Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: März-April 2021

Schwerpunkt

Wenn der Glaube an übernatürliche Kräfte Heil bringt

Foto: Juan Carlos Munoz / Adobe stock

Afrika umfasst als Kontinent eine kulturelle Vielfalt mit zahlreichen ethnischen Gruppen, unterschiedlichen Sprachen sowie individuellen religiösen Überzeugungen und spirituellen Praktiken. Diese sind in den Traditionen vieler Afrikaner tief verwurzelt. Manche tendieren sogar dazu, unsichtbare Kräfte für negative Ereignisse, wie Krankheiten oder andere Probleme, verantwortlich zu machen – etwas, das viele Europäer nicht kennen.

Wie facettenreich das Spektrum an Möglichkeiten sein kann, Religionen und spirituellen Praktiken auf dem afrikanischen Kontinent auszuleben, erklärt Kundri Böhmer-Bauer, Ethnologin und interkulturelle Trainerin sowie Lehrbeauftragte für afrikanische Länder an der Universität der Bundeswehr München-Neubiberg und Beraterin diverser Unternehmen zu geplanten Auslandsaufenthalten. Sie kritisiert, dass der afrikanische Kontinent oft als ein einziges Land betrachtet wird. Dabei handelt es sich um 55 verschiedene Länder, die auch in sich selbst sehr verschieden sind. Außerdem wachsen 1,3 Milliarden Menschen – wie auf jedem anderen Kontinent – je nach Generation, Bildung, Erfahrung sowie Region unterschiedlich auf. Jedes Volk hat seine eigene Religion mit ihren jeweiligen Bräuchen und Glaubensanschauungen.

Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung des afrikanischen Kontinents gehört dem Christentum oder dem Islam an, wobei sich diese in ihren verschiedensten Ausprägungen wiederfinden. Neben diesen beiden Weltreligionen, die durch Missionare und Händler im Lauf der Kolonialisierung verbreitet wurden, gibt es weitere traditionelle Religionen. Obwohl diese zum Teil durch neuere Glaubensgemeinschaften in den Hintergrund gedrängt wurden, existieren sie bis heute. Zwar unterscheiden sich die Formen spiritueller Praktiken je nach Region, Weltbild und Religion, dennoch gibt es Ausprägungen, die sich in vielen Ländern wiederfinden. Dazu zählen unter anderem unterschiedlichste Abstufungen schwarzer und weißer Magie, Hexerei, Zauberei oder Voodoo. Religion ist in Afrika eine Selbstverständlichkeit, die sich durch die Besonderheit auszeichnet, dass beispielsweise ein gläubiger Katholik ebenfalls zu einem Hexer geht oder den Ahnen Opfer bringt.

Mehrere Glaubensrichtungen im Kongo

Dies bestätigt auch Rosam Menda aus der Demokratischen Republik Kongo. Die 30-jährige hat bis vor kurzem in Würzburg gelebt und ist aus ihrer Heimatstadt Kananga nach Deutschland geflüchtet. Sie selbst ist überzeugte Katholikin, berichtet aber von vielen Gruppen im Kongo, die an die Kraft ihrer Vorfahren oder an andere Götter glauben. „In vielen Ländern Afrikas wird bis heute noch der Ahnenkult gepflegt, wobei die verstorbenen Stammesahnen verehrt werden“, erklärt sie. Dass sie katholisch sind und regelmäßig in die Kirche gehen, schließt diesen Glauben also nicht aus. Außerdem erzählt Rosam Menda von Frauen aus dem Kongo und anderen afrikanischen Ländern, unter anderem aus Togo oder Benin, die an Voodoo glauben. Beim Voodoo geht es darum, in Trance zu gelangen und Geister sowie Gottheiten zu beschwören. „Unsere Religion ist etwas, was zu uns gehört, denn ein Mensch ohne Religion ist fast nicht möglich im Kongo. Alle Menschen glauben, egal an welchen Gott, aber sie glauben“, erklärt sie. 

Gar nicht so unähnlich

Ein Wahrsager in Kamerun beim „Krabbenorakel“ mit einer traditionellen Tonschüssel oder einem Tonkrug mit Wasser, worin eine Süßwasserkrabbe aufbewahrt ist. Der Wahrsager hebt die Süßwasserkrabbe aus dem Tonkrug, spricht zu ihr und bittet sie, ihm eine gute Antwort oder Nachricht zu geben (und legt sie anschließend wieder zurück). Foto: Zra Kodji

Unser europäisches Verständnis vieler für uns fremder religiöser und spiritueller Praktiken kann ganz andere Facetten beinhalten als auf dem afrikanischen Kontinent. Deshalb plädiert Kundri Böhmer-Bauer in diesem Zusammenhang für eine besonders reflektierte Wortwahl, da sich viele Begriffe gar nicht übersetzen lassen. Als Beispiel dafür nennt sie Hexen und Zauberer, die über ein immenses Wissen über Naturheilkräuter und deren Heilkräfte verfügen.

