Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: Januar-Februar 2022

Schwerpunkt

Ein Schlüssel für soziale Gerechtigkeit

Beitragsbild: Adobe Stock / Andrii Yalanskyi

Bezahlbar wohnen

Seit Jahren steigen die Wohnungskosten dramatisch, vor allem in Metropolregionen. Die Menschen sind davon unterschiedlich betroffen. Wer bereits ein Eigenheim besitzt, ist von den Preissteigerungen auf dem Boden- und Wohnungsmarkt weniger betroffen, sondern profitiert meist davon, über den Wertzuwachs für seine Immobilie. Nirgendwo in der EU wohnen aber weniger Menschen in den eigenen vier Wänden als in Deutschland, im Schnitt nur jeder zweite. Eine entscheidende Rolle, ob das Wohnen zu einer sozialen Frage wird, spielt das verfügbare Einkommen.

Laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung (2021) werden die Unterschiede zwischen Arm und Reich durch das Wohnen größer. Es gibt genügend reiche Leute, an die man jederzeit eine Wohnung verkaufen oder vermieten kann, während die anderen nicht wissen, wo sie bleiben. Wohnen kann arm machen, wie ein Blick auf die Mietbelastungsquote zeigt. 27 Prozent ihres Nettoeinkommens müssen Mieterinnen und Mieter in Deutschland im Durchschnitt für die Kaltmiete ausgeben. Mehr als 40 Prozent des Einkommens für die Miete auszugeben, kann armutsgefährdend sein. 2019 lebten in Deutschland 11,4 Millionen Menschen in durch ihre Wohnkosten überlasteten Haushalten. Das sind 14 Prozent der Bevölkerung.

Die Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt haben erhebliche Verteilungswirkungen. Die Wohnungsbedingungen sind nicht nur ein Spiegel bestehender Ungleichheit, sondern tragen zu einer Steigerung der Ungleichheit bei. Es steigen die Vermögen und bei Vermietungen die Einkommen jener Wohlhabenden und Wohnungskonzerne noch weiter, die in den Ballungsräumen über eine Vielzahl von Wohnungen verfügen. Zugleich machen sie dort den Erwerb von Wohneigentum für Einkommensschichten der unteren Mitte unerschwinglich und erschweren es einkommensschwachen Haushalten, sich adäquat mit Wohnraum zu versorgen.

Wohnen als Menschenrecht

Diese Diagnose zeigt, dass es ein Irrweg ist, Marktkräften zuzutrauen, unseren Lebensraum zu gestalten. Es ist ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit, in das freie Spiel der Kräfte einzugreifen. Denn der Wohnraum ist nicht einfach eine Ware. Er hat, so Papst Franziskus in der Enzyklika Laudato si´, „viel mit der Würde der Personen“ (LS 152) zu tun. Deswegen ist das Menschenrecht auf Wohnen Teil des Rechtes auf einen adäquaten Lebensstandard, das der Internationale Pakt über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte (ICESCR bzw. UN-Sozialpakt) garantiert.

Daraus folgt erstens, dass die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum eine öffentliche Aufgabe ist. Dies sollte schon aus Gründen der Marktgerechtigkeit einsichtig sein. Denn auf dem Wohnungsmarkt haben die Anbietenden eine zu große Marktmacht, zumindest in Ballungsgebieten. Dies hängt zum einen mit dem Gut des Bodens zusammen. Dieses unterscheidet sich merklich von einem „üblichen marktgängigen Gut“. „Erstens braucht jeder wohnende Mensch Boden, und zweitens ist Boden nicht beliebig vermehrbar und immobil“, so die im Frühjahr 2021 erschienene EKD-Studie „Bezahlbar wohnen“ (S. 33).  Weil zudem die Entscheidung, eine Wohnung in einer bestimmten Stadt zu suchen, durch berufliche und familiäre „Zwänge“ bestimmt ist, entfalle ein wesentliches Marktkorrektiv, das bei üblichen Gütern besteht, indem ohne großen Aufwand auf ein preisgünstigeres Produkt ausgewichen werden kann (S. 35). Wenn aber keine Marktgerechtigkeit herrscht, muss die öffentliche Hand eingreifen, auch um die Bildung übermäßiger wirtschaftlicher Macht zu verhindern. Aus diesem Grund ist es parallel zur Etablierung von Mietpreisbremsen und zur massiven Ankurbelung des sozialen Wohnungsbaus notwendig, eine „Neue Wohngemeinnützigkeit“ einzuführen – also dieses 1990 im Zuge des Skandals mit der „Neuen Heimat“ zu Grabe getragene Instrument wiederzubeleben.

Zweitens braucht es selbstbewusste Kommunen, die soziale und genossenschaftliche Wohnprojekte fördern. Kommunen können eigene Wohnungsgesellschaften gründen, Land vorausschauend erwerben und an diejenigen Bauherren verkaufen, die ein schlüssiges Konzept für eine soziale Durchmischung und günstige Mieten haben. Mit festen Quoten für den sozialen Wohnungsbau in Neubaugebieten kann vermieden werden, dass in bestimmten Stadtteilen der Anteil von sozial schlecht gestellten Bürgerinnen und Bürger unverhältnismäßig hoch ist. Wenn Baugenossenschaften und Baugemeinschaften bei der Baulandvergabe stärker zum Zuge kommen, ist sichergestellt, dass dieses unter Maßgabe einer größtmöglichen Nutzung für das Gemeinwohl veräußert wird. Darüber hinaus ist es überlegenswert, dass kommunales Bauland nicht verkauft, sondern im Rahmen von Erbpachtverträgen vergeben wird.

Drittens benötigen wir Instrumente, um der Haupttriebfeder der steigenden Wohnkosten in Ballungsräumen entgegenzuwirken: dem drastischen Anstieg der Bodenpreise. Gewinne, die aus der Spekulation mit Grund und Boden resultieren, zu besteuern, ist eine Forderung der Gerechtigkeit. Denn Bodenwertsteigerungen sind fast vollständig unverdiente Gewinne, die den Bodeneigentümern ohne eigene Leistungen allein aufgrund der gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Entwicklung der Region zufallen.

Viertens kann einer Ursache für den Anstieg der Wohnkosten entgegengewirkt werden, indem das Postulat „gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet“ (Art 72.2 GG) umgesetzt und die Attraktivität von strukturschwachen Regionen erhöht wird. Umso mehr Menschen im ländlichen Raum verbleiben oder auf das Land ziehen, umso mehr wird der Druck auf die Metropolregionen gebremst. Eigentlich müsste die nächsten 20 Jahre keine einzige neue Wohnung gebaut werden, wenn die Suche nach Wohnraum geografisch klüger verteilt wäre und der vorhandene Wohnraum effizienter genutzt werden würde. Einer einzelnen Person steht derzeit in Deutschland so viel Wohnfläche wie nie zuvor zur Verfügung. Aktuell sind es im Schnitt etwa 47 m2, 1991 waren es lediglich 31,9 m2. Bevor einfach mehr gebaut wird, bedarf es Anreize und Instrumente, den vorhandenen Wohnraum effizienter zu nutzen.

Fünftens sollte mehr Energie in die Förderung des Wohneigentums für möglichst breite Bevölkerungskreise gesteckt werden. Für etwas Eigenes verantwortlich zu sein und darauf vertrauen zu können, dass dieses Eigene auch geschützt wird, schafft für den Einzelnen langfristige Sicherheit und eröffnet Freiheitsräume. Ei­ne brei­te Ei­gen­tums­streu­ung ist zudem ge­sell­schaft­lich wün­schens­wert, denn sie ver­rin­gert die Ab­hän­gig­keit der Bür­gerinnen und Bürger von Ver­mie­tern und trägt substanziell zur in­di­vi­du­el­len Al­ters­si­che­rung bei. Dazu müsste aber vor allem das soziale System an sich beitragen. Die sozialstaatlich garantierten Leistungen und Schutzmechanismen sollten als „Sozialeigentum“ angesehen werden. Dass das Versprechen auf soziale Sicherheit im Rahmen eines erhitzten Wohnungsmarktes bis in die Mittelschicht hinein nicht mehr garantiert werden kann, ist gefährlich, weil damit das Vertrauen in das demokratische Gemeinweisen unterminiert wird. Dieser Entwicklung nicht taten- und wortlos zuzuschauen, ist ein „Zeichen der Zeit“.

Fazit

Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass in den 1960er und 1970er Jahren die Reform des Eigentums- und vor allem des Baubodenrechts maßgeblich von sozialkatholischen und -protestantischen Initiativen beeinflusst wurde. In den 1980er Jahren sind die Stimmen der Kirchen hierzu nahezu verstummt. Angesichts der drastisch steigenden Wohnungskosten werden sie mittlerweile aber wieder lauter. Beispiele sind zum einen das im Juni 2020 veröffentlichte Papier „Mehr Teilhabe und Zusammenhalt durch gleichwertige Lebensverhältnisse. Ein kirchlicher Diskussionsbeitrag“ der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der deutschen Bischöfe, zum anderen der im März 2021 publizierte EKD-Text „Bezahlbar wohnen. Anstöße zur gerechten Gestaltung des Wohnungsmarktes im Spannungsfeld sozialer, ökologischer und ökonomischer Verantwortung“. Es wird erkannt, dass es längst an der Zeit ist, die Wohnungs- und Bodenordnungspolitik in den Fokus der Aufmerksamkeit zu rücken. Im EKD-Text von 2021 wird dabei von drei Handlungsfeldern ausgegangen, die sich für die Kirchen ergeben: „Sie sehen innerhalb ihres Auftrages zur öffentlichen Verantwortung die Aufgabe der ethischen Orientierung im öffentlichen Diskurs, sie sind mit ihren Kirchengemeinden, Beratungsstellen und Einrichtungen zur Wohnungslosenhilfe sozialdiakonisch tätig und sie sind als Eigentümer von Boden und Gebäuden in der Pflicht, mit diesen Gütern ethisch verantwortlich umzugehen.“


Verfasst von:

Martin Schneider

Professor für Moraltheologie und Sozialethik an der School of Transformation und Sustainability der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt