Die Kirche und die Ökologie
Vor bald fünfzig Jahren erschütterte die Studie „Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit“ (1972) den Fortschrittsoptimismus der 1960er Jahre und machte die Gefährdung unserer Zukunft publik. Hat die katholische Kirche dieses „Zeichen der Zeit“ erkannt und Konsequenzen gezogen? Edmund Gumpert, von 1990 bis 2014 Umweltbeauftragter des Bistums Würzburg, geht dieser Frage nach.
Gott als Schöpfer zu verehren, ist in der katholischen Tradition, auch im Brauchtum tief verwurzelt. Die in den 1970er Jahren erstarkende Umweltbewegung stieß jedoch in kirchlichen Kreisen lange auf Ablehnung. Lediglich Verbände wie die Katholische Landjugendbewegung und der BDKJ beteiligten sich frühzeitig am gesellschaftspolitischen Diskurs. Auch das Wort der deutschen Bischöfe „Zukunft der Schöpfung – Zukunft der Menschheit“ (1980) fand starke Beachtung. In der Theologie setzten Forschungen ein. Ansonsten aber war die Reaktion recht verhalten:
Mainz bestellte 1978 als erstes deutsches Bistum einen Umweltbeauftragten: Martin Rock. Erst 1986 berief jedes bayerische (Erz-)Bistum einen Umweltbeauftragten – meist mit wenigen Wochenstunden, zudem kaum mit Mitspracherechten ausgestattet. 1990 brachten sie die Umweltfibel „Schöpfungsverantwortung in der Gemeinde“ heraus – eine Fundgrube für Liturgie und Bildungsarbeit. Manche ihrer Vorgesetzten erwarteten nicht mehr, als dass sie in Vorträgen den Schöpfungsglauben zeitgemäß auslegten. Die Erwartungen in der Gesellschaft waren da weit höher.
Kirche musste Haltung zeigen
Angesichts der Auseinandersetzungen um die Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf und erst recht nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl (1986) wurde von der Kirche eine Aussage erwartet, inwiefern die friedliche Nutzung der Atomenergie ethisch vertretbar ist. Ebenso war sie – zumal selbst Eigentümerin von Wald und Feld – gefragt in den Debatten zum Waldsterben und zur Zukunft der Landwirtschaft. Ob vor dem Volksentscheid über das „Bessere Müllkonzept“ (1991), im Dauerstreit um die Grüne Gentechnologie, um befürchtete Gesundheitsschäden durch Mobilfunk (Sendemasten auf Kirchtürmen?), um Tierschutz, Globalisierung oder die Energiewende – stets sollte die Kirche durch kompetente Vertreter zu mehr Sachlichkeit, Vermittlung und Verständigung beitragen. Viel zu selten wurde und wird diese Chance erkannt und genutzt.
Das heute anerkannte Leitbild der Nachhaltigkeit wurde in den 1980er Jahren maßgeblich vorbereitet durch den „Konziliaren Prozess für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“. Die „Agenda 21“, 1992 auf der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio beschlossen, veranlasste den Bund für Umwelt und Naturschutz in Deutschland und das Hilfswerk Misereor, die Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“ (1995) erarbeiten zu lassen, welche erstmals Erfordernisse für eine tragfähige Entwicklung in Deutschland aufzeigte. „Tauwetter“ auch vor Ort: statt „Berührungsängsten“ breite Kooperation von kirchlichen Gruppierungen und Umweltverbänden. Als wenige Jahre später viele Kommunen eine „Lokale Agenda 21“ für das neue Jahrhundert entwickelten, waren Umweltverbände und kirchlich Engagierte führend mit dabei. Seitdem ist ebenso die kirchliche Mitwirkung in den Netzwerken zur Umweltbildung selbstverständlich und wird geschätzt.
Zur engeren Kooperation beim Klimaschutz rief der Freistaat Bayern eine „Bayerische Klimaallianz“ ins Leben und schloss 2007 (zuvor nur mit dem Bund Naturschutz) eine Vereinbarung mit den beiden großen christlichen Kirchen, was deren spezielle Relevanz für den Klimaschutz – auch durch ihre Präsenz selbst in den kleinsten Dörfern – belegt. Im Rahmen des Förderprojektes der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) „Kirchengemeinden für die Sonnenenergie“ wurden seit 2000 auf kirchlichen Dächern mehr als 750 Photovoltaik- und Solarthermie-Anlagen errichtet. Durch die breite Diskussion vor Ort und begleitende Bildungsarbeit waren viele Vorbehalte gegen erneuerbare Energien abgebaut worden.