Egal wie fremd uns bestimmte religiöse und spirituelle Praktiken vorkommen, gibt es dennoch einige Parallelen zu Praktiken europäischer Länder, die viele Menschen kaum hinterfragen, erklärt Böhmer-Bauer. Die Esoterikmessen in München zum Beispiel, bei denen unter anderem Handleser, Tarot-Karten-Leger sowie Wahrsager anwesend sind. Was bei uns vor allem weit verbreitet ist, sind Schutzamulette und Glücksbringer, womit auch europäische Länder an magische Vorstellungen nah dran seien. Auch das Hufeisen, das mit der Öffnung nach oben aufgehängt werden soll, damit das Glück nicht herausfällt, gehört dazu. „Mir ist es wichtig, dass wir darauf schauen, was eigentlich bei uns los ist. Es gibt Parallelen, bei denen wir durchaus die Augen aufmachen sollten“, betont sie.

Der Glaube an diese Kräfte ist so stark verankert, sodass sich die Gläubigen nicht ganz davon lösen können, auch wenn sie seit Jahren in Europa leben. Dies ist auch bei vielen afrikanischen Geflüchteten in Deutschland der Fall. Laut Böhmer-Bauer sind diese Glaubensansätze in vielen Fällen tief im Menschen verwurzelt, insbesondere weil sie damit aufgewachsen sind. Das gilt für den Gesamtraum Afrikas, wo Religiosität im Leben der Menschen einen zentralen Platz einnimmt und alle Lebensbereiche durchdringt.

Religion und Krankheitsbilder

Das Wissen über den Glauben Geflüchteter aus afrikanischen Ländern, wie etwa aus Nigeria, Eritrea oder Kongo, kann vor allem für Menschen, die in Heilberufen tätig sind, essenziell wichtig sein. „Denn Symptome, die bei afrikanischen Geflüchteten nach europäischem Medizinverständnis klassifiziert werden, können nach traditionellem Verständnis sowohl anders erklärt als auch anders behandelt werden“, sagt Kundri Böhmer-Bauer. Zu berücksichtigen sei dabei, dass eine ganzheitliche Behandlung auch im Falle einer einzelnen Erkrankung üblich ist. Geflüchtete aus bestimmten afrikanischen Ländern sind angesichts ihrer Vorstellungen fest davon überzeugt, dass Krankheiten durch Hexerei oder einen Fluch übertragen wurden. Dieser kann ihrem Glauben nach nur durch einen traditionellen Heilkundigen besiegt werden.

Wenn bestimmte Informationen fehlen, kann nur begrenzt geholfen werden. Viele der Geflüchteten trauen sich nicht, bestimmte Themen anzusprechen, da sie Angst vor möglichen wertenden Reaktionen haben. Dementsprechend ist es sinnvoll herauszufinden, wie sie ein Heilkundiger oder spiritueller Experte in ihren Ländern behandeln würde. Kundri Böhmer-Bauer empfiehlt einen Perspektivwechsel und den Betroffenen bestimmte Fragen zu stellen, wenn einem der sozio-kulturelle Hintergrund fehlt. Eine Möglichkeit wäre beispielweise nachzufragen, von welchem Problemursachen der Patient ausgeht und ob er Gründe dafür nennen könnte. Außerdem könnte konkret nachgefragt werden, welche Erfahrungen der Betroffene mit diesen Erkrankungen in seiner Heimat gemacht hat. Auch die Ängste vor der Erkrankung und eine Aufklärung über die Gesamtsituation könnten sich mithilfe bestimmter Fragen herauskristallisieren. „Ich möchte, dass wir unsere Augen öffnen, denn wir haben alle viel mehr gemeinsam als das, was uns trennt“, betont Kundri Böhmer-Bauer.

Buchempfehlungen zum Thema (z.B. für Menschen, die in Heilberufen tätig sind):

  • Reiterer, Joana Adesuwa (2009), Die Wassergöttin. Wie ich den Bann des Voodoo brach. 320 Seiten, Knaur.
  • Schmid, Gary Bruno (2009), Tod durch Vorstellungskraft: Das Geheimnis psychogener Todesfälle. 406 Seiten, Springer.

Verfasst von:

Muhadj Adnan

Freie Journalistin