Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: Mai-Juni 2023

Schwerpunkt

Lust auf Zukunft?

Grafik: Hans-Jörg Nisch / Adobe stock

Perspektiven und Impulse für Pfarrgemeinden

„Die Pfarrei ist keine hinfällige Struktur; gerade weil sie eine große Formbarkeit besitzt … wird sie, wenn sie fähig ist, sich ständig [zu] erneuern und an[zu]passen, weiterhin‚ die Kirche [sein], die inmitten der Häuser ihrer Söhne und Töchter lebt‘“ (EG 28).

Gibt es solche Pfarreien überhaupt noch, wie sie Papst Franziskus in seiner pastoralen „Regierungserklärung“ Evangelii Gaudium aus dem Jahr 2013 zur Entwicklung ermutigt hat? Oder sind die meisten Pfarreien von diözesanen Planern wegen des Priestermangels über den Weg des grünen Tisches längst in größere Räume um- oder- eingebaut, wenn nicht gar fusioniert und damit aufgelöst worden? Wohin geht dann die Reise? Dazu einige ermutigende Anregungen.

Netzwerken – wie die Fischer auf dem See Genezareth

Es ist – auch im Zeitalter großer Netzwerke wie des Internets - unerlässlich und heilsam, punktuell oder auch konstant, die Zusammenarbeit und den Zusammenschluss mit anderen Pfarrgemeinden, pastoralen Orten und Kooperationspartnern aus dem Sozialraum zu suchen: im Verständnis pastoraler Netzwerke. Solche eröffnen neue Horizonte. Netzwerke sind im besten Sinn des Wortes „tolerant“. In Netzwerken unterstützt man einander. Netzwerke verbinden. Sie stärken das, was ohnehin bereits in Kontakt miteinander gewesen ist, oder unterstützen, was allein nicht mehr genug an Energie aufbringen kann, also das, was Synergie benötigt. Vernetzung ist immer dann sinnvoll und auch erfolgreich, wenn gemeinsam etwas besser geht als allein.

Wichtig ist jedoch, dass das, was vital vor Ort lebt, weiterhin bestehen bleibt. Die Kirche kann damit im Dorf – also im Nahbereich – bleiben, ja soll es auf jeden Fall. Die Suche nach Beheimatung, zumindest temporär, ist ja – in unserer von Mobilität geprägten Gesellschaft – auch ein Zeichen unserer Zeit. Es braucht deshalb auch in den Netzwerken Kirche vor Ort in dauerhafter und erkennbarer Form im Wissen darum, dass der kirchliche Nahbereich unersetzbar ist. Deutlich ist längst, dass die pastoralen (Groß-)Räume zwar der Mobilität entgegenkommen und Vielfalt und Anregung geben, aber zu wenig Nähe ermöglichen. Nähe findet man in Gemeinschaften, in denen man sich kennt, einander unter die Arme greift, das Leben miteinander teilt, Verantwortung füreinander übernimmt, Notleidenden hilft, aber auch miteinander betet, Eucharistie feiert und sich von den biblischen Visionen Rückenstärkung holt. Es lohnt sich deshalb, Kreativität, Energie und Kompetenz zu investieren, damit die Gemeinden vor Ort ein lebendiger und anziehender Hallraum des Lebens aus dem Geist des Evangeliums sind und bleiben. Begabungen sind uns alle dafür genug und im Übermaß geschenkt.

In aller Freiheit und achtsam für die Wunden der Welt

Eine Pfarrei – egal ob sie sich in einem großen oder einem überschaubaren Raum befindet – kann Zukunft haben, wenn sie sich als „offenes Haus“ oder „offener Raum“ versteht. Einladend, aber nicht vereinnahmend, die Menschen in ihrer jeweiligen Lebenssituation wertschätzend – so, wie sie eben sind, ihre Freiheit achtend. Von Kardinal Reinhard Marx stammt die Aussage: „Eine Gemeinde, die keine Ausrichtung auf die ‚Wunden der Welt‘ hat, kann nicht wirklich glaubwürdig die Feier von Tod und Auferstehung Jesu feiern. Beides gehört zusammen. Wir brauchen einen engagierten und kreativen Umgang mit den ‚Wunden der Welt‘ vor Ort, in unseren Gemeinden.“

Die Lebensfragen der Menschen also sind der Stoff der gemeindlichen Handlungen und Projekte. Immer wieder zeigt sich innerkirchlich die Tendenz, den sogenannten „Zeitgeist“ zu verteufeln und sich dagegen abzugrenzen. Es steht uns – als Zeitgenossen und Zeitgenossinnen – gut an, die moderne Welt mit ihrer unglaublichen Vielfalt und Freiheit grundsätzlich zu bejahen und wahrzunehmen, was alles an Gutem und Heilsamen tagtäglich in ihr geschieht. Aber ebenso müssen wir auch sensibel auf die Verwerfungen der Moderne achten, welche Menschen zu Verlierern macht, den Klimawandel ernst nehmen und Projekte für Nachhaltigkeit und Schöpfungsverantwortung auf den Weg bringen sowie den Konflikten, Ungerechtigkeiten und mancher Ratlosigkeit im Blick auf das Morgen nicht mit Flucht in eine weltfremde Spiritualität ausweichen.

