Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: März-April 2023

Schwerpunkt

Mehr Beziehung wagen

Foto: NOMAD_SOUL / Adobe stock

Wie drängend die Frage nach der Beziehungsethik auf der theologischen Agenda steht, hat die Nicht-Verabschiedung des Textes zum Thema „Sexualmoral“ auf dem Synodalen Weg im September 2022 gezeigt. Der Grundtext scheiterte an der Zweidrittelmehrheit der deutschen (Weih-)Bischöfe. Mag man über die Gründe öffentlich oder intern diskutieren und spekulieren, Fakt ist, dass das Thema der Sexualmoral und der Beziehungen wieder neu auf der Agenda des gemeinsamen Nachdenkens zwischen Lehramt und Theologie stehen muss.

Die Bezeichnung „Beziehungsethik“ klingt erst einmal sehr nach unterschiedlichen Beziehungen. Sei es die Beziehung zur Umwelt, sei es die Beziehung zu Gott oder auch diejenige zum Nächsten. Im moraltheologischen Fachdiskurs verbirgt sich hinter der Bereichsethik „Beziehungsethik“ eine Entwicklung der Sexualmoral. Das heißt: es geht im Grund um die Liebesbeziehung zwischen zwei Menschen, sei es gleich- oder andersgeschlechtlich. Für Moraltheologen wie Martin Lintner aus Brixen ist die Qualität der Beziehung ein wichtiges Kriterium der Beurteilung von Beziehungsformen. Stehen die Partnerinnen und Partner auf Augenhöhe zueinander? Wird eine Kultur des gerechten Aufteilens vieler diverser Aufgaben in einer Beziehung (wie auch Familie) gepflegt? Wird die Beziehung als eingebettet in eine größere Gemeinschaft wie der Kirchengemeinde angelegt? Was sicherlich auffällt, ist, dass die Beziehungsqualität oft eher weniger von außen beurteilt werden kann, sondern das subjektive Empfinden der Partnerinnen und Partnern einen größeren Ausschlag hat in dieser Formatierung.

Vielfältige Beziehungsformen

Die Beziehungsethik ergänzt nun die lange vorherrschende Sexualmoral, die entlang des sechsten Gebotes alle Feinheiten des Ehelebens beurteilte. Manche würden auch von Ablösung sprechen, aber dies wird dem vielstimmigen katholischen Diskurs in diesen Fragen nicht gerecht. Festgehalten werden kann aber, dass die Sexualmoral eher vornehmlich den sexuellen Akt betrachtet (hat) und auch die Verknüpfung zum Ideal der sakramentalen Ehe fokussierte, wohingegen die Beziehungsethik auf der Ebene der vielfältigen Beziehungsformen ansetzt. Sexuelle Akte sind damit ein Element der jeweiligen Beziehungsform und die Ehe wird mitunter als Ideal angesehen, aber nicht verabsolutiert. Nicht zu Unrecht wird deswegen der Vorwurf laut, dass die Grenzziehung des Betrachtungsgegenstandes ausarten kann. Der Trierer Moraltheologe Johannes Brantl fragt beispielsweise nach der Beurteilung der Polyamorie, der Vielliebe. 

Deswegen widmen sich nicht wenige Moraltheologinnen und Moraltheologen heute dem Versuch, dieses offene Konzept einer Beziehungsethik mit Inhalt zu füllen. Die einen sehen den Rahmen der Ehe als Ideal an, die anderen gehen zwar von einer Paarbeziehung aus, aber nehmen alle partnerschaftlichen Lebensformen mit hinein. Ebenso die Frage der Grenzziehung in normativen Fragen ist ein weites Feld: Vom Festhalten an der Treue bis hin zum frei aushandelbaren informed consent in einer Beziehung. Das mag nun auf den ersten Blick etwas vage klingen, jedoch sind so manche Moraltheologinnen und Moraltheologen auch noch am Ausloten auf diesem Gebiet, war es doch sehr lange nicht erlaubt, in solchen Fragen überhaupt einen Beurteilungsspielraum – wie beispielsweise Kriterien für eine voreheliche Beziehung – vom Lehramt (vgl. Amoris laetitia) zu haben. Diese lange Sprachlosigkeit wurde erst im vergangenen Jahrzehnt wieder durch mehr Diskurs und Publikationen abgelöst. Aufwind hat die Debatte auch durch die zwei Bischofssynoden 2014 und 2015 sowie das Schreiben Amoris laetitia, die Freude an der Liebe, von Papst Franziskus bekommen.

