Lübecker Projekt #liveline kann Impulse für bayerische Gemeinden geben
Das Internet reicht bis in die entferntesten Teile eines Landes. Und weit darüber hinaus. „Bei uns schalten sich Menschen aus Oslo oder Teneriffa zu“, erzählt Katja von Kiedrowski. #liveline nennt sich das digitale Gottesdienstprojekt, das die Lübecker Pastorin beim Ausbruch der Corona-Krise zusammen mit ihrem Mann Heiko sowie vielen Freiwilligen entwickelt hat. Mit #liveline wollten die Lübecker Protestanten Menschen in der Krise Hoffnung geben und sie bei den anstehenden Veränderungen gut begleiten.
Am Anfang der Pandemie musste eine ganz schöne soziale Durststrecke überwunden werden. Kontakte waren auf ein absolutes Minimum beschränkt, soziale Treffpunkte geschlossen. Selbst Gottesdienste durften nicht mehr live gefeiert werden. „Uns war spätestens Anfang März klar, dass die Situation nun ernster zu werden beginnt“, erzählt Heiko von Kiedrowski. Als dann der Lockdown kam, konnte das Team um ihn und seine Frau sehr schnell reagieren. Bereits am 15. März wurde der erste Online-Gottesdienst aus der Lübecker St.-Jürgen-Kapelle gestreamt. „Nur mal kurz die Welt retten…“ lautete das Thema der Predigt von Lübecks Pröpstin Petra Kallies.

Den Liedern kommt im #liveline -Gottesdienst laut Pastorin Katja von Kiedrowski eine große Bedeutung zu.
Das Ziel von #liveline lässt sich laut Heiko von Kiedrowski auf eine einfache Formel bringen: „Wir wollen, wie der Name ‚liveline‘ in deutscher Übersetzung sagt, eine verbindende ‚Lebensader‘ zwischen Gott und den Menschen schaffen.“ Lebendig wird diese „Lebensader“ dadurch, dass es sich bei #liveline nicht lediglich um einen konventionellen Gottesdienst handelt, der abgefilmt wird. Die Gläubigen sind rege beteiligt, und zwar in erster Linie dadurch, dass sie im Chat Fürbitten einbringen. „Die werden an drei Stellen im Gottesdienst verlesen“, erklärt Philine Eidt, ehrenamtliche Mitarbeiterin in der Lübecker Kirchengemeinde.
Vor dem Computerbildschirm zu sitzen, ist auch älteren Gläubigen heutzutage nicht mehr fremd. „Natürlich wissen wir nicht immer, wie alt die Menschen sind, die uns kontaktieren, aber es gab durchaus Zuschriften von 85-Jährigen“, sagt Katja von Kiedrowski. Gerade Seniorinnen und Senioren hätten es zu den Hochzeiten der Corona-Krise als Segen empfunden, dass sie zumindest über digitale Technik Kontakt halten konnten. „Wir bekamen mit, dass nicht selten Kinder oder Enkel den Senioren Tablets brachten, so dass sie unsere #liveline-Gottesdienste mitfeiern konnten“, schildert die Pastorin. Selbst in Altenheimen, so von Kiedrowski, sei sie auf das Projekt angesprochen worden.
Rund um die Uhr
Die Digitalisierung, warnen manche Theologen, ist mit Vorsicht zu genießen. Könnte sie doch dazu führen, dass noch weniger Menschen als jetzt schon in die Kirche gehen. Es ist ja so wunderbar bequem, von zu Hause aus zuzuschauen. Das Pastorenehepaar von Kiedrowski teilt diese Bedenken nicht. „Uns geht es um Verkündigung“, sagt Katja von Kiedrowski. Wenn manche Menschen das Bedürfnis hätten, sich die Frohe Botschaft erst um 23 Uhr am Abend anzuhören, dann sollte dieses Bedürfnis auch erfüllt werden. Die #liveline-Gottesdienste kann man rund um die Uhr abrufen. Was auch intensiv genutzt wird: „Manche Gottesdienste wurden inzwischen etwa 5.000 Mal angeklickt.“

In dieser Kapelle finden die #liveline-Gottesdienste statt.
Wobei es, eben wegen der Fürbitten, sehr beliebt ist, direkt beim Live-Stream mit dabei zu sein. Zwischen 300 und 400 Christen schauen meist zu. „Der Live-Stream wird eine Viertelstunde, bevor der Gottesdienst beginnt, gestartet“, erzählt Philine Eidt. Dann trudeln nach und nach über den Chat Fürbitten ein. Die greifen die unterschiedlichsten Themen auf. „Ich möchte für die Schausteller und Markthändler beten, dass auch ihnen geholfen wird“, schrieb zum Beispiel im August eine Gläubige. „Ich möchte für den Umzug von meiner Frau und mir beten, dass alles gut klappt und wir uns im neuen Zuhause wohl fühlen“, so ein anderer Christ.
Weil es weder am Geld noch an Manpower noch an Knowhow haperte, konnte #liveline derart schnell und gut umgesetzt werden. „Wir waren technisch bereits bestens ausgestattet, so dass wir beim Lockdown gleich loslegen konnten“, berichtet Heiko von Kiedrowski. Dies lag daran, dass Medien in der Jugendarbeit der Gemeinde schon seit vielen Jahren eine große Bedeutung haben. Dadurch wiederum gibt es viele aktive „Teamer“ in der Gemeinde – insgesamt etwa 150. Realisiert werden die #liveline-Gottesdienste mit etwa zwei Dutzend freiwillig engagierter Teenager und Twens im Alter zwischen 13 und 25 Jahren.
Lieder mit Untertitel
Das Lübecker Team wollte technisch alle Möglichkeiten ausschöpfen, um einen guten Online-Gottesdienst zu machen. Dabei wurden auch Anregungen der virtuellen Besucher aufgegriffen. „Am Anfang hatten wir zum Beispiel nicht immer Untertitel unter den Liedern“, so Heiko von Kiedrowski. „Doch wir möchten mitsingen!“, meldeten die Gläubigen. Und zwar auch jene Lieder, die nicht im Gesangbuch stehen. Seither werden alle Liedtexte abgetippt, damit sie nachher eingeblendet werden können. Das bedeutet natürlich Arbeit, sagt Katja von Kiedrowski: „Es kommt schon mal vor, dass wir am Samstag bis 1 Uhr nachts dasitzen, um einen #liveline-Gottesdienst vorzubereiten.“

Die junge Lübeckeirn Aitana Zienert unterstützt das #liveline-Team als Gebärdendolmetscherin.
In einem leeren Kirchenraum zu predigen, das erfordert Imagination – und kann am Anfang ganz schön gewöhnungsbedürftig sein. Allein die Kamera vermag Ungeübte zunächst zu irritieren. „Ich hatte das Glück, dass ich einmal bei einem Kirchentag vor einer Kamera singen durfte, diese Erfahrung hilft ungemein“, berichtet Katja von Kiedrowski. Auch gestalteten sie und ihr Mann schon öfter Radiogottesdienste. Beide wissen daher, dass es wichtig ist, bei einem digitalen Gottesdienst etwas anders zu sprechen. Und Texte anders zu formulieren. Wichtig sei es außerdem, leicht zu lächeln: „Dann kommt man am Bildschirm bei den Mitfeiernden einfach besser rüber.“
St. Jürgen ist mit zirka 13.000 Gemeindemitgliedern die größte Kirchengemeinde im Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg. Zwei Pröpstinnen leiten den Kreis: Petra Kallies und Frauke Eiben. Kallies ist für den Bereich Lübeck zuständig. Hinter #liveline steht sie voll und ganz: „Denn es ist einfach wunderbar, dass hier so viele junge Leute mit so viel Begeisterung ehrenamtlich mitarbeiten.“ Das Zusammenspiel von Haupt- und Ehrenamtlichen könnte kaum besser sein: „Und ich glaube, dass sich der Spaß und die Freude beim Produzieren auf die Zuschauerinnen und Zuschauer überträgt.“
Das Format #liveline wird es wohl auch noch im nächsten Jahr geben. So groß ist der Wunsch der digitalen Gemeinde nach diesem besonderen Gottesdienst, der dank der jungen Lübeckerin Aitana Zienert sogar in Gebärdensprache übersetzt wird. „Sonntagsgottesdienste im Internet, besonders solche mit lokalem Bezug, sind für viele Menschen keine Notlösung, sondern eine echte Alternative zum Vormittagsgottesdienst“, sagt dazu Pröpstin Petra Kallies. Aus diesem Grund wird auf unbestimmte Zeit weiterhin einmal im Monat auf dem YouTube-Kanal des Kirchenkreises gestreamt. Zudem werden die Gottesdienste auf Bibel TV übertragen.
Titelbild: Junge Leute engagieren sich in Lübeck vor und hinter der Kamera für das Projekt #liveLine.
Fotos: Philine Eidt und Jakob Gutsche