Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: November-Dezember 2022

Schwerpunkt

„Nicht nur für den heiligen Rest“

Foto: Pat Christ

Gros des Synodalforums „Priesterliche Existenz heute“ ist für deutliche Veränderungen

Sie haben in den vergangenen zwei Jahren ganz schön geackert, die 35 Mitglieder des Synodalforums „Priesterliche Existenz heute“. Das verwundert nicht, ging es doch thematisch um äußerst heiße Eisen. Braucht es Priester überhaupt noch? Sollten Priester heiraten dürfen? Sollten auch Frauen die Weihe erhalten können? Matthias Leineweber, Priester aus Würzburg, bejaht alle drei Fragen. Das Gros des Forums, sagt er, sei für einen freiwilligen Zölibat und für Priesterinnen.

Die Diskussionen im Forum wurden gegen Ende hin von der Tatsache überschattet, dass die Basis der Kirche, also die Christinnen und Christen, allmählich wegzubrechen droht: Der jüngsten Kirchenstatistik zufolge traten 2021 neuerlich Tausende Menschen aus. Das macht auch Matthias Leineweber zu schaffen: „Der 27. Juni, an dem die Kirchenstatistik veröffentlicht wurde, war beileibe kein Jubeltag.“ Umso drängender stellt sich für ihn die Frage, wie sich die Kirche verändern und wohin sie sich entwickeln müsse, damit sie wieder für die Katholikinnen und Katholiken von Bedeutung ist.

Matthias Leineweber steht mit vielen Menschen in enger Verbindung. Er begleitet Gefangene. Erteilt in der Würzburger Ursulinenschule Religionsunterricht. Und er engagiert sich stark in der Gemeinschaft Sant’Egidio, wodurch er ständig sehr arme, sehr einsame sowie aus anderen Ländern nach Deutschland geflüchtete Menschen trifft. Sein vielfältiges pastorales Engagement macht den promovierten Priester zu einem sehr offenen Menschen. Nach seiner Ansicht sollte man Frauen eine Ordination für den Leitungsdienst nicht länger vorenthalten. Und jeder Priester, sagt er, sollte frei entscheiden dürfen, ob er heiratet. Oder nicht.

Der Ruf der Laien nach grundlegenden Reformen in der Kirche wird von Monat zu Monat lauter. Foto: Pat Christ

Selbst wenn die im Forum ausgearbeiteten Vorschläge zur Frauenordination und zum freiwilligen Zölibat von der Synodalversammlung angenommen würden, wird es mit der Übertragung in die Praxis sicherlich noch dauern. Matthias Leineweber hofft, dass ein längerer Umsetzungsprozess, so die Vorschläge überhaupt auf Gegenliebe stoßen werden, nicht prinzipiell zu einer Lähmung führen wird. Eine tatkräftige Kirche wird dieser Tage dringender denn je gebraucht, meint der Priester, dem es sehr zu schaffen macht, dass es so vielen Menschen in unserem krisengeschüttelten Land inzwischen richtig schlecht geht. Viele Leute vereinsamten. Immer mehr verarmten.

Gleiche unter Gleichen

Die Kirche ist für Matthias Leineweber jene weltumspannende Instanz, die dafür sorgen müsste und die dafür zu sorgen hätte, dass es allen Erdenbewohnern gut geht. „Wir sind dieser Tage, an denen von Triage die Rede ist, vor allem gefordert, ältere und schwächere Menschen zu verteidigen“, betont er. Matthias Leineweber wünscht sich vor diesem Hintergrund Priester, die als Gleiche unter Gleichen und stets auf Augenhöhe mit den Laien in den Gemeinden daran arbeiten, dass die derzeit wirre Welt wieder zu einem menschenfreundlichen Ort wird.

Eine fundamentale Frage ist für ihn, was bisher am Priesterbild nicht in Ordnung war, sodass derart schreckliche Taten wie Kindesmissbrauch passieren konnten. Als Mitglied des Synodalforums II setzt er sich dafür ein, dass es in Zukunft keine, wie er es nennt, „Überhöhung des priesterlichen Dienstes“ mehr gibt: „Wir müssen wegkommen von der priesterzentrierten Kirche.“ Wichtig ist für den Theologen außerdem, dass man einen guten Umgang miteinander in den neuen Pastoralen Räumen findet. „Neben den Fragen rund um die Frauenordination und den Zölibat gibt es viele andere Punkte, an denen wir jetzt unbedingt weiterarbeiten müssen“, unterstreicht er.