Hierin gibt es einige gravierende Richtungsänderungen: Es werden weniger Normen in Erinnerung gerufen, sondern Tugenden in Beziehungen angemahnt (wie beispielsweise jene der Zärtlichkeit). Die Ehe wird als Ziel auf einem längeren Prozess von Papst Franziskus kommuniziert und weniger als das nur von Wenigen erreichbare Ideal. Es geht nicht um eine Verbots-, sondern um eine Gelingensperspektive. Aufgabe der Moraltheologie ist es, zu eruieren, wie die Partnerinnen und Partner zu einem gelingenden Miteinander befähigt werden können.

…und die Treue?

Die lehramtlichen Impulse aufnehmend, möchte ich diesen beziehungsethischen Ansatz an einem Beispiel verdeutlichen, nämlich das schon immer geltende Erfordernis der Treue als ein Wesensmerkmal des Sakraments der Ehe. Schon beim Kirchenvater Augustinus im 4. Jahrhundert galt die Treue als Wesensmerkmal für eine kirchlich geschlossene Ehe, wenn auch nur als ein sekundäres. Aber wo beginnt Untreue bzw. wo endet Treue? Bereits in Gedanken oder auch schon in Worten oder erst durch Handlungen? Hier sind die Grenzziehungen nicht immer so einfach.

Besser wäre es, Treue als eine Tugend zu begreifen, eine Haltung, an der immer wieder neu gearbeitet werden muss. Haltungen müssen von jeder Person selbst ausgeprägt werden und fallen nicht einfach zu. Für die Treue heißt dies, dem Partner, der Partnerin, der/die Treue versprochen wurde, diese als sinnstiftend immer wieder neu zu entdecken. Dabei geht es auch darum, dem Partner oder der Partnerin in den verschiedenen Phasen der Gemeinschaft den gebührenden Platz einzuräumen. Die Haltung der Treue ist also Arbeit, im besten Sinne Beziehungsarbeit.

Vieldimensionalität

Mit dem Fokus auf die Beziehungsethik geht eine Perspektivenverschiebung auf die Sexualität mit einher. Sexualität wird in ihrer Vieldimensionalität (Lust, Beziehung, Identität und Nachkommen) wahrgenommen und nicht mehr rein auf die Frage nach der biologischen Nachkommenschaft enggeführt. Auch kann eine Grundlinie der Bibel, die Sexualität als positives Gut kennzeichnet (neben vielen Stellen von sexualisierter Gewalt), damit prominent aufgenommen werden. Verschiedene Kirchenväter und Kirchenlehrer hatten eine eher sexualpessimistische Sicht, die bis ins Heute reicht bzw. in die Beichtstühle unserer Großelterngeneration.

Die Neuansätze in diesem Bereich haben in den Querelen um den Synodalen Weg einen wahrhaftigen Dämpfer erfahren. Schnell wurden Frontstellungen daraus. Dabei sollte aber das Ziel, den Menschen in seinem Gelingen in einer Paarbeziehung zu unterstützen, nicht aus den Augen verloren werden.

Anregungen

Beziehungsqualität heißt Beziehungsarbeit und braucht Formen. Die Beziehungsethik lehrt außerdem, dass niemand eine Insel ist und es neben dieser Paar- bzw. Familienbeziehung auch andere Beziehungen, also ein weiteres soziales Netz, braucht.

Dieser Gedanke könnte in den kirchlichen Gemeinden wieder verstärkt aufgegriffen werden:

  • Ehepartnerinnen und Ehepartner zu Beginn einer kirchlich geschlossenen Ehe einführen. Um den Wegcharakter auch in der Ehe umzusetzen, kann die Möglichkeit von Ehepatenschaften eingeräumt werden. Schon länger glücklich verheiratete Paare begleiten die jüngeren auf den ersten Schritten einer kirchlich geschlossenen Ehe oder wenn in Zeiten der möglichen Kinder Probleme in der Paarbeziehung auftreten usw.
  • Ehe- und Familienkreise in den Kirchengemeinden gründen. Hier könnte sich in der peer-group zu gemeinsamen Themen ausgetauscht werden.
  • Kirchliche Feier von Ehefesten über die klassischen Feste (Silberhochzeit usw.) hinaus.

Vieles davon wird schon umgesetzt, anderes sollte noch einmal neu gedacht und in den Pfarrgemeinden ausprobiert werden.


Verfasst von:

Kerstin Schlögl-Flierl

Professorin für Moraltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg und Mitglied des Deutschen Ethikrates