Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: März-April 2024

Schwerpunkt

Heim zu Gott

Bergpilgern: Verloren an der Ödkarspitze, doch irgendwo summt ein Lied des Lobpreises. Foto: Joachim Burghardt

Ein Pilgerweg ähnelt manchmal einer Heldenreise. Der Protagonist einer Geschichte genießt die Behaglichkeit seiner Umgebung mit allen Vorzügen, bis ihn etwas herausreißt – ein Ereignis, eine Erfahrung. Er macht sich auf den Weg, der ihn bis zur Erschöpfung treibt. Doch am Ende steht die Belohnung.

Ein Dach über dem Kopf haben. Bequem auf der Couch sitzen. Die Behaglichkeit einer warmen Stube genießen. Das klingt schön, nicht wahr? Sich immer aus dem vollen Kühlschrank bedienen können. Mit dem Auto jederzeit irgendwohin fahren können, nicht zu Fuß bei Schlechtwetter unterwegs sein müssen. Sind Sie immer noch dabei? Gegen alles Mögliche abgesichert sein. Vorgesorgt haben. Beruflich erfolgreich sein. Jemand sein, der alles geregelt kriegt. Jemand sein, der weiß, wie Erfolg geht – in Beruf, Partnerschaft und Familie. Mein Haus, mein Auto, meine Vorzeigekinder …

Kommen Ihnen erste Zweifel? Gut so, lassen Sie uns das vertiefen. Dazu vorneweg eine Klarstellung: Dies soll keine grundsätzliche Polemik gegen bürgerliche Lebensformen sein. An der warmen Stube ist nichts einzuwenden, ebenso wenig wie am ambitioniert vorangetriebenen Lebenslauf. Sogar ein Auto ist nicht per se böse. Aber, und das ist ein großes Aber: In dieser Aufzählung bourgoiser Hab- und Glückseligkeiten klafft eine Leerstelle. Hier fehlt etwas Grundlegendes – haben Sie es bemerkt?

Nähern wir uns der Sache einmal von anderer Seite her an. Es ist Sommer, ich wandere allein durchs Hochgebirge. Der Aufstieg ist äußerst anstrengend, keine Seilbahn und kein Geländewagen unterstützt mich dabei. Dann streife ich über eine karge Hochfläche, wandle durch eine Welt aus Fels und Geröll und muss mich zusammenreißen, dass ich vor Erschöpfung nicht ins Taumeln gerate. Um mich herum: so weit ich sehen kann, keine Menschenseele. Noch nicht mal eine alte Hütte oder ein angelegter Weg. Nur Wildnis. Eine Wildnis, die vor hundert oder tausend Jahren schon genauso ausgesehen haben könnte. Darüber: der Himmel.

Mein großer 4K-Flachbildschirm ist gerade unendlich weit weg, ebenso wie mein letzter Kontoauszug und mein schneidiges Ausgehparfum. Hier und heute bin ich nur ein merkwürdiges schwitzendes Geschöpf mit einem wild schlagenden Herzen, einem müden, schmerzenden Körper und verwirrenden Gefühlen. Wenn ich jemandem begegnen würde (was ich mir permanent vorstelle), könnte er mich fragen: „Wohin des Wegs, einsamer Wandersmann? Sag an: Was hilft dir hier dein Abiturschnitt, was deine Hausratversicherung?“ Demütig spüre ich: Entscheidend ist der nächste tiefe Atemzug. Ein Schluck aus der schon fast leeren Flasche. Und dann die nächsten Schritte – nicht hinfallen, zielstrebig weitergehen, immer weiter, heimwärts.

Wieder zurück in der Geborgenheit der eigenen vier Wände, verarbeite ich das Erlebte. Heimgekehrt aus der Weite in die Enge und aus der Einsamkeit in die Bevölkerungsdichte, wird mir allmählich die Leerstelle im eigenen Leben bewusst, die still und heimlich immer größer zu werden droht, je mehr mich Besitz, Erfolg und Konsum überfrachten. War ich da oben in den Bergen wirklich allein? Oder – ich wage es kaum so konkret zu benennen – war Gott da? Hat nicht irgendwie alles – die wüstenhafte Landschaft, die Leere, die Stille – ein Lied des Lobpreises gesummt?

Ich muss wieder raus, noch mal alldem nachspüren! Aber diesmal nur schnell ins Grüne. Ich eile zu Fuß aus der Stadt, lasse Gedröhn und Gehupe hinter mir, durchstreife Felder und Wälder. Da! Ein Wegkreuz. Morsch, flechtenbewachsen und wurmstichig, aber er ist es. Da hängt er, stumm, efeuumkränzt, im Nirgendwo an einer Feldwegkreuzung. Ich schaue ihn an. Und ich begreife: Ich bin unterwegs. Ein Wanderer. Ein Pilger. Nicht nur heute. Ein Leben lang unterwegs. Heim zu ihm.


Verfasst von:

Joachim Burghardt

Redakteur beim Sankt Michaelsbund