Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: Januar-Februar 2022

Kolumne

Baum der Erkenntnis

Beitragsbild: Petrik / Adobe Stock

Eigentlich haftet der Schlange aus biblisch-christlicher Sicht wenig Gutes an. Sie wird verantwortlich gemacht für den Sündenfall der Menschen, weil sie vom Baum der Erkenntnis genascht haben. Zur Strafe muss die Schlange auf dem Bauch kriechen und Staub fressen (Gen 3, 1-14). Auch wenn wir mit einem aufgeklärten Verständnis an solche Berichte der Heiligen Schrift herangehen, verbinden wir mit Schlangen, zumal mit exotischen, nicht ganz ohne Grund potentielle Gefahren.

Dabei liefert eine bestimmte Schlange aus Südamerika gute Nachrichten zu einer naturnahen Bekämpfung des Coronavirus. Nach einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom Herbst vergangenen Jahres ist es brasilianischen Forschern gelungen, im Gift der Jararacussu-Schlange ein Molekül zu entdecken, das die Vermehrung des Coronavirus hemmt.

In Laborstudien brachten wissenschaftliche Fachleute des Instituts für Chemie der Universität des Bundesstaats Sao Paulo einen Bestandteil des Giftproteins, ein Peptid, mit infizierten Affenzellen in Kontakt und stellten dabei fest, dass die Reproduktionsfähigkeit des Virus um 75 Prozent sank. Den Forschern waren die antibakteriellen Eigenschaften von Molekülen des Gifts schon früher aufgefallen, aber die Schlussfolgerungen für die Bekämpfung einer Pandemie sind neu.

Die Ergebnisse, die in der Fachzeitschrift „Molecules“ veröffentlicht wurden, sind offensichtlich aussichtsreich – nicht nur für die Forschung. Möglicherweise lassen sich sogar Medikamente zur Behandlung von Infizierten aus dem Schlangengift herstellen.

Die Jararacussu-Schlange kommt im südlichen Brasilien, in Paraguay, Bolivien und im nördlichen Argentinien vor. Es handelt sich dabei um eine Viper mit einer Länge von bis zu 1,5 m, wobei Weibchen manchmal sogar bis zu 2 m lang werden. Die Jararacussu besitzt einklappbare Giftzähne, durch die sie ihr Gift (Ophiotoxin) in die Bisswunde injiziert. Auffällig sind nicht nur die langen Giftzähne, sondern auch die hohe Menge, die mit einem Biss abgegeben werden kann: bis zu 300 mg können den Besitzer wechseln. Die Gefahr für Menschen, daran zu sterben, liegt bei knapp 20 Prozent der medizinisch nicht versorgten Fälle.

Für solche, die vom Coronavirus infiziert sind, könnte ihr Gift dagegen lebensrettend werden. In weiteren Schritten soll nun an der geeigneten Dosis geforscht werden. Dazu sind Experimente an lebenden Organismen geplant. Auch andere Substanzen, die in Pflanzen und Tieren enthalten und deren Eigenschaften noch nicht vollständig bekannt sind, können die pharmazeutische Forschung beschleunigen. Deshalb wäre die Zerstörung des Lebensraums und der Biodiversität von Flora und Fauna fatal.

Die vierte Welle der Corona-Pandemie hat uns seit dem vergangenen Herbst gezeigt, dass wir das Virus nicht unterschätzen und nicht leichtsinnig werden dürfen. Ohne vom biblischen Baum der Erkenntnis naschen zu müssen, ahnen wir: nach der Pandemie ist vor der Pandemie. Und wenn sich mit einer solchen „Behandlung“ auch andere Infektionskrankheiten bekämpfen lassen, kommen wir dem Paradies am Ende doch einen ganz kleinen Schritt näher.


Verfasst von:

Karl Eder

Dr. Karl Eder ist Geschäftsführer des Landeskomitees der Katholiken in Bayern sowie Vorsitzender der Aktion für das Leben e. V. Er ist promovierter Liturgiewissenschaftler.