Bayern Sozialministerin Carolina Trautner hatte keinen einfachen Start. Seit Februar im Amt, blieb ihr nicht viel Zeit, sich einzufinden, denn die Coronakrise traf Bayern mit voller Härte. Im Interview mit Gemeinde creativ spricht Carolina Trautner darüber, wie sie die vergangenen Wochen erlebt hat, aber auch, welche Themen ihr für die Zukunft wichtig sind: Barrieren überwinden, selbstbestimmtes Leben im Alter ermöglichen, neue Wohnformen finden – ein besonderes Augenmerk legt sie auf das gute Miteinander der Generationen.
Gemeinde creativ: Zuerst einmal herzlichen Glückwunsch zu Ihrem neuen Amt. Die vergangenen Wochen waren sicher von einem vollen Terminkalender geprägt, haben Sie sich inzwischen in Ihrer neuen Rolle eingefunden?
Carolina Trautner: Vielen Dank für Ihre Glückwünsche. Wegen der Corona-Pandemie haben sich die Ereignisse überschlagen. Momentan setzt die ganze Bayerische Staatsregierung alles daran, dass wir gut durch die Krise kommen. Mir ist als Sozialministerin dabei sehr wichtig: In dieser besonderen Situation müssen wir als Gesellschaft zusammenstehen und zusammenhalten. Wir können einmal mehr beweisen, dass Bayern ein Vorbild an gesellschaftlichem Zusammenhalt ist. Deswegen habe ich gemeinsam mit den Bayerischen Wohlfahrtsverbänden und den Bayerischen Kommunalen Spitzenverbänden die Initiative „Unser Soziales Bayern: Wir helfen zusammen!“ für ältere Menschen gestartet.
In kürzester Zeit haben sich überall in unserem Land Menschen zusammengetan, um gemeinsam anderen zu helfen. Sie setzen damit oft ganz still ein beeindruckendes Zeichen der Solidarität und Menschlichkeit gerade für die Schwachen und Schutzbedürftigen unter uns – insbesondere für Seniorinnen und Senioren, die in besonderer Weise unsere Zuwendung und Fürsorge brauchen. Unsere Initiative macht dieses wertvolle Engagement in seiner kreativen Vielfalt sichtbar, sie vernetzt und unterstützt es.
Welche sozialpolitischen Themen für Bayern liegen Ihnen momentan besonders am Herzen?
Die Menschen in Bayern wollen sorgenfrei und glücklich leben. Dafür will ich als Sozialministerin meinen Beitrag leisten. Eine höchst anspruchsvolle und fordernde, aber sehr sinnvolle und erfüllende Aufgabe. Ich will, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen sicheren Arbeitsplatz haben, Kinder und Jugendliche hoffnungsvoll in ihre Zukunft blicken können, Menschen mit Behinderung sich als selbstverständlicher Teil unserer Gesellschaft fühlen, Seniorinnen und Senioren sich gebraucht fühlen, Frauen und Männer sicher vor Gewalt sind und niemand Angst haben muss, aus Armut und Einsamkeit nicht mehr dazuzugehören.
In der aktuellen Ausgabe von Gemeinde creativ geht es um das Zusammenleben der Generationen – was wird in Bayern schon dafür getan, dass dieses Zusammenleben gelingt bzw. welche Projekte sind für die Zukunft angedacht?
Das gelingende Zusammenleben der Generationen in Bayern ist mir ein großes Anliegen. Den Generationen muss die Gelegenheit gegeben werden, zusammenzukommen und voneinander zu lernen. Eine wichtige soziale und kulturelle Infrastruktur sind dabei die 90 Mehrgenerationenhäuser in Bayern. Sie leisten einen unverzichtbaren Beitrag für das Miteinander in unserer Gesellschaft. In ihnen wird eine generationenbewusste Haltung vorgelebt. Mein Haus unterstützt die Mehrgenerationenhäuser finanziell sowie konzeptionell durch eine enge fachliche Begleitung. Unser Erfolgsmodell Mehrgenerationenhäuser wollen wir erhalten und weiter ausbauen.

Ob klassisch als Familie unter einem Dach oder in alternativen Wohnprojekten: selbstbestimmtes Leben und Wohnen im Alter ist vielen Menschen wichtig. Das Bayerische Sozialministerium sucht stets nach neuen Wegen, dies zu unterstützen.
Wir in Bayern haben dazu beigetragen, dass das Bundesprogramm Mehrgenerationenhaus und das Anschlussprogramm ab 2021 als eines der 22 Fachprogramme in das gesamtdeutsche Fördersystem zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse aufgenommen worden ist. Alle bisher geförderten Mehrgenerationenhäuser können damit ihre Arbeit in einem Anschlussprogramm nahtlos ab 2021 fortsetzen. Das schafft gerade auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Mehrgenerationenhäuser Planungssicherheit für ihre wichtige generationenübergreifende Arbeit.
