen scharfen Verurteilungen, konfessionelle Separierung und Diskriminierung und ihre bis in die heutige Zeit erfahrbaren Folgen für konkrete Lebensgeschichten verwiesen auf die Notwendigkeit, hier Räume der Versöhnung zu eröffnen. Die auch von der Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland angeregten Prozesse wurden im Erzbistum an vielen Stellen aufgegriffen. In vielen Pfarreien wurden gerade in der Fastenzeit Versöhnungsgottesdienste gefeiert, die überall dort besonders kraftvoll erlebt wurden, wo sie Menschen in Erzählcafés Raum gaben, ihre eigenen Verletzungsgeschichten, aber auch Heilungsgeschichten auszusprechen. Einen besonderen Höhepunkt bildete dabei der Versöhnungsgottesdienst in Miesbach unter der Leitung von Weihbischof Wolfgang Bischof, bei dem sich die katholische und evangelische Ortspfarrei verpflichteten, mit diesen Wunden der Vergangenheit auch in Zukunft sorgsam umzugehen und noch stärker als bisher das Gemeinsame in den Mittelpunkt zu stellen.
Als nachhaltige Erfolgsmodelle, die die ökumenische Verbundenheit nach innen und außen deutlich machen, erweisen sich regionale ökumenische Kirchentage, wie sie in München-Aubing, Garmisch-Partenkirchen, Erding und Prien stattfanden (vgl. Seite 30). Hier gelingt es, den Beitrag der Christen zum gesellschaftlichen Miteinander und die Kraft der Ökumene für die Öffentlichkeit sichtbar zu machen. So wird der hohe personelle und finanzielle Aufwand im Rückblick als wertvoll und motivierend für weitere Schritte erlebt. Bei diesen Veranstaltungen gelingt es auch, Menschen zu erreichen, die sonst wenig mit Kirche in Kontakt kommen.
Über solche Großereignisse hinaus wird immer deutlicher, dass einerseits das abstrakte Reden über die Ökumene in der klassischen Form von Vorträgen und Studientagen einen zunehmend begrenzten Kreis von Interessierten erreicht, dass aber auf der anderen Seite erlebnisorientierte, spirituelle Angebote ihr Publikum finden. Die Ideen waren hierbei vielfältig: Aus der Fülle seien erwähnt die musikalische Reihe „Bach 2017“, die in St. Michael in München einmal im Monat im Rahmen einer ökumenischen Vesper eine Bachkantate zur Aufführung brachte und diese mit der Predigt verschiedener Vertreter aus unterschiedlichen Kirchen deutete. Kleiner, aber mit einem typisch oberbayerischen Akzent versehen, war eine ökumenische Seeprozession am Chiemsee oder auch die an zahlreichen Orten stattgefundenen Rundgänge durch die ökumenische Ortsgeschichte. Überraschend gut angenommen wurden aber auch klar spirituell erkennbare Angebote, wie der Ökumenische Studientag „Kreuz-Gänge“ am Fest Kreuzerhöhung in St. Michael. Dort wurde in besonderer Weise der Mehrwert der multilateralen Ökumene, also einer Ökumene, an der auch orthodoxe, orientalische oder freikirchliche Partner mitwirken, deutlich. Hier liegt ein noch an vielen Stellen nicht ausgeschöpftes Potential für die Ökumene der Zukunft.
Ein erklärtes Ziel des Projektes Weiter-sehen war es, Aktivitäten zu unterstützen, die, wie Martin Luther in seiner Zeit, gemeinsam nach der Kraft und Relevanz des Glaubens in der heutigen Zeit fragten. In diesem Sinn wurde die Unterprojektlinie FreiRaum aufgelegt, die mit monatlichen Impulsen zur Gestaltung ungewöhnlicher spiritueller Begegnungsorte anregte. Das Interesse an diesen Impulsen und die positiven Rückmeldungen zeigten, wie wichtig es war, diesen zukunftsorientieren Ansatz nicht aus dem Blick zu verlieren. Der Mailverteiler erreichte bundesweit Einzelpersonen und Gruppierungen mit den unterschiedlichsten konfessionellen Hintergründen. Die begleitenden Postkarten mit den entsprechenden Impulsen waren an verschiedenen Stellen gefragt. Dass am Ende nur drei konkrete FreiRäume entstanden, gehört wohl zur differenzierten Wirklichkeit des Umgangs mit diesen Themen im kirchlichen Raum. Man ist dankbar für Impulse, die das Thema auf eine gute Weise zum Klingen bringen. Der Schritt zu einer konkreten Umsetzung im eigenen Kontext ist aber damit noch längst nicht gelungen. Trotzdem gehört es zu den bleibenden Erfolgen des Projektes, dass sich im Münchner Norden Jugendliche im Kontext eines Tattoo-Studios mit dem auseinandersetzten, was unter die Haut geht, in Unterhaching ein liebevoll gestalteter spiritueller Spaziergang entstand und im hippen Köln-Ehrenfeld über das Spannungsfeld von Wahrheit oder Pflicht diskutiert und reflektiert wurde.
Was bleibt?
An vielen Stellen wird nun diskutiert, was von all dem bleibt. Und häufig steht dabei die Enttäuschung darüber im Mittelpunkt, dass Schritte – wie die Zulassung der gemeinsamen Mahlfeier – ausblieben. Und selbst wenn ich mir persönlich hier mehr Mut gewünscht hätte, so werden für mich doch zwei Dinge immer deutlicher. Erstens: Die Ökumene lebt von tragfähigen Netzwerken, die sich im Miteinander und im Reichtum ihrer jeweiligen Traditionen verbunden erleben. Und zweitens, dass, wenn man nur ein klein wenig die eng kirchengebundenen Kreise verlässt, „die Christen“ von außen längst als Einheit wahrgenommen werden und sich im Handeln auch so begreifen. Dies wurde und wird in der Frage der Unterstützung der Flüchtlinge, wie an vielen anderen Stellen überaus deutlich. Die Einheit wächst – manchmal lohnt es sich schlicht „Weiter zu sehen“.