„Kirche für alle“

Frauen begnügen sich nicht länger damit, für Blumenschmuck in der Kirche zu sorgen und Kinder auf die Kommunion vorzubereiten. Sie wollen in Zukunft Leitungsverantwortung übernehmen. Foto: Pat Christ

Sind im weltlichen Bereich viele Menschen extrem unzufrieden, können sie demonstrieren oder gar in einen Generalstreik treten. Aus dem Staat „auszutreten“, das geht nicht. Man kann allenfalls auswandern. Und alles aufgeben, was man sich aufgebaut hat. Die Kirche bietet hier ganz andere „Chancen“: Auszutreten ist kinderleicht. Darum geschieht es gerade reichlich. „Und zwar deshalb, weil die Kirche für die Menschen keine Wichtigkeit mehr hat“, sagt Astrid Franssen, Gleichstellungsbeauftragte im Bistum Bamberg. Im Synodalforum II kämpft sie nicht zuletzt dafür, dass die Kirche ihre Bedeutung zurückgewinnt.

Astrid Franssen wünscht sich Segensfeiern für homosexuelle Männer und Frauen. Sie setzt sich dafür ein, dass es künftig Priesterinnen, Bischöfinnen und Päpstinnen geben kann. Und sie plädiert für die Aufhebung des Pflichtzölibats. „Ich möchte eine Kirche für alle, und nicht nur eine für den heiligen Rest“, unterstreicht sie. Viel zu stark habe sich die Kirche von der Lebenssituation der Menschen abgewandt. Das sähen immer mehr Christinnen und Christen so. Astrid Franssen teilt im Übrigen Matthias Leinewebers Einschätzung, dass es im Synodalforum II eine „ganz große Mehrheit“ für die Frauenordination und die Abschaffung des Pflichtzölibats gibt.

In der Corona-Krise hat die Kirche gezeigt, dass sie im Internetzeitalter angekommen ist. In anderer Hinsicht allerdings ist sie nach wie vor noch nicht „up to date“. Etwa, was die Gleichstellung von Mann und Frau anbelangt. Hier erwartet Astrid Franssen weiterhin keine rasche Wende: „Vorstellen könnte ich mir nur, dass beim Diakonat der Frau etwas passiert.“ Außerdem hält es die Pädagogin für möglich, dass die strenge Pflicht zum zölibatären Leben zumindest in Ausnahmefällen aufgehoben wird: „Also, wenn sich ein Priester verliebt.“ Ansonsten glaubt sie nicht, dass man weltkirchlich schon so weit ist, den Zölibat abzuschaffen.

Matthias Leineweber und Astrid Franssen verbindet viel, nicht zuletzt haben sie gemeinsam, dass sie einen Beitrag zur Prävention von sexuellem Missbrauch leisten wollen. „Mit diesem Thema habe ich mein ganzes Berufsleben lang zu tun gehabt“, erklärt die Pädagogin, die früher in der Mädchenarbeit tätig war. Der Nimbus des Priesters und das „Männerbündische“ in klerikalen Kreisen hätten es in der Vergangenheit so schwer gemacht, angemessen mit angezeigten Missbrauchsfällen umzugehen. Daran habe sich inzwischen zum Glück etwas geändert.

Missbrauch verhindern

Die Krux beim Thema „Missbrauch“ ist für Astrid Franssen aber nicht nur der Nimbus, der Priestern bis heute anhaftet. Missbrauchsfälle können nach ihrer Ansicht deshalb nicht allein dadurch verhindert werden, dass Priester heiraten dürfen. Die Bambergerin plädiert für gute Rahmenbedingungen, um zu verhindern, dass sich Priester an Kindern vergreifen. Priestern, die auffällig geworden sind, könnte man zum Beispiel jemanden an die Seite stellen, der den weiteren Lebensweg des Geistlichen überprüft. Dies würde es unwahrscheinlicher machen, dass es nach einem Umzug innerhalb einer Diözese neuerlich zu Taten kommt.

Für Astrid Franssen lohnt es auf jeden Fall die Mühe, den Synodalen Weg zu beschreiten. Der Prozess hat für sie eine völlig andere Qualität als etwa das Würzburger Dialogprojekt „Unternehmen Reißverschluss“ oder der wenig später initiierte Pastorale Dialog unter dem Motto „Wir sind Kirche – Wege suchen im Gespräch“. Der Synodale Weg knüpfe an die Würzburger Synode an, meint sie. Gespannt dürfe man sein, was beim geplanten weltweiten Synodalen Prozess herauskommen wird. Und auf welche Resonanz am Ende das, was in Deutschland erarbeitet wurde, weltweit bei Bischöfen stößt.


Titelfoto: Er hat engen Kontakt zu Menschen in Ausnahmesituationen: Der Würzburger Priester Matthias Leineweber stieg vor zehn Jahren in die Gefängnisseelsorge ein.


Verfasst von:

Pat Christ

Freie Autorin