Außerdem haben wir uns erfolgreich dafür eingesetzt, dass der Bundeszuschuss pro Mehrgenerationenhaus ab diesem Jahr um 10.000 Euro auf 40.000 Euro pro Jahr aufgestockt wird.
Die Generationen können zum Beispiel auch durch generationenübergreifende Wohnprojekte zusammengebracht werden. Es ist deshalb für mich von großer Bedeutung, dass wir seitens des Sozialministeriums über unser staatliches Förderprogramm „Selbstbestimmt Leben im Alter – SeLA“ auch den Aufbau neuer generationenübergreifender Wohnprojekte mit einer Anschubfinanzierung in Höhe von bis zu 40.000 Euro unterstützen können.
Des Weiteren können sich Interessierte bei der von meinem Haus initiierten und geförderten Bayerischen Koordinationsstelle „Wohnen im Alter“ kostenfrei beraten lassen und werden auf Wunsch auch bei der Beantragung von Fördermitteln begleitet. So stärken wir auch zukünftig den Aufbau neuer alternativer Wohnprojekte, was auch das Zusammenleben der Generationen fördert.
Welche Modelle von generationenübergreifendem Wohnen gibt es bereits und wie werden diese Projekte angenommen?
Immer mehr Menschen suchen nach einem alternativen Wohnmodell, in dem Alt und Jung in enger Gemeinschaft zusammenleben. Eine Umfrage des Sozialministeriums bei den bayerischen Landkreisen und kreisfreien Städten bestätigt diesen Eindruck: Danach gab es 2017 knapp 100 generationenübergreifende Wohnprojekte im Freistaat, während 2014 noch 44 Projekte gemeldet wurden.
Nach unserer Erfahrung werden Projekte mit eigenen, abgeschlossenen Wohneinheiten in Verbindung mit zentralen Gemeinschaftsflächen insbesondere von älteren Generationen der klassischen „WG“ oftmals vorgezogen. Ich denke, es sind insbesondere das bewusste Miteinander und die gegenseitigen Hilfen, die gemeinschaftliche Wohnformen für viele Menschen so attraktiv machen. Ich bin davon überzeugt, dass wir mit unserem Förderprogramm „Selbstbestimmt Leben im Alter – SeLA“ hier noch viele innovative und großartige Wohnprojekte unterstützen können.
Zum Thema gehört auch die Barrierefreiheit. Bis 2023 will man bayernweit im öffentlichen Bereich barrierefrei sein – wie kommt man hier voran?
Die Barrierefreiheit in Bayern liegt mir besonders am Herzen. Bereits als Staatssekretärin habe ich den Staatssekretärsausschuss zur Barrierefreiheit ins Leben gerufen. Barrierefreiheit ist die Grundlage für Inklusion und damit unverzichtbar für eine gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen in unserer Gesellschaft.
Seit der Zielsetzung, Bayern im gesamten öffentlichen Raum barrierefrei zu gestalten, hat sich viel bewegt. Der Freistaat nimmt hier eine Vorbildrolle ein und hat im eigenen Zuständigkeitsbereich – sei es bei den öffentlich zugänglichen Gebäuden, bei den Internetauftritten oder bei der Sensibilisierung der Beschäftigten – erhebliche Fortschritte erzielt. Die Staatsregierung stellt für das Programm „Bayern barrierefrei“ von 2015 bis 2020 Mittel in Höhe von mehr als 650 Millionen Euro zur Verfügung.
Aus meiner Sicht ist es entscheidend, dass die Barrieren im Kopf abgebaut werden. Es freut mich sehr, dass sich seit Beginn des Programms „Bayern barrierefrei“ ein grundlegender Bewusstseinswandel in der Gesellschaft vollzogen hat. Barrierefreiheit ist ein Gewinn für alle Menschen. Bei Entscheidungen und Planungsprozessen wird dies zunehmend als selbstverständlich berücksichtigt. Zahlreiche Menschen arbeiten mit uns gemeinsam und voller Kraft an einem barrierefreien Bayern.
Geht es um „Generationen“, dann wird oft nur an die Jugend und an die Senioren gedacht. Sind die Generationen „dazwischen“ ebenfalls im Blick?
Mir ist das gute Miteinander aller Generationen wichtig. Nur gemeinsam können die großen Herausforderungen der Zukunft wie der demografische Wandel und die Digitalisierung gemeistert werden. Deshalb wendet sich die bayerische Generationenpolitik an Menschen in jedem Alter. Mit einer aktiven Generationenpolitik beleben wir das Miteinander und die gegenseitige Unterstützung neu. Wir verbessern auch die Lebensqualität und das Vertrauen der Menschen in die Zukunft. Hier steht die mittlere Generation, die sogenannte Sandwich-Generation, als wichtiges Bindeglied zwischen den Generationen, besonders im Fokus.
Der Zusammenhalt der Generationen erscheint in der aktuellen gesellschaftlichen Situation wichtiger denn je – kann er als „Kitt für die Gesellschaft“ gesehen werden?
Ganz klar: Ja! Wenn die Generationen – also wir alle – zusammenhalten und zusammenstehen, dann können wir auch den demografischen Wandel, die Digitalisierung oder die zunehmende räumliche Distanz zwischen Familienmitgliedern positiv gestalten. Wenn sich unterschiedliche Altersgruppen begegnen und unterstützen, profitieren alle davon. Wir haben dann mehr Lebenszufriedenheit, Selbstwertgefühl und erleben Sinnhaftigkeit. Und oft vermitteln wir einer anderen Generation dabei Werte und Perspektiven, die uns wichtig sind.
Das schafft Verständnis, Vertrauen und Mitgefühl füreinander und baut Vorurteile ab. So stärken wir nicht nur den Zusammenhalt der Generationen, sondern auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt insgesamt.
Braucht es einen neuen Generationenvertrag bzw. welche Weichenstellungen müssen getroffen werden, um Generationengerechtigkeit auch politisch zu verankern?
Die Generationengerechtigkeit bei der Rente ist in meiner politischen Agenda schon seit langem fest verankert. Im Klartext heißt das: Die Generationengerechtigkeit hat bei jeder Weiterentwicklung der Alterssicherung oberste Priorität. Denn die Rente muss für alle Generationen – Beitragszahler und Rentenbezieher – gerecht und verlässlich bleiben. Das bedeutet, dass für die Jüngeren die Beitragsbelastung zumutbar bleibt und die Älteren eine auskömmliche Rente erhalten. Nur so erzielen wir mit unserer Rentenpolitik Akzeptanz in der gesamten Gesellschaft über alle Generationen hinweg. Es braucht daher keinen neuen Generationenvertrag, aber immer wieder neuen Mut, den bestehenden Generationenvertrag gerecht weiterzuentwickeln.
Der Staat lebt vom Engagement seiner Bürger, gerade auch im Bereich der Generationenarbeit gibt es viele gelingende Projekte – welche Bedeutung schreiben Sie dem ehrenamtlichen Engagement in diesem Bereich zu?
Für mich ist das Ehrenamt in allen Bereichen im wahrsten Sinne des Wortes „unbezahlbar“. Ehrenamtliche geben mit ihrem Einsatz unserem Land ein sympathisch-menschliches Gesicht und stärken damit das Fundament, auf dem unser demokratisch verfasstes Gemeinwesen in Freiheit aufbauen kann. Ehrenamt verbindet die Menschen. Ganz gleich, wo sich die Bürgerinnen und Bürger engagieren und welches Ehrenamt sie ausüben: Es ist immer ein Geschenk von Menschen für Menschen, das gar nicht hoch genug geschätzt werden kann. Es wirkt integrativ und inklusiv, es bringt Menschen über jedes Alter und über alle Generationen hinweg zusammen.
Das Ehrenamt erfüllt aber auch jeden Einzelnen, der sich für das Gemeinwohl engagiert. Es dient der Persönlichkeitsentwicklung, schafft Freude und Zufriedenheit. Menschen erfahren, dass sie unsere Gesellschaft aktiv mitgestalten können. Ehrenamt ist für die Menschen sinnstiftend und es gibt den Menschen insbesondere in Vereinen auch ein Stück Heimat.
Wie erleben Sie in diesem Bereich das Engagement der Pfarrgemeinden und kirchlichen Einrichtungen?
Ich erlebe immer wieder, dass das Engagement in den Pfarrgemeinden und kirchlichen Einrichtungen unverzichtbar für unser Gemeinwesen ist. In Bayern engagiertsich fast die Hälfte der Bürgerinnen und Bürger über 14 Jahre ehrenamtlich. Das sind mehr als fünf Millionen Menschen mit beeindruckenden Leistungen und ganz persönlichen Geschichten. Hierbei spielt das kirchliche und religiöse Engagement eine ganz wichtige Rolle. Nach dem letzten Freiwilligensurvey sind die Kirche und religiöse Vereinigungen nach den Vereinen die zweithäufigste Organisationsform, in denen ehrenamtliches Engagement stattfindet. Und bei den einzelnen Bereichen des Engagements steht kirchliches und religiöses Engagement an vierter Stelle. Dieses großartige ehrenamtliche Engagement in den Pfarrgemeinden und kirchlichen Einrichtungen ist gelebte Nächstenliebe. Und deshalb möchte ich allen ehrenamtlich Engagierten an dieser Stelle mein herzliches „Vergelt´s Gott“ aussprechen.
Carolina Trautner (Jahrgang 1961) ist seit Februar 2020 Bayerische Staatsministerin für Familie, Arbeit und Soziales. Außerdem ist sie die Frauenbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung. Davor war sie Staatssekretärin im Bayerischen Kultusministerium und von 2018 bis 2020 dann im Bayerischen Sozialministerium, wo sie vor allem auch für den Bereich des Ehrenamts zuständig war. Carolina Trautner ist evangelisch, verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Sie ist zudem Mitglied im Beirat des Kolping-Bildungswerks Bayern.
Fotos: Bayerisches Sozialministerium; NDABCREATIVITY/Adobe Stock