Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: Mai-Juni 2021

Schwerpunkt

Interessante Grauzone

Foto: Candy1812 / Adobe stock

Ich habe Sprachwissenschaft, Alte Geschichte und Italianistik studiert, Abschluss Magister Artium – und schon während des Studiums wurde ich oft gefragt: „Und was macht man damit?“ Da schon dämmerte mir, irgendetwas unterscheidet mich von all den Informatikern, BWLern und Naturwissenschaftlern.

Noch heute ernte ich oft fragende Blicke, ein müdes Achselzucken und bisweilen Unverständnis, wenn ich von meinen Studienfächern und –inhalten erzähle. „Germanistik, na gut, Du machst ja was mit Medien. Aber Geschichte? Das ist doch längst vorbei. Das braucht einen doch heute nicht mehr zu interessieren.“ – so oder so ähnlich klingt das dann. Und am liebsten würde ich jedes Mal laut losschreien, mein Gegenüber durchschütteln, in eine Vorlesung zur antiken Philosophie schleppen oder mir wenigstens die Haare raufen. Meistens versuche ich es dann doch mit Argumenten.

Immer weniger Leute verstehen, welche Relevanz Geisteswissenschaften für unsere Gesellschaft haben. Eine Gesellschaft, die das Potential jedes Einzelnen immer mehr daran bemisst, wie viel Gewinn er oder sie erwirtschaftet. Im neokapitalistischen Denken des 21. Jahrhunderts hat man mit solch exotischen Kombinationen der Studienwahl schier keinen Platz. Man lässt sich nicht einsortieren, will nicht so recht in eine Schublade passen. Und nun gut, volkswirtschaftlich gesehen bin ich vielleicht wirklich ein Verlust für diese Welt, verglichen mit einem Investmentbanker, einer Unternehmensberaterin oder einem IT-Unternehmer. 

„Das humanistische Bildungsideal geht mehr und mehr verloren“, so formuliert es Christian Beck im Interview auf Seite 24/25 dieser Ausgabe. Heute geht es darum, vordefiniertes Wissen zu erwerben, für einen möglichst raschen Einstieg in die Berufswelt. Das, was früher einmal humanistische Bildung ausgemacht hat – das Forschen, Zweifeln, Hinterfragen, Abwägen und Neudenken – bleibt dabei auf der Strecke. Das Menschenbild, das dahinter steht, wenn wir nur noch als human ressources gesehen werden, wie Siegfried Grillmeyer es im Interview nennt, darf zumindest aus christlicher Sicht mit einem dicken Fragezeichen versehen werden.

Historische Chancen

Die Corona-Pandemie ist wie ein großes Stopp-Signal. Und es wäre wirklich angebracht, darüber nachzudenken, ob wir bildungstechnisch noch auf der richtigen Spur sind. Vielleicht braucht es keinen neuen Humanismus – Weltgeschichte lässt sich sowieso nicht gezielt wiederholen – aber große Krisen erfordern große, mutige Antworten und ein entschiedenes, vorausschauendes Handeln. Nach mehr als einem Jahr Pandemie meine ich: die Zeit ist reif dafür.

Als Gesellschaft müssen wir uns darauf verständigen, wie wir künftig zusammenleben wollen. Jetzt ist die Zeit, die Stellschrauben für die Zukunft zu drehen. Wer jetzt wieder nur an die Zustimmungswerte der nächsten Wahl im Herbst denkt, verspielt eine historische Chance. Und wenn wir wirklich vorankommen wollen, dann müssen wir über das sprechen, was Bildung im 21. Jahrhundert ausmacht. Bildung und Schulwissen, das ist nicht dasselbe. Und Bildung darf nicht mit dem letzten Satzpunkt der Abschlussprüfungen enden. Bildung ist ein lebenslanger Prozess. Sie befähigt, sie lässt Menschen wachsen, hilft ihnen, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Bildung lässt uns verantwortungsvoll miteinander umgehen. Bildung ist nicht schwarz oder weiß. Grauzonen lassen sie erst interessant werden. Es geht nicht darum, immer derselben Meinung zu sein oder etwas nachzuplappern oder jemandem etwas aufzuzwingen. Bildung braucht den Dialog, gerade auch mit anderen Perspektiven, anderen Sichtweisen und Meinungen. Bildungsarbeit erzeugt Reibung – und das ist gut so. Menschen wachsen an konstruktiven Auseinandersetzungen.

Zum Schluss: Nicht jeder braucht gleich einen Doktortitel, einen Hochschulabschluss oder Abitur. Bildung ist nicht der Notendurchschnitt, der auf dem letzten Zeugnis steht. Bildung ist die Fähigkeit, sich positiv und verantwortungsvoll in unserer Gesellschaft einzubringen – und da kann sich keiner ausnehmen. 


Verfasst von:

Alexandra Hofstätter

Geschäftsführerin des Landeskomitee der Katholiken in Bayern.