Ausgabe: November-Dezember 2021
SchwerpunktZwischen liebgewordenem Ritual und institutioneller Ratlosigkeit
Interreligiöser Dialog
Seit etlichen Jahren und in regelmäßigen Abständen wird die große gesellschaftliche Bedeutung eines interreligiösen Dialogs von Politikerinnen und Politikern sowie Religionsgemeinschaften pflichtschuldigst betont – in noch größerer Intensität immer dann, wenn es irgendwo im Land gewaltsame Übergriffe gibt. Dagegen wird niemand ernsthafte Einwände erheben wollen. Dennoch rufen diese Appelle bei den Organisatoren und den von solcherlei Einladungen Betroffenen genauso regelmäßig eine gewisse Ratlosigkeit hervor: Was wird von uns erwartet? Warum sollen ausgerechnet wir, die wir ohnehin nicht zu religiös motivierten Gewaltausbrüchen neigen, schon wieder miteinander debattieren?
Im Ergebnis sind sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf den Podien von Kirchentagen, von abendlichen Veranstaltungen oder in regelmäßig stattfindenden Konsultationen ohnehin bei den meisten Themen einig – und die Diskussion wird entweder langweilig oder, wie es schon häufig zu erleben war, es verteidigen die jüdischen und christlichen Podiumsgäste gemeinsam ihren muslimischen Counterpart, weil dessen Aussagen vom Publikum angezweifelt oder bestritten werden. Diejenigen Themen, bei denen von den Vertreterinnen und Vertretern der Religionsgemeinschaften harte und womöglich unversöhnliche Positionen zu erwarten wären, zum Beispiel der arabisch-israelische Konflikt, die Reaktion der Mehrheitsgesellschaft bei antisemitischen oder antimuslimischen Aktivitäten Einzelner oder die Rolle der Kirchen bei den kolonialen Aktivitäten der europäischen Mächte, finden sich bei Podiumsdiskussionen ohnehin meist ausgeklammert. Damit sind wir schon mitten im Problem.
Die institutionelle Ratlosigkeit
Der Dialog zwischen den in Deutschland ansässigen Religionsgemeinschaften, der zumeist als Gespräch zwischen den sogenannten abrahamitischen Religionen geführt wird, leidet an einer ähnlichen Ritualisierung wie das öffentliche Gedenken an die Schoa und die anderen Verbrechen während der nationalsozialistischen Herrschaft. Es ist gut, dass es diese Gedenkveranstaltungen regelmäßig gibt. Es wäre aber besser, wenn sie mit dem Anspruch stattfinden würden, jedes Mal etwas Neues und Anderes zu entwickeln, anstatt auf ein vorgefertigtes Ritual zurückzugreifen. Auch und gerade hinsichtlich der öffentlichen Interreligiösen Dialoge sollte der Ehrgeiz der Veranstalter darin bestehen, allen Mitwirkenden zuzutrauen, dass sie etwas lernen möchten, dass sie nicht nur darauf aus sind, sich in ihren vorgefassten Meinungen bestätigt zu sehen.
In langjährig stabilen jüdisch-christlichen Gesprächskreisen hat sich gezeigt, dass es nicht nur möglich ist, kontroverse Themen miteinander zu diskutieren, sondern dass ein offen und kultiviert geführter Streit die Gruppe überhaupt erst zueinander führt. Bei einer solchen Auseinandersetzung müssen am Ende auch nicht alle einer Meinung sein, ganz im Gegenteil. Je öfter kontrovers diskutiert wird, desto klarer wird auch, dass die Fraktionen häufiger wechseln und keineswegs von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion geprägt sind.
Aus dieser Beobachtung ergibt sich zweierlei: Zum einen, dass es für alle Beteiligten der Mühe wert ist, ritualisierte Dialogveranstaltungen durch sachorientierte, mutige Diskussionen zu ersetzen. Zum anderen, dass die religiös bestimmten Auffassungen für eine ganze Reihe von gesellschaftlichen Binnenkonflikten nicht sonderlich relevant sind. Manche Position wird außerdem dem Islam oder dem Christentum zwar zugeschrieben, von den real existierenden Glaubenden aber gar nicht geteilt. Um solche Dinge herauszufinden, bedarf es einer unvoreingenommenen Neugier – seitens aller am Dialog Mitwirkenden.
Von der Überzeugungskraft der Information
Wer als Angehörige/r einer religiösen oder ethnischen Minderheit hierzulande unterwegs ist, stößt des Öfteren auf bestürzende Beispiele unbedarfter Desinformation, die beleidigend wirken könnte, wenn man sich denn kränken lassen wollte. So wird in öffentlich aufgestellten Informationstafeln schon mal verkündet, dass die jüdische Wohnbevölkerung eines Ortes einst zwangsweise Sondersteuern zur Finanzierung des Rathauses habe leisten müssen – was aber das christlich-jüdische Verhältnis nicht beeinträchtigt habe. Deutsche Jüdinnen und Juden werden regelmäßig genötigt, zu Entscheidungen der Regierung Israels Stellung zu nehmen, als wären sie deren Staatssekretäre oder Botschaftsmitarbeiterinnen und von vornherein in alle politischen Prozesse aktiv einbezogen worden. Von den Gewissheiten, mit denen muslimische Deutsche täglich konfrontiert werden, soll hier gar nicht erst angefangen werden.
Es ist daher sehr zu begrüßen, dass es an den Universitäten und Hochschulen dieses Landes zunehmend interreligiös ausgerichtete Studiengänge gibt. Die gründliche akademische Auseinandersetzung mit den Beziehungen zwischen den Religionen beinhaltet nämlich deutlich mehr als die Auseinandersetzung mit den einzelnen Theologien und Praktiken jeweils für sich. Nur wenn eine Kenntnis von Geschichte und Gegenwart religiöser Traditionen einerseits mit Theorie und Praxis ihres Zusammenwirkens andererseits in den Blick genommen wird, ergeben sich tatsächlich interreligiöse Studien.
Von mindestens ebenso großer Bedeutung wäre eine interreligiöse Ausbildung für angehende Religionslehrerinnen und Religionslehrer jeder Couleur. Noch immer meint man, „Grundkenntnisse“ von Judentum und Islam in den Lehrplänen verankern zu können, ohne entsprechende Module in den Lehramtsstudiengängen anzubieten. Das ist angesichts der anspruchsvollen und reichhaltigen Traditionen fahrlässig und zeugt nicht von tief reichendem Respekt.
Ein drittes großes Arbeitsfeld, auf das reichlich Information ausgebracht werden sollte, ist dasjenige der Erwachsenenbildung. Auch hier fehlt es noch weithin an Konzepten und dem ernsthaften Bestreben, mehr als oberflächliche Vergleiche zwischen Festkalendern und den rites de passage anzubieten. Dabei ist die Themenwahl alles andere als trivial. Wer zum Beispiel jüdischen Dialogpartnern hierzulande vorschlägt, seine Erlebnisse bei einer jüdischen Hochzeit zum Besten zu geben, sollte vorher darüber nachgedacht haben, dass in manchen sehr kleinen und überalterten Gemeinden schon lange keine Heiraten mehr stattgefunden haben. Andererseits – und damit schließt sich der Kreis – wer sollte sich ernsthaft über Bestattungsriten unterhalten wollen, wenn es eine große Bandbreite an spannenden sozialen, politischen, und, ja auch theologischen Fragen gibt, die man miteinander besprechen könnte?
Verfasst von:
Susanne Talabardon
Professorin für Judaistik, Zentrum für Interreligiöse Studien der Otto-Friedrich-Universität Bamberg