Claudia Pfrang leitet die Domberg-Akademie (ehemals Stiftung Bildungszentrum) der Erzdiözese München und Freising. Wie viele andere Bildungsträger blickt sie auf ein turbulentes Jahr zurück. Die Füße stillhalten und abwarten – das kam für sie nicht in Frage. Die Domberg-Akademie hat kreative und innovative Ideen gesucht und gefunden, wie Bildungsarbeit von Morgen aussehen kann – und gleichzeitig inmitten der Corona-Krise ihren neuen Namen etabliert.
In der aktuellen Ausgabe von Gemeinde creativ geht es um Themen rund um „Hoffnung“ und „Veränderung“ – Veränderung ist momentan auch am Domberg erkennbar…
Gut erkennbar sind natürlich die baulichen Veränderungen, die rund um den Domberg – beispielsweise gerade am Diözesanmuseum – passieren. Aber es gab auch strukturelle Veränderungen: So wurde aus der Stiftung Bildungszentrum die Domberg-Akademie. Früher waren die Bildungsangebote sehr stark an das Kardinal-Döpfner-Haus gekoppelt. Das ist heute anders. Wir sind viel mehr die diözesane Spitzeneinrichtung für Erwachsenenbildung und unser Auftrag ist es, Bildungsarbeit für die Erzdiözese in der Erzdiözese zu leisten.
Was bedeuten die Veränderungen für die Domberg-Akademie konkret?
Früher hatten wir ein Haus, das wir mit unseren Angeboten bespielt haben. Jetzt finden unsere Veranstaltungen an circa 40 verschiedenen Orten in der Erzdiözese statt – das macht einen Unterschied. Es bringt uns einerseits eine größere Sichtbarkeit und neues Publikum, das jetzt die Veranstaltungen vor Ort besucht und früher nie nach Freising gekommen ist. Anderen dagegen fehlt der altbekannte, gewohnte Ort. Was wir wollen, ist Bildung nah am Menschen. In der Konsequenz heißt das, dass wir nicht verlangen können, dass die Menschen immer nur zu uns kommen, sondern dass wir auch zu ihnen gehen. Hier gibt es viele Möglichkeiten. Die Kolleginnen und Kollegen aus Würzburg haben beispielsweise das Konzept der „Anders-Orte“ entwickelt. Das heißt, sie sind mit ihren Angeboten an Orte gegangen, an denen man bestimmten Themen nicht ausweichen kann. Ein Angebot zum Thema „Sterben, Tod und Trauer“ auf einem Friedhof stattfinden zu lassen, das wäre ein solches Beispiel. Im vergangenen Jahr haben wir Trambahnfahrten zum Thema „Mobil und geerdet“ gemacht – auch hier gingen Ort und Konzept sehr gut zusammen.
Allerdings: Bildung braucht auch feste Orte – das haben wir in den vergangenen Jahren gelernt. Hier müssen wir für die Zukunft eine gute Balance finden, aus festen Orten, an denen man verankert ist und Bildung ihren Platz hat und gleichzeitig der Flexibilität, zu den Menschen zu gehen.
Welche Fragen haben Sie in diesem Veränderungsprozess bisher geleitet?
Unsere Leitfrage ist immer: Was brauchen die Menschen und was bewegt sie? Deswegen haben wir auch ein Listening-Projekt gestartet. Wie der Name sagt: wir wollen hören, was Teilnehmende von uns erwarten. Eine solche Namensänderung inmitten der Corona-Pandemie zu vollziehen, das ist wirklich schwierig. Wir wollten nicht einfach nur einen Brief verschicken à la „Wir heißen jetzt Domberg-Akademie und freuen uns, Sie bald wieder bei uns begrüßen zu dürfen“, sondern wollten das mit etwas Zukunftsweisendem verbinden. So wollen wir auch künftig arbeiten: weg von der Planung am grünen Tisch, hin zum Dialog und einer Programmgestaltung im Dialog mit interessierten Teilnehmerinnen und Teilnehmern.
Sie haben den Kontakt gesucht und das erste Programm gemeinsam mit Interessierten entwickelt – wie hat das geklappt?
Wir haben Interviews geführt, außerdem haben wir Fragebögen ausgegeben. Seht viele Leute haben sich sehr gefreut, dass wir auf sie zugegangen sind und sie eingebunden haben. Im Rahmen des Listening-Projekts haben wir eine große Verunsicherung durch die Corona-Pandemie bei den Menschen gespürt. Außerdem besorgt viele die fortschreitende Spaltung der Gesellschaft sowie deren Folgen für Kinder und Jugendliche aus sozial schwachen Milieus. Ebenso ist die Erstarkung rechtsextremer Parteien und Bewegungen ein Thema. Viele sehen zudem dringenden Veränderungsbedarf bei der katholischen Kirche. Angesichts des anhaltenden Mitgliederschwunds stellen sie sich die Frage, ob die Kirche in der heutigen Gesellschaft überhaupt noch relevant ist. In unserem nächsten Saisonthema im Frühjahr „Die verwundete Gesellschaft“ werden wir vieles davon aufgreifen. Im Herbst widmen wir uns dem Thema kirchliche Transformation.
Gibt es konkrete Themenwünsche?
In Anschluss an das Listening-Projekt haben wir eine Umfrage bei unseren Newsletter-Abonnenten gemacht, die mit einer Rücklaufquote von sehr guten 17 Prozent noch einmal das große Interesse an unseren Angeboten zeigt. Am höchsten bepunktet wurde der Bereich „Religionen und Spiritualität“, gefolgt vom Thema „Gesellschaft“, dann „Politik“, „Nachhaltigkeit“ und „persönliche Entwicklung“. Wir haben auch nach konkreten Themen gefragt. Da wurde an erster Stelle der „Umgang mit Rechtspopulismus“ genannt – da sieht man, dieses Thema brennt den Leuten wirklich unter den Nägeln. An zweiter Stelle stand das Thema „nachhaltiges Leben“. Außerdem genannt wurden die „Relevanz von Kirche in der heutigen Gesellschaft“ und die „Gottesfrage“ bzw. die „Frage nach dem Sinn des Lebens“.
Wie haben Sie als Bildungsanbieter die vergangenen Monate erlebt?
Wir hatten vielleicht einen kleinen Vorteil, weil wir uns ja schon vorher intensiv mit Veränderungsprozessen auseinandergesetzt hatten. Auch wir mussten im Frühjahr viele Veranstaltungen absagen – das tat im ersten Moment natürlich weh. Man hat viel Zeit und Mühe in die Planungen investiert, wollte den Teilnehmerinnen und Teilnehmern eine gute, interessante Veranstaltung bieten, und dann ging von heute auf morgen nichts mehr. Uns im Team war allerdings schnell klar, dass wir nicht abtauchen dürfen, sondern nach Möglichkeiten und neuen Formaten suchen wollten, um die Menschen zu erreichen. Das ist uns gelungen und dafür bekamen wir viel positives Feedback. Wir haben in diesen Monaten auch gelernt, dass Bildung weit mehr ist als die Veranstaltung selbst. Wir sprechen inzwischen vom Content-Campus. Das bedeutet, dass wir unsere Themen auf unterschiedlichen Wegen anbieten. Das geht vom Newsletter, dem Livestream auf Youtube, über Podcasts und das Weiterarbeiten in einem digitalen Lernraum bis hin zur konkreten Veranstaltung. Das alles nutzen wir für unsere Kernaufgabe, Menschen für Diskurse zu rüsten und in Debatten zu führen, und gleichzeitig denken wir so auch Bildung neu. Denn für uns ist all das Bildung. Das macht viel Spaß, braucht aber auch den Mut zum Loslassen, zum sich Verabschieden von Altem und Überholtem.
Vielfach war in den vergangenen Monaten davon die Rede, die Krise als Chance zu begreifen, um notwendige Veränderungsprozesse in Gang zu bringen und daraus zu lernen – sehen Sie das ebenso?
Ich finde es manchmal gefährlich, zu schnell von der Krise als Chance zu reden. Denn, Krisen müssen auch durchstanden werden. Regina Polak hat in einem lesenswerten Artikel drei Möglichkeiten beschrieben, mit einer Krise umzugehen: weitermachen wie bisher, die Krise als Lernerfahrung sehen oder etwas komplett Neues anstoßen. Alle drei Formen sind in bestimmten Kontexten legitim und wichtig. Nicht jede Krise ist eine Lernerfahrung, andere führen erst einmal zu keinen großen Veränderungen. Das Besondere an der Corona-Krise ist, dass sie wirklich jeden Menschen in irgendeiner Form existentiell trifft. Damit müssen wir umgehen. Denn niemandem, der Angst hat, ist mit gutgemeinten Beschwichtigungen geholfen. Für uns als Bildungseinrichtung ist es in dieser Zeit eine große Aufgabe, den Menschen zu helfen, mit dieser Krise zurecht zu kommen: den Familien, die mit Homeschooling und Homeoffice gleich doppelt belastet werden, denjenigen, die aufgrund von Kurzarbeit oder Jobverlust in finanzielle Nöte kommen, oder auch der Managerin, die vorher permanent auf Reisen war und nun alleine Zuhause im Homeoffice sitzt und sich plötzlich einsam und unnütz vorkommt.
Denken Sie, dass die neu entstandenen Formate auch über Corona hinaus Bestand haben werden?
Da bin ich mir sicher. Wir hatten schon vor Corona das Format „Walk and Talk“ entwickelt, das wir jetzt wieder eingesetzt haben – Bildungsarbeit beim Spazierengehen sozusagen. Solche Formate werden bleiben und sicherlich auch die Online-Angebote. Natürlich freuen sich viele Menschen jetzt schon darauf, wieder real zusammenkommen zu können, aber trotzdem eröffnen diese Online-Formate großartige Möglichkeiten, gerade was die Reichweite, die eigene Sichtbarkeit und die Teilnahme von Menschen betrifft, die aus unterschiedlichen Gründen nicht zur Präsenzveranstaltung kommen könnten. Und wenn wir von der Klimakrise reden: bisher haben wir Referentinnen und Referenten für einen Vortrag von zwei Stunden aus Berlin oder Hamburg nach München geholt. Hier müssen wir uns fragen, ob das noch zeitgemäß ist.
Allerdings: kreatives Arbeiten per Videokonferenz ist oft schwierig. Da ist man gemeinsam am runden Tisch häufig produktiver.
Ihr Haus hat schon seit Jahren Angebote im Programm, die sich mit den Umbrüchen im Leben der Menschen befassen. Warum ist es Aufgabe für katholische Akteure, die Menschen in diesen Phasen zu begleiten?
Persönlichkeitsentwicklung ist ein Kernbestandteil der kirchlichen Erwachsenenbildung. Die Lebensläufe werden immer vielfältiger, die Biografien immer fragmentierter. Die Welt ist im Umbruch, damit sind auch wir Menschen ständig gefordert, uns auf Neues einzustellen. Unsere Angebote wollen die Menschen befähigen, mit diesen Umbrüchen gut umzugehen. Aus diesem Grund wurde hier in unserem Haus auch die Biografiearbeit geboren – zum einen, um Menschen die Möglichkeit zu geben, die eigene Biografie anzuschauen, aber auch um Kursleitungen dafür auszubilden. Darüber hinaus sehe ich es als unsere Aufgabe, den Menschen zu helfen, diese Umbrüche begreifen und verstehen zu lernen, Komplexität also ein Stück weit auseinander zu nehmen, zu erklären und zu deuten. Auch unsere Umfrage hat noch einmal gezeigt, wie wichtig diese Themen sind. Resilienz zu fördern, sehe ich als wichtige Herausforderung.
Auch innerkirchlich ist von Veränderungen die Rede – denken wir beispielsweise an den Synodalen Weg – wie greifen Sie diese Themen auf?
Wir versuchen einerseits natürlich die Themen, die beispielsweise beim Synodalen Weg eine große Rolle spielen, in Veranstaltungssettings zu packen und zu diskutieren. Andererseits versuchen wir aber auch, Veränderungsprozesse mitzugestalten, indem wir Menschen befähigen, sich bei den Veränderungen in ihren Gemeinden vor Ort kompetent einzubringen. Lösungen sind so vielfältig wie unsere Gemeinden selbst: Wir wollen den Engagierten helfen, für sich vor Ort die besten Lösungen und Strategien finden und umsetzen zu können.
In der Kirche ist es wie in anderen Bereichen der Gesellschaft: Corona führt uns die Schwächen, die längst schon vorher da waren, schonungslos vor Augen. Wir werden beispielsweise akzeptieren müssen, dass die Volkskirche Vergangenheit ist. Das ist einerseits schmerzhaft, andererseits dürfen wir einfach nicht den Kopf in den Sand stecken und an etwas festhalten, das es nicht mehr gibt. Gerade jetzt in dieser „Zwischenzeit“ sind Mut, Kreativität und Innovation gefragt.
Weitere Informationen zur Domberg-Akademie und zum Programm finden Sie hier .
Dr. Claudia Pfrang (Jahrgang 1965) ist Direktorin der Domberg-Akademie in Freising. Die promovierte Pastoraltheologin ist seit vielen Jahren in der kirchlichen Bildungsarbeit unterwegs und hat in dieser Zeit viele kreative und innovative Formate entwickelt. Ihr Credo – „kirchliche Bildungsarbeit muss nah an den Menschen sein“ – versucht sie gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen auch in Zeiten der Corona-Pandemie umzusetzen. Zuvor war Claudia Pfrang unter anderem Geschäftsführerin des Kreisbildungswerkes in Ebersberg.
Foto: Kiderle