Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: Mai-Juni 2021

Schwerpunkt

Manche nervt es inzwischen arg

Foto: Pat Christ

Die Digitalisierung stresst, sie kann ausgrenzen und Benachteiligungen verschärfen

Im Normalfall sitzt Alexander Kolbow, Diözesansekretär der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) in der Diözese Würzburg, in seinem Büro im Kilianshaus, um zu erledigen, was ansteht. Doch was ist dieser Tage schon normal. Auch Kolbow arbeitet inzwischen häufig von zu Hause aus: „Und zwar meist an drei Tagen in der Woche.“ So schützt sich der Geschäftsführer der KAB vor einer Ansteckung mit Covid-19.

Alleine daheim vor dem Computer zu hocken, das allerdings ist mitnichten schön, gibt Kolbow zu. Es ist anstrengend. Und es bedeutet, dass man sich neu organisieren muss. Wann legt man Pausen ein? Wann fährt man den Rechner runter? Wie ordnet man den Schreibtisch so, dass man, wie im Büro, sofort Zugriff auf alles hat? „Homeoffice“, das klingt erst mal easy. Ist es aber nicht: „Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind inzwischen vom Homeoffice und vor allem von den ständigen Videokonferenzen genervt.“ Während man früher Wege zwischen den Meetings zurücklegen „durfte“, reiht sich nun eine Konferenz an die nächste: „Nicht selten vier am Stück.“

Immer mehr wird digitalisiert und wer nicht mitmacht, wird schnell zum Outsider, wird abgehängt, bleibt auf der Strecke. Im Beruf kann man sich dem Druck kaum entziehen. Im Privatleben ist das noch mal was anderes. „Wir haben bei uns im Verband Mitglieder, die bis heute keine Mailadresse besitzen“, sagt Kolbow. Die KAB in der Würzburger Diözese akzeptiert dies: „Das ist schließlich Selbstbestimmung.“ Wer keine Mails empfangen kann, erhält wie in den „guten alten Zeiten“ Post. Doch Kolbow weiß, dass dies keineswegs überall so gehandhabt wird: „Menschen, die noch immer rein analog unterwegs sind, drohen, ausgeschlossen zu werden.“

Die KAB akzeptiert nicht nur, dass es ein legitimes Interesse an einem rein analogen Leben gibt. Sie setzt sich außerdem für „analoge Auszeiten“ von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein. „Wir wünschen einen Rechtsanspruch auf Nichterreichbarkeit“, sagt der KAB-Geschäftsführer. Dieser Wunsch wurde von Delegierten der KAB im Oktober letzten Jahres auch in Gesprächen im Bundeskanzleramt geäußert. „Digitalisierung muss dem Menschen dienen“, forderte damals Hiltrud Altenhöfer, KAB-Diözesanvorsitzende, die mit in Berlin dabei war. Heuer im Oktober soll beim KAB-Diözesantag ein Leitantrag zum Thema „Digitalisierung“ beschlossen werden.

„Man kann nicht mehr“

Burnout bleibt für Kolbow auch in der Corona-Krise eine permanente Gefahr, gleichwohl viele Menschen sagen, dass die Pandemie zur Entschleunigung geführt hätte. Dass man sich kaum noch ausklinken kann aus dem ständigen Nachrichtenstrom auf immer mehr Kanälen, gehört jedoch zu den gravierendsten Nachteilen der Digitalisierung. „Irgendwann kann man einfach nicht mehr“, sagt Kolbow. Es kommt zu psychischen, physischen oder psychosomatischen Problemen. Menschen brennen aus, weil sie überhaupt nicht mehr zu Ruhe kommen.

Das Recht auf Nichterreichbarkeit ist den KAB-Mitgliedern sehr wichtig. Foto: Pat Christ

Die Problematik ist groß, doch das ist kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Die KAB in der Diözese Würzburg begann schon vor mehr als zwei Jahren, sich mit der „Digitalisierung in der Arbeitswelt“ zu befassen. Das geschieht und das geschah zum Beispiel beim „KAB Ratschlag“ im April 2019, bei Betriebsbesichtigungen oder beim Besuch der Delegation von KAB-Mitgliedern in Berlin. Zum Abschluss des Entscheidungsfindungsprozesses sollen nun beim nächsten Diözesantag konkrete Forderungen an die Politik formuliert werden.

Dass Menschen, die sich in Sachen Digitalisierung querstellen, die also keine digitalen Medien nutzen wollen, allmählich abgehängt zu werden drohen, sieht auch Klaus-Stefan Krieger von der Caritas in Bamberg so. Ihn treibt jedoch ein noch größeres Problem um: „Familien mit niedrigem Einkommen können sich keine Rechner und keine Laptops für ihre Kinder im Homeschooling leisten.“ Die Bamberger Caritas verteilt seit einiger Zeit Geräte, die aus Spendenmitteln angeschafft oder die gespendet wurden. Über den Quartiersstützpunkt der Caritas Nürnberger Land wurden 100 Geräte an Menschen mit Behinderung, Senioren und Klienten der Allgemeinen Sozialen Beratung ausgegeben.

Stundenlang vor dem PC

Kritisch zu sehen ist für Krieger auch die ständige Jagd nach Aufmerksamkeit im Netz, die junge Menschen süchtig machen kann. Bei aller Euphorie über die Möglichkeiten der neuen Medien, die zweifellos segensreich sind, um die Gefahr einer Ansteckung mit Covid-19 zu minimieren, dürften die Gefahren eines zu hohen Medienkonsums nicht übersehen werden. „Weil Sportvereine geschlossen sind und viele andere Freizeitangebote nicht stattfinden können, sitzen etliche Kinder inzwischen stundenlang vor dem Bildschirm“, sagt er. Die Digitalisierung hat für Krieger in allen Bereichen zwei Seiten: Eine eher gute. Und eine eher schwierige. Nicht zuletzt in puncto „Inklusion“ sei das so.

Ein Mensch, der im Rollstuhl sitzt, braucht eine stufenfreie Umgebung, um nicht zusätzlich behindert zu werden. Menschen mit einer Sehbehinderung oder mit einer kognitiven Beeinträchtigung benötigen analog eine barrierefreie Internetumgebung. Doch noch überfordern viele Webseiten beeinträchtigte Menschen. „Sehbehinderte zum Beispiel scheitern bei Abfragen, durch die man bestätigen soll, dass man kein Roboter ist“, sagt Krieger. Aus sechs Bildern müssen zum Beispiel jene Fotos ausgewählt werden, auf denen eine Ampel zu sehen ist. Das schafft kein Mensch, der nur sehr wenig sieht. Und das schafft auch kein Hilfsmittel, das den Betroffenen zur Verfügung steht.

Beim Würzburger KAB-Ratschlag im März 2019 wurde intensiv über mögliche negative Entwicklungen der Digitalisierung diskutiert. Foto: Pat Christ

Viele Menschen führen ein intensives Gespräch lieber live, als stundenlang über ihr Anliegen zu chatten oder darüber per Video zu konferieren. Auch darauf reagiert die Caritas in der Erzdiözese Bamberg. Natürlich wird das Internet in den Beratungsstellen eingesetzt, so Krieger: „Doch wir bieten nach wie vor persönliche Gespräche an.“ Im Spendenprojekt „Digitale Bildung und Teilhabe“ wird zudem viel Schulungsarbeit geleistet. So gibt es, getragen vom Autismuskompetenzzentrum, Beratungen und Schulungen für Menschen mit Autismus und deren Angehörige. Der Fachdienst Migration des Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) Bamberg schult Migranten im Umgang mit PC und Internet.

Digitale Bildung und Teilhabe

Die Pandemie kann vor allem für psychisch Kranke zum riesigen Stressfaktor werden. Auch hier hilft die Caritas mit ihrem Projekt „Digitale Bildung und Teilhabe“. Die Traumafachberatung „Brücke“ in Erlangen berät psychisch Kranke und Traumatisierte auf elektronischen Wegen. Dem Agnes-Neuhaus-Heim für seelisch behinderte Erwachsene des SkF Bamberg wurden vier Endgeräte zur Verfügung gestellt, um die Bewohner fit zu machen im Umgang mit PC und Internet.

Damit Geflüchtete nicht noch stärker ins Hintertreffen geraten, werden auch in diesem Bereich mehrere Projekte unterstützt. So erhielt das Frauenprojekt „Amal“ der Caritas Coburg einen Computer, der es Migrantinnen und anderen Bezieherinnen von Transferleistungen ermöglicht, Anträge bei Behörden zu stellen. Die Allgemeine Soziale Beratung der Caritas Fürth erhielt sechs Geräte für Kinder mit Migrationshintergrund. Die werden damit beim Homeschooling und bei den Hausaufgaben unterstützt.


Titelfoto: Alexander Kolbow, Geschäftsführer der KAB in Würzburg, verbringt mehr Zeit denn je am Computerbildschirm. Die Digitalisierung darf nicht dafür sorgen, dass Menschen, die rein analog leben wollen, abgehängt werden, sagt er.


Verfasst von:

Pat Christ

Freie Autorin