Vom Reden ins Handeln
Hier zeigt sich auch, wie die Kluft zwischen Wissen/Reden und entsprechendem Handeln überwunden werden kann. Wie vielfältig die praktischen Möglichkeiten der Kirche beim Umweltschutz sind, hatten die deutschen Bischöfe 1998 im Arbeitspapier „Handeln für die Zukunft der Schöpfung“ aufgezeigt. Daraufhin beteiligten sich beispielsweise im Bistum Würzburg mehr als 100 Pfarrgemeinden und Einrichtungen am „Unternehmen Lebensbaum“: Sie machten eine „Ökologische Bestandsaufnahme“ und fanden heraus, wie sie Energie und Wasser sparen, umweltbewusster einkaufen oder bei Gottesdiensten und Bildungsmaßnahmen für die „Bewahrung der Schöpfung“ sensibilisieren können.
Um noch weit mehr geht es beim „Kirchlichen Umweltmanagement“, das Kirchenleitungen inzwischen ausdrücklich empfehlen: Pfarreien und Einrichtungen beschließen ein Umweltprogramm mit verbindlichen Zielen und Maßnahmen und lassen dessen Umsetzung unabhängig durch externe Gutachter überprüfen (gemäß der EU-Verordnung EMAS bzw. dem gleichwertigen kirchenspezifischen Konzept „Grüner Gockel“). Dadurch werden Verbräuche und Kosten gesenkt; das Umweltbewusstsein der Beteiligten wird vertieft. In Bayern sind mittlerweile hunderte Frauen und Männer ausgebildet, die als „Umweltauditoren“ solche Prozesse beratend unterstützen.
Mit einer „Klimaschutz-Förderinitiative“ stellt seit zehn Jahren der Bund auch den Bistümern Finanzmittel zur Verfügung, wenn sie ein Klimaschutzkonzept erstellen (lassen) mit verbindlichen Einsparzielen (unter anderem Senkung des CO2-Ausstoßes) und zur Umsetzung der Maßnahmen Klimaschutzmanager einstellen. Vorreiter wie das Erzbistum Freiburg können Einsparungen an CO2 von weit mehr als 30 Prozent nachweisen; auch bayerische Bistümer sind auf einem guten Weg.
Im Expertentext „Der Klimawandel“ (2006) hatten die deutschen Bischöfe früher als andere die immer drängenderen Herausforderungen verdeutlicht und Beiträge der Kirchen zum Klimaschutz dargestellt. Weitere Texte – mit bezeichnenden Untertiteln wie „Anregungen“, „Empfehlungen“, „Diskussionsbeitrag“ – folgten. Erst nach der Enzyklika Laudato si‘ (2015) wurden die deutschen Bischöfe Ende 2018 selbst verbindlicher: Jede Diözese hat 2021 erstmals einen Bericht zum Stand und Fortgang ihres Schöpfungsengagements vorzulegen.
Klimaschutz ist auch ein Gebot der Gerechtigkeit den von den Folgen des Klimawandels schon heute Betroffenen sowie kommenden Generationen gegenüber.
Hier fördern die Kirchen seit langem einen nachhaltigen Lebensstil – etwa über Fastenaktionen. Denn Klimaschutz kann nicht allein über technische Effizienz und über den Preis erreicht werden. Es bedarf der Einsicht des Einzelnen, dass vieles entbehrlich ist, ohne ärmer zu werden (Suffizienz), aber auch strikter Vorschriften des Staates – und ebenso innerhalb der Kirche.
Mein Resümee?
Die angeführten Aktivitäten veranschaulichen, dass „Kirche“ schon Beachtliches leistet. Und doch reicht das bei weitem noch nicht aus – gerade mit Blick auf die eigene Organisation: Endlich müsste sichergestellt werden, dass Umweltbelange bei Entscheidungen – insbesondere im Bau- und Finanzsektor – viel stärker beachtet und Umweltexperten aus den eigenen Reihen unmittelbar an den Entscheidungen beteiligt werden. Klima- und Umweltschutz ist nicht nur eine Querschnitts-, sondern eine Führungsaufgabe; verbindliche Vorgaben und Kontrollen aber fehlen bisher weithin. Durch vorbildlich gelebte Schöpfungsverantwortung kann Kirche wieder Ansehen und politische Relevanz hinzu gewinnen. Gerade jetzt braucht die Welt viele Menschen guten Willens und unser Zeugnis gelebter Hoffnung.
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