Einladende Herbergen

Die Pfarreien mit Lust auf Zukunft sollen und werden deshalb mehr und mehr den Charakter von Herbergen annehmen. Herbergen, die einladen und bergen, bei denen die Türen offen stehen in absichtsloser Gastfreundschaft. Zu ihnen kann kommen, wem temporäre Gemeinschaft guttut, wer seine Seele zu Gott hin still werden lassen will, wer Rast braucht, wer Trost oder Wegweisung sucht, Einkehr, ein Gespräch oder Ruhe. Man nimmt sich dort Zeit füreinander und es ist genug Platz für die spirituell Suchenden, die nur vorübergehende Bleibe wollen. Deren Zahl wächst. 

Es braucht auch in den Netzwerken Kirche vor Ort in dauerhafter und erkennbarer Form im Wissen darum, dass der kirchlichen Nahbereich unersetzbar ist.

Neben denen, die nur kurz verweilen, gibt es andere, die auf Zeit oder auf Dauer mitarbeiten: als Ehren- oder Hauptamtliche. Sie gestalten die Räume, bringen sich ein, sind in der Leitung der Herberge aktiv, kümmern sich um die Ökonomie und um die Inhalte, sehen diese Herberge als ihren Ort, ihre Heimat – und können es gleichzeitig gut aushalten, dass andere nur Gäste auf Zeit sind. Und immer wieder werden alle, Gastgeberinnen, Gastgeber und Gäste, von Gott beschenkt, weil er die innere lebendige Mitte bildet; das Feuer, um das sich alle versammeln. Dort, wo Menschen lieben, einander vergeben, nicht aufgeben, staunen und das einfache Leben miteinander teilen, da öffnen sich Räume, die wir „Reich Gottes“ nennen. Da duftet es nach Brot und Wein.

Kreative Erträge aus der Pandemie

Die Pandemie hat vieles zum Stillstand gebracht und manches wohl auch an ein Ende. Andererseits war für mich – geboren aus der Not – vielfach beeindruckende Kreativität wahrzunehmen. Um auch als Pfarrgemeinde untereinander in Kontakt zu bleiben, wurde digitalisiert, man hat sich um die Einsamen gekümmert, es gab neue Ansätze, um spirituelle Quellen frei zu halten oder zu pflegen. Weil man sich „drinnen“ nur mit großem Sicherheitsabstand und in kleiner Zahl treffen konnte und durfte, ging man vielfach hinaus. Man suchte besondere Orte für spirituell Nährendes auf, war miteinander unterwegs, ging an die Hecken und Zäune und ins freie Feld. Man hat am Heiligen Abend zu Kinderkrippenfeiern unter freiem Himmel eingeladen und vor allem in den geprägten Zeiten viele neue Formate erfunden. Kirchentüren wurden tagesüber weit geöffnet und Orte des Verweilens ermöglicht. Das „Geht hinaus …“ aus dem Schluss des Matthäusevangeliums (Mt 28,19) hat plötzlich Relevanz erhalten und Wirkung entfaltet. Was hindert, sich etwas davon beizubehalten, anstatt sich wieder – womöglich alternativlos – in die vermeintliche Komfortzone der Pfarrzentren zurückzubegeben oder gar zurückzuziehen? Das pfarrliche Leben und die Freude am Evangelium müssen in heutiger Zeit auch ein „Draußen“ umfassen. Kirche braucht Präsenz im Sozialraum und Verbindung mit all dem, was sich dort abspielt.

Auch Jesus hat draußen gepredigt, geheilt und ist unterwegs den Menschen nahegekommen. Er war neben Häusern, Synagogen und dem Tempel auch auf Booten, auf dem Feld, auf dem Marktplatz, an Brunnen oder an einem Teich anzutreffen. 

Lust auf Zukunft?

Im Buch Joel (2,25f) heißt es: „Die Dreschplätze sind voll von Getreide, die Keltern fließen über von Wein und Öl. Ihr werdet essen und satt werden und den Namen des Herrn, eures Gottes, preisen, der für euch solche Wunder getan hat.“

Trauen wir für die Zukunft unserer Gemeinden solchen biblischen Zusagen auf die unverbrüchliche Treue Gottes und seinen Verheißungen?

 


Verfasst von:

Anna Hennersperger

Pastoraltheologin, Supervisorin/Coach, Gemeinde- und Organisationsberaterin, Moderatorin in Passau