Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: September-Oktober 2022

Schwerpunkt

Im Grunde gut

Grafik: Olga Moonlight / Adobe stock

Zwölf Leitsätze zur Macht

Seit einigen Jahren ist in der Kirche die Macht zum Thema geworden – leider meist negativ, weil der häufige Machtmissbrauch so schmerzhaft offenbar wurde. Es gibt geistlichen Machtmissbrauch, aber auch solchen in Arbeitsverhältnissen wie etwa Mobbing, und es gibt sexualisierte Gewalt, die im Grunde auch Missbrauch anvertrauter Macht ist. Ist Macht gut oder böse? Braucht man sie in Führungsaufgaben? Kann man mit ihr – jenseits allen Missbrauchs – gut umgehen? Was ist Macht überhaupt?

Der Soziologe Max Weber definiert Macht als: „Jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel, worauf diese Chance beruht“; das ist die soziologische und, wenn man so will, hierarchische, ja monarchische Auffassung von Macht – gibt es in der katholischen Kirche recht viel. Die Philosophin Hannah Arendt sagt hingegen: „Macht entspringt der menschlichen Fähigkeit, nicht nur zu handeln oder etwas zu tun, sondern sich mit anderen zusammenzuschließen und im Einvernehmen mit ihnen zu handeln“. Das ist eher gemeinschaftlich, synodal – wird in der katholischen Kirche gerade wieder mehr entdeckt. Wie dem auch sei: Macht bedeutet, dass eine oder mehrere Personen agieren, bestimmen, gestalten, sich durchsetzen…, manchmal gegen den Willen anderer. Macht kann missbraucht werden, sei es von einem Einzelnen, der seine Interessen auf Kosten anderer durchsetzt und diese eventuell schädigt, sei es von einer Gruppe, die ganz ähnlich, nur eben gruppenegoistisch vorgeht. Kann oder soll man Macht ganz abschaffen? Aber irgendwie braucht es doch auch Macht, um zu führen!?

Wer mit offenen Augen durch die Welt geht, wird entdecken: Macht ist überall, in allen sozialen Gefügen, in der Gesellschaft, im Staat, in Unternehmen, in der Kirche, in Familien. Wir Menschen sind wohl so konstruiert – und von Gott geschaffen! –, dass einige anderen überlegen sind und sie daher leiten, und das zum Guten oder zum Bösen. Ich bin überzeugt: Macht gehört zur göttlichen Schöpfungsordnung und ist im Grunde gut. Zwar trägt sie die Versuchung zum Missbrauch immer oder fast immer in sich, aber wir Menschen sind gehalten, unsere Macht gut, das heißt verantwortlich, zu gebrauchen, zum Wohl derer, die uns anvertraut sind. In knapper Form möchte ich mit einigen Leitlinien dazu anregen, Macht auch geistlich zu reflektieren und gut auszuüben:

(1) Macht bejahen: Nehmen Sie Ihre Macht an und üben Sie sie aus. Sie ist ein gutes Mittel, um Gutes zu tun. Sagen Sie Ja zur Welt. Je mehr Macht Sie haben, desto mehr haben Sie Verantwortung für das Gute. Üben Sie Ihre Macht mit Mut und Vertrauen aus, mit Freude und Dank, aber auch mit Achtsamkeit und Respekt, mit Sorge und Furcht. Tun Sie für andere, was nötig und Ihnen möglich ist: nicht mehr – Sie würden sich und andere überfordern –, aber auch nicht weniger – Sie würden Ihrer Verantwortung nicht gerecht werden.

(2) Zielen dienen: Überlegen Sie, welchen Zielen und Werten Ihr Handeln dient. Läutern Sie diese auf das Gute und Gerechte hin. Richten Sie Ihre Entscheidungen an den Zielen aus. Prüfen Sie nüchtern und ehrlich Ihre Motive. Mühen Sie sich um lautere Absicht. Stehen Sie zu Ihren Überzeugungen, auch wenn diese Ihrem Fortkommen schaden. Nachhaltigkeit ist wichtiger als schneller Erfolg.

(3) Kommunikation üben: Binden Sie die Ihnen anvertrauten Menschen in Entscheidungen ein. Suchen Sie das direkte und ehrliche Gespräch. Versuchen Sie, die Aussagen Ihrer Untergebenen eher zu retten, als zu verurteilen. Behandeln Sie sie mit Respekt und Wohlwollen. Sie können nicht immer alles sagen, aber was Sie sagen, soll wahr sein. Versuchen Sie nicht, es immer allen recht zu machen.

