Liebe Leserin, Lieber Leser,
Journalisten freuen sich in der Regel, wenn sie einen „guten Riecher“ für Themen und Geschichten haben. In diesem speziellen Fall wünschte ich allerdings, unser Riecher wäre nicht so gut gewesen. Schon länger hatten wir geplant, in einer Ausgabe das Zusammenleben der Generationen in den Mittelpunkt zu stellen – da haben wir nicht geahnt, mit welcher Brisanz und Vehemenz diese Themen in den ersten Monaten des Jahres 2020 aufschlagen würden.
„Am Anfang hieß es, der Ausbruch des Coronavirus ließe die Menschen zusammenrücken, führe zum großen Schulterschluss, mache die Gesellschaften solidarischer. Sars-CoV-2, hieß es außerdem, treffe alle Menschen gleich, Arme wie Reiche, Weiße wie Schwarze, Mehrheiten wie Minderheiten. Die Krankheit Covid-19, wurde behauptet, sei der große Gleichmacher. Das ist aber nicht so“, diese Zeilen stammen von Martin Klingst aus DIE ZEIT. Der Autor schreibt diese Zeilen Ende Mai. Da ebbt die erste Corona-Welle in Europa langsam ab, und mit ihr auch die der Solidarität, wie es scheint. Die Rufe nach gesellschaftlichem Zusammenhalt, danach mit dem eigenen Handeln Verantwortung zu übernehmen, sie verstummen. Genauso wie das Klatschen auf den Balkonen.
Noch immer handeln viele Menschen sehr, sehr verantwortlich. Sie verzichten, sie helfen anderen und sie schützen durch ihr Verhalten sich und andere. Die Gegenstimmen, sie werden vielleicht nicht mehr, aber sie werden lauter. Demonstrationen und demonstratives Ignorieren der ausgegebenen Maßnahmen. Beim Einkaufen eine Maske aufsetzen zu müssen, das findet vermutlich niemand wirklich prickelnd – eine Einschränkung irgendeines Grundrechts ist es jedoch nicht. Würden all diese Menschen, die momentan an Corona-Demos teilgenommen haben und auf ihren Plakaten und Transparenten zum Teil wüste Verschwörungstheorien mit blankem Unwissen kombinieren, auch aufstehen, wenn Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, der Schutz der Familie, das Asylrecht, das Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz oder die Glaubensfreiheit tatsächlich in Gefahr wären?
Diese Ausgabe von Gemeinde creativ versucht einen schwierigen Spagat. Wir wollen zum einen jene Faktoren aufzeigen, die eine drohende gesellschaftliche Spaltung – die unweigerlich vor der Corona-Pandemie schon erkennbar war, sich aber aktuell mehr und mehr verschärft – befeuern können, wollen aber gleichzeitig deutlich machen, welchen Wert ein solidarisches Zusammenleben der Generationen hat und welche Wege zu einer neuen gesellschaftlichen Solidarität führen können.
Generationengerechtigkeit hat viele Facetten – politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche – und sie beginnt im Kleinen. Beispiele aus Pfarrgemeinden zeigen in dieser Ausgabe auf, wie man sich auf den Weg machen kann, mit einem besonderen Angebot, mit einem Projekt. Sie machen aber auch deutlich: Solidarität ist in erster Linie eine Haltung. Wer diese verinnerlicht, wird auch danach handeln.