Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: März-April 2022

Schwerpunkt

Sie helfen den Allereinsamsten

In Würzburg gibt es vorbildliche Projekte für allein lebende Seniorinnen und Senioren

Margit Friedrich hat kürzlich eine ganz besondere Qualifizierung durchlaufen: Die Vorsitzende der katholischen Hörgeschädigten-Gemeinschaft in der Diözese Würzburg ließ sich zur Alltagshelferin schulen. Ab diesem Jahr unterstützt sie gehörlose Senioren aus Würzburg, die dementiell verändert sind, in ihrem Alltag. Diese Senioren, so Margit Friedrich, leiden oft stark unter Einsamkeit.

Natürlich tun das viele Menschen mit Demenz. Doch bei Senioren, die nicht hören können, verschärft sich die Problematik. Gehörlose, und das ist der springende Punkt für Margit Friedrich, können sowieso nur mit wenigen Menschen kommunizieren. Beherrscht doch fast niemand Gebärdensprache. Auch Gehörlose mit Demenz gebärden. Aufgrund ihrer Altersverwirrung nutzen sie jedoch manchmal falsche Gebärden. „Es ist wichtig, dass man das merkt“, sagt Margit Friedrich, selbst gehörlos, in Gebärdensprache. Uta Schmitgen, Gehörlosenberaterin beim Paritätischen Wohlfahrtsverband in Würzburg, der die bayernweit einmalige Qualifizierung kreiert hat, übersetzt. „Merkt man auf diese Weise rechtzeitig, dass sich die Demenz verschlimmert, kann man gegensteuern“, sagt Friedrich.

Auf den ersten Blick scheint hier ein Randproblem vorzuliegen: Wie viele Seniorinnen und Senioren gibt es wohl, die gehörlos und zugleich demenziell verändert sind? Aus ethischer Sicht ist diese Frage jedoch nicht legitim, da es auf jeden einzelnen Menschen ankommt. Am Interesse an der neuen Schulung mangelte es auf jeden Fall nicht. Zwei Hörende sowie sechs Gehörlose absolvierten die gebärdensprachliche Qualifizierung bis Ende 2021. Seitdem können sie von Sozialstationen der Caritas in Stadt und Kreis Würzburg angefragt werden. Die Anzahl der Besuche richtet sich nach dem individuellen Bedarf. Manchmal genügt ein Besuch in der Woche. Es wären aber auch tägliche Besuche möglich.

Ein Alltagshelfer muss nicht ganz umsonst seine Freizeit opfern. Die Einsätze werden mit einer Aufwandsentschädigung entlohnt. Die ist als Anerkennung wichtig, denn bei der Alltagshilfe für einsame Demente ohne Hörsinn handelt es sich um ein höchst anspruchsvolles Ehrenamt. Ungeachtet der Aufwandsentschädigung ist eine gehörige Portion Idealismus nötig. Margit Friedrich bringt diesen Idealismus in hohem Maße mit. Sie, die auch dem Gehörlosenverein in Schweinfurt vorsitzt, tut gerade in der Coronakrise viel für gehörlose Seniorinnen und Senioren, die isoliert in ihrer Wohnung sitzen. Sie besucht sie. Oder geht für sie einkaufen.

Leichte Gebärdensprache

Margit Friedrich nahm an der Schulung für Alltagshelfer teil, weil sie weiß, wie stark dementiell veränderte Senioren, die nicht hören können, unter Isolation leiden. Irgendwann, sagt sie, können sie nicht einmal mehr via Gebärdensprache Kontakt aufnehmen. In der Helferschulung lernte die 57-Jährige, auf non-verbale Weise zu kommunizieren: „Man kann aus Mimik und Gestik viel ablesen.“ Bewusst wurde der Schweinfurterin außerdem, wie wichtig es ist, mit diesen sehr speziellen Gehörlosen in „Leichter Gebärdensprache“ zu kommunizieren.

Weil sich Einsamkeit extrem negativ auswirken kann, ist das Inklusionsprojekt des Paritätischen Wohlfahrtsevrbandes so wichtig. „Wir haben die große Hoffnung, dass der Einsatz der Alltagshelfer ein zu rasches Voranschreiten der Demenz verhindert“, sagt Uta Schmitgen. Nicht einfach ist es in der Corona-Krise, das neue Angebot bekannt zu machen. Margit Friedrich und Uta Schmitgen rühren fleißig die Werbetrommel. Immerhin schafften sie es, dass vor kurzem in der Deutschen Gehörlosenzeitung über die drei Jahre lang mit großem Aufwand vorbereitete Schulung, die vermutlich deutschlandweit Ihresgleichen sucht, berichtet wurde.

Christina Moczynski

Das Thema „Einsamkeit“ ist spätestens seit der Corona-Krise nicht mehr tabu. Das bestätigt Christina Moczynski, Senioren-Bildungsreferentin im Generationen-Zentrum Matthias Ehrenfried, einem Haus der Katholischen Erwachsenenbildung (KEB) in Würzburg. Christina Moczynski erfuhr in den vergangenen Monaten von bewegenden Einsamkeitserfahrungen. Als sich zum Beispiel die Gedächtnistrainingsgruppe wieder traf, schilderten Senioren, was sie im Lockdown erlebt hatten. „So einsam wie ich war garantiert niemand von euch“, meinte eine Seniorin aus dem Betreuten Wohnen, die sieben Wochen quasi in ihrem kleinen Apartment „eingesperrt“ war.

Café Lebenslust

Das Interesse an den Angeboten des Würzburger Zentrums hat merkbar zugenommen. Auch dies zeigt, wie viele Menschen im Moment einsam sind. Am 6. Juni 2021 durfte das „Café Lebenslust“ des Matthias-Ehrenfried-Hauses mit seinen Spielgruppen endlich wieder starten. Immerhin fünf Monate lang trafen sich Menschen unterschiedlicher Generationen, um miteinander Karten oder Schach zu spielen. „Leider mussten wir diesen offenen Treff am 29. November 2021 wieder schließen“, so Moczynski. Die Corona-Krise forderte neuerlich ihren Tribut. Als Ersatz wurde ein „Erzählcafé gegen Einsamkeit“ etabliert: „Auf Distanz kommen wir hier miteinander ins Gespräch.“

Wenn es die Situation erlaubt, kommen Senioren im Generationenzentrum Würzburg zusammen, um miteinander Karten zu spielen.

Auch wenn man am Erzählcafé nicht mehr so umstandslos teilnehmen kann wie am offenen Treff mit seinen freien Bewegungsmöglichkeiten, wird das neue Angebot geschätzt. Die Seniorinnen und Senioren sitzen nun um einen breiten Tischblock in größerem Abstand voneinander. Zwei Stunden lang wird erzählt, außerdem bieten die Organisatorinnen Spiele wie „Stadt Land Fluss“ an. „Wir nehmen es sehr ernst, dass wir es mit einer gefährdeten Gruppe zu tun haben, dennoch wollen wir vermeiden, dass ohnehin einsame Senioren noch stärker vereinsamen“, erklärt Christina Moczynski.

Gerade ältere Menschen sind lernwillig und lechzen danach, neue Einsichten zu gewinnen. Diese Tatsache wird heute oft noch immer ignoriert. Im Generationenzentrum weiß man um diese Wissbegier. Und versucht alles, um auch in Corona-Zeiten entsprechende Angebote zu unterbreiten. „Wir bemühen uns zum Beispiel sehr darum, ältere Menschen an digitale Medien heranzuführen“, so Christina Moczynski. Wer nicht versteht, wie sein Smartphone oder Laptop funktioniert, kann sich mit seinen Problemen an ehrenamtlich tätige Schülerinnen und Schüler wenden. Es ist sogar möglich, für sechs Wochen ein Tablet zu entleihen, um sich mit dem Gerät vertraut zu machen.

Ein Projekt gegen Einsamkeit ist dann zum Scheitern verurteilt, wenn man zu „groß“ denkt, sagt Christina Moczynski im Rückblick auf die vergangenen Monate in Bezug auf Pfarrgemeinden, die sich fragen, was sie denn tun könnten, um Einsamkeit zu lindern. „Ein Angebot ist auch dann gut und wichtig, wenn nur fünf Senioren kommen“, so die Bildungsreferentin. Das ist sogar besser, als würden 30 ältere Menschen zusammenströmen. Denn nur in kleinen Gruppen kann man sich wirklich kennenlernen. Kann man etwas voneinander erfahren. Kann man sich intensiv austauschen – und im besten Fall neue Freunde gewinnen.

Fotos: Pat Christ

Titelfoto: Uta Schmitgen, Gehörlosenberaterin in Unterfranken, kreierte eine Helferschulung für gehörlose Senioren, die dementiell verändert und sehr einsam sind.


Verfasst von:

Pat Christ

Freie Autorin