(4) Untergebene einbinden: Versuchen Sie, transparent und im Konsens mit den Betroffenen zu entscheiden. Delegieren Sie, was möglich ist. Motivieren Sie Ihre Untergebenen zum gemeinsamen Handeln. Unpopuläre und schmerzhafte Entscheidungen sollten Sie, soweit irgend möglich, zu vermitteln suchen.

(5) Interessen wägen: Prüfen Sie regelmäßig, welchen Interessen Sie dienen: eigenen oder fremden, lauteren oder egoistischen, materiellen oder geistigen, denen der Institutionen oder denen der Menschen. Orientieren Sie die Interessen auf das Wohl aller hin. Lernen Sie Ihre Schwächen kennen und suchen Sie Mittel, diese auszugleichen.

(6) Beziehungen gestalten: Suchen Sie zu den Ihnen Anvertrauten sowohl Nähe und Vertrauen als auch Distanz und Sachlichkeit. Wägen Sie gut ab, mit wem und wie Sie Freund sein können. Lernen Sie Ihre Rolle kennen; nutzen Sie deren Chancen, aber akzeptieren Sie auch deren Grenzen. Nutzen Sie Beziehungen, aber nicht egoistisch, sondern für das Wohl aller. Verbinden Sie Strenge und Milde je nach der Person, nach den Umständen und nach den Zielen. Tun Sie alles mit Liebe.

(7) Leiden erdulden: Versuchen Sie, Übertragungen zu durchschauen und adäquat zu reagieren. Nehmen Sie Kritik nicht zu persönlich. Ertragen Sie die Unreife anderer, aber auch Ihre eigene. Lassen Sie sich nicht von Ungeordnetem und Chaotischem hinreißen. Halten Sie die Einsamkeit des Mächtigen aus und füllen Sie sie kreativ. Legen Sie öfter Ihr Machtgewand ab und pflegen Sie ein ausgleichendes Privatleben.

(8) Wirklichkeit anerkennen: Seien Sie gehorsam gegenüber der Realität. Akzeptieren Sie Ihre Welt, wie sie ist, nicht, wie Sie sie haben möchten. Arbeiten Sie mit den Menschen, die Sie haben, nicht mit Ihren Wunschpartnern. Seien Sie nüchtern und demütig, und nehmen Sie sich nicht so wichtig.

(9) Angst bewältigen: Lernen Sie Ihre Ängste kennen: vor Verlust und vor Untergang, vor Konkurrenz und vor Verachtung. Distanzieren Sie sich von den Ängsten und lernen Sie zu beurteilen, welche unbegründet, welche hingegen Indizien für Überforderung und Gefahr sind. Geben Sie Ihren Ängsten nicht zu schnell nach, fassen Sie realistisch Vertrauen und Mut.

(10) Hilfe suchen: Lassen Sie sich gut beraten, durch gute Freundinnen und Freunde ehrliches Feedback geben, durch kompetente Fachleute kritisch begleiten und durch begabte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tatkräftig helfen. Gute Beraterinnen und Berater sind solche, die nicht von Ihnen abhängen und somit frei urteilen. Nehmen Sie keine Aufgabe an, die Sie psychisch oder physisch überfordert.

(11) Barmherzig sein: Seien Sie nachsichtig mit sich und mit anderen und verzeihen Sie großzügig. Sie brauchen nicht perfekt zu sein. Gott ist immer viel barmherziger, als wir uns das vorstellen. Stehen Sie am rechten Ort und in rechter Weise zu Ihren Fehlern, nötigenfalls auch öffentlich. Gott verlangt von Ihnen nicht mehr als Sie können, daher hat auch kein anderer das Recht, Sie zu überfordern.

(12) Gott die Ehre geben: Suchen Sie nicht Ihre, sondern Gottes Ehre. Die Ehre Gottes besteht in Recht und Friede, in lebendigen und frohen Menschen, in Liebe und Eintracht aller. Nutzen Sie sowohl alle menschlichen als auch alle göttlichen Mittel; diese sind Vertrauen und Hoffnung, Glaube und Gebet. 

Buchtipp

Kiechle, Stefan (2019), Achtsam und wirksam. Führen aus dem Geist der Jesuiten. 176 Seiten, gebundene Ausgabe, Herder Verlag, 20 Euro.


Verfasst von:

Stefan Kiechle SJ

Chefredakteur "Stimmen der Zeit"