Die Pfarrgemeinderatswahlen im Februar 2018 sind für die Gemeinden auch eine Chance für einen Neuanfang, findet Bambergs Erzbischof Ludwig Schick. Betriebsblindheit und überholten Traditionen zum Trotz, ermutigt er die Ehrenamtlichen in Gemeinde creativ, „über den eigenen Kirchturm hinauszuschauen“. Anregung und Inspiration lassen sich in weltkirchlichen Begegnungen und Kontakten finden.
Ludwig Schick
(68) ist seit 2002 Erzbischof von Bamberg. In Marburg geboren, hat er in Würzburg und Fulda Theologie und Philosophie studiert und setzte seine Studien des Kanonischen Rechts in Rom an der Päpstlchen Universität Gregoriana fort, wo er 1980 promovierte. Danach ging er zurück nach Fulda, wo er verschiedene Positionen in Wissenschaft und Bistum bekleidete, ehe er 1995 zum Generalvikar und 1998 zum Weihbischof ernannt wurde. Seit 2006 ist Erzbischof Schick Vorsitzender der Kommission X „Weltkirche“ der Deutschen Bischofskonferenz. Ein würdiges Leben für alle Menschen auf der Erde ist eines seiner zentralen Anliegen. Immer wieder ist Schick in Entwicklungsländern unterwegs, um sich ein Bild vor Ort zu machen. Mit einer eigenen Stiftung „Brot für alle Menschen“, die er anlässlich der Feierlichkeiten zu seinem 60. Geburtstag im Jahr 2009 gegründet hat, möchte er dazu beitragen, die Not in der Welt zu lindern.
Gemeinde creativ: Welche Bedeutung messen Sie dem Engagement von Ehrenamtlichen in der katholischen Kirche bei?
Erzbischof Ludwig Schick: Eigentlich benutze ich das Wort Ehrenamtliche gar nicht so gern. Denn jeder, der getauft ist, darf es als Auszeichnung verstehen und ist eingeladen, in der Kirche mitzuwirken. Das Wichtigste ist, dass jeder Freude an seiner kirchlichen Tätigkeit hat. Kirche, das sind wir alle und Kirche lebt vom Einsatz aller. Die Möglichkeiten dafür sind vielfältig. Die eine Säule ist der Gottesdienst, da brauchen wir Lektoren, Kommunionhelfer, Mesner, Organisten und Sänger, damit Liturgie lebendig wird. Dann haben wir die Katechese und Verkündigung, etwa Mitwirken bei Erstkommunion-, Firm- und Ehevorbereitung. Und als Drittes den karitativen Bereich, um Gemeinschaft zu bilden, und den Menschen in der Not beizustehen, zum Beispiel bei Besuchsdiensten oder in der Flüchtlingsarbeit.
Waren Sie selbst früher ehrenamtlich in der Kirche aktiv?
Ja, in verschiedenen Bereichen und in manchen bin ich es immer noch. Ich bin seit meiner Jugend Mitglied der Kolpingfamilie und habe mich dort in der Jugendarbeit engagiert; als Priester war ich viele Jahre Präses. Außerdem gehörte ich dem ersten Pfarrgemeinderat meiner Heimatgemeinde an. Musikalisch habe ich mich im Kirchenchor engagiert. Als Student habe ich dann angefangen, mich für Menschen mit Behinderung einzusetzen. Das mache ich bis heute. Damals habe ich mit den Jungen Fußball gespielt und bin auf Weihnachtsmärkte gegangen. Später habe ich mit anderen „Promis“ eine Stiftung für behinderte Menschen gegründet.
In welchen Bereichen würden Sie sich vielleicht noch mehr Mitarbeit und Engagement wünschen?
Im Kontext unserer Zeit ist es sehr wichtig, dass wir mehr missionarische, und evangelisierende Kirche werden. Wir dürfen nicht nur im „eigenen Saft schmoren“, sondern müssen neue Menschen für „unsere Sache“ gewinnen. Wir freuen uns an unserem Christsein, sind dankbar, dass wir um einen guten Gott wissen und Jesus als Gefährten an unserer Seite haben. Gerade auch im Bereich von Gerechtigkeit und Frieden, wenn es um die Bewahrung der Schöpfung und Solidarität mit anderen geht, kommt uns Christen in der Gesellschaft eine wichtige Rolle zu. Wir laden ein, dabei mitzumachen.
Im kommenden Februar sind Pfarrgemeinderatswahlen. In vielen Pfarreien geht die Sorge um, man könne nicht genügend Kandidaten finden. Warum sollten sich Männer und Frauen im Pfarrgemeinderat engagieren?
Zunächst hoffe ich, dass diese Sorge unberechtigt ist. Wir sprechen vom Volk Gottes und vom Leib Christi. Also jede und jeder Getaufte ist Kirche. Wichtig sind Pfarrgemeinderäte dafür, dass viele mitverantworten, mitreden und auch mitentscheiden. Schon die Kirchenväter haben gesagt, was alle angeht, das sollen auch alle mitentscheiden. Es ist gut, wenn viele Verantwortung übernehmen und sagen: „Das geht mich an, also mache ich auch mit.“
Was wünschen Sie sich von den künftigen Pfarrgemeinderäten?
Für jeden besteht die Gefahr, betriebsblind zu werden. Das gilt innerhalb wie außerhalb der Kirche. Dem kann man entgehen, wenn man seinen Horizont immer wieder weitet und sich den eigenen Auftrag bewusst macht. Kirche ist dafür da, dass der gute Gott verkündigt wird, dass gute Liturgie gefeiert wird, dass Gemeinschaft und Caritas gelebt werden. Kirche ist katholisch, das heißt weltumspannend. Wenn man sich das bewusst macht, dann sieht man seine Pfarrgemeinde als Teil eines großen Ganzen. Ich sage immer, die Kirche soll im Dorf bleiben. Aber, man muss über den eigenen Kirchturm hinausschauen. Das wünsche ich mir von den neuen Pfarrgemeinderäten.
Drehen sich manche Pfarrgemeinderäte zu sehr um sich selbst und laufen so Gefahr, Menschen, die der Kirche noch nicht ganz fernstehen, dennoch zu übersehen?
Wenn man sich nicht bemüht, Freunde zu finden oder sich um seine Freunde nicht kümmert, ist man schnell allein und wird einsam. In der Kirche ist das ähnlich. Die Kirche muss wachsen wollen. In der Bischofskonferenz haben wir das in dem Heft „Zeit zur Aussaat. Missionarisch Kirche sein“ behandelt. Die Kernaussage ist: Wir müssen hinzugewinnen wollen. Wenn wir anfangen eng zu werden, verraten wir auch den Missionsauftrag Jesu. Dem muss man immer wieder bewusst entgegenwirken. Auch Gebete oder Schrifttexte vor jeder Sitzung helfen dabei, den eigenen Horizont zu erweitern und nicht in engen Bahnen zu denken. Gemeinden, die weltkirchliche Beziehungen haben und sich in diesem Bereich engagieren, erlebe ich oft als lebendiger, als solche, die derlei Kontakte nicht pflegen.
Strukturveränderungen beschäftigen die Pfarrgemeinderäte stets sehr intensiv. Wie gehen Sie hier vor?
Es ist sehr wichtig, dass Pfarrgemeinderäte eingebunden werden. Wir jedenfalls im Erzbistum Bamberg handhaben das so. Einmal, weil mehrere Augen besser sehen als vier oder sechs und weil Pfarrgemeinderäte auch andere Erfahrungen als die Hauptamtlichen und die Diözesanleitungen mit einbringen können. Wir haben auf diese Weise bei der Bildung der Seelsorgebereiche im Jahr 2006 gute Erfahrungen gemacht. Wenn es nun weitergeht, werde ich keine Strukturveränderung von oben verordnen. Zuerst wird an der Basis diskutiert und werden Vorschläge gemacht. Die Bewegung geht von unten nach oben. Alle Strukturveränderungen müssen aber der Sache Jesu und seiner Kirche dienen.
Was sagen Sie Menschen, die sich über rückläufige Gottesdienstbesucherzahlen einerseits und ein reduziertes Gottesdienstangebot andererseits beklagen?
„Kirche muss in den Seelen der Gläubigen lebendig werden“, das hat Romano Guardini schon vor mehr als 50 Jahren gesagt. Die Beschwerdementalität, die Sie ansprechen, kommt von einem Versorgungsdenken. Nicht die Sorge um sich sollte im Mittelpunkt stehen, sondern das Mitsorgen für alle. Da müssen wir die Gläubigen hinbewegen. Und wenn sie dieses Mitsorgen für den Glauben, für die Gottesdienste, für die Zukunft der Kirche verinnerlicht haben, dann hören die Beschwerden auf. Wichtig ist auch, dass die Pfarrgemeinderäte sich immer wieder erneuern. Es ist gut, dass es Tradition gibt, aber ebenso gut, dass es immer wieder Erneuerung gibt. Kein Stillstand, sondern Fortschritt aus der Herkunft. Daran sollte man auch bei den kommenden Wahlen denken. Neben bisherigen Mitgliedern, sollten auch junge neue Frauen und Männer hinzukommen. Das erfordert ein bisschen Risikobereitschaft, aber das Ergebnis wird es wert sein.
Als Vorsitzender der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz sind Sie viel unterwegs. Was fällt auf, wenn Sie unsere Laienstrukturen mit denen in anderen Ländern vergleichen?
Die sind anders, aber lebendig, nicht so strukturiert, vielfach spontan und kommen aus der Freude der Menschen. Die Kirche in Lateinamerika, in Afrika und in Asien wäre ohne den Einsatz zum Beispiel der vielen Katechisten überhaupt nicht zu denken. Sie tragen die Pfarreien und geben den Glauben weiter. Wir schwärmen auch immer von der lebendigen Liturgie in Afrika. Das wäre überhaupt nicht möglich, wenn sich nicht so viele Gläubige engagieren würden, in Musikgruppen, bei den Gabenprozessionen oder als Ministranten. An vielen Orten gibt es inzwischen auch die Pfarreikomitees, mit dem Pfarrgemeinderat vergleichbar. Sie kümmern sich aber auch beispielsweise um die Armen, die Witwen oder Waisenkinder, teils auch schon um die Finanzen einer Pfarrei. Und nun sind wir wieder beim Begriff Ehrenamt: In diesen Ländern spüre ich immer mehr Ehre als Amt. Das sollten wir uns in Deutschland zum Vorbild machen, wo oft das Amt vor der Ehre steht.
Das Interview führte Alexandra Hofstätter
Foto: Erzbistum